Читать книгу In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber - Augustin Wibbelt - Страница 27
Maiandacht
ОглавлениеIch glaube, ihr habt geplaudert! Ich hatte euch von unserm Maifest erzählt, und nun kommt gestern ein langer Mahnbrief, des Inhaltes, dass ich ein ernstes Leben führen müsste, wie es sich für einen Waldbruder gehöre. Ich solle wie Johannes der Täufer von Heuschrecken und wildem Honig leben und die sonderbaren Zaubertränke meiden, die wahrscheinlich berauschender Art seien. Aber Heuschrecken gibt es hier nicht, und wenn es welche gäbe, so möchte ich sie nicht. Sie sind mir zu knusprig. Das bisschen Honig aber, das Frau Hummel mir zuweilen spendiert, kann mein Leben nicht fristen. Und was die Maientautränklein betrifft, so sind sie ganz unschuldig und machen kein Kopfweh. Man muss übrigens nicht glauben, dass wir alle Tage Feste feiern und tanzen. Maifest gibt es nur einmal im Jahre.
Damit ihr nun sehet, dass wir auch fromme Leute sind, will ich euch heute von unserer Maiandacht erzählen. Das könnt ihr dann ruhig weitererzählen, damit wir die Leute draußen erbauen. Sie haben es nötig. Nun muss ich allerdings sagen, dass der Gedanke, eine feierliche Maiandacht zu halten, nicht von mir ausgegangen ist. Ist bete meine Sache gewöhnlich allein. Das fromme Reh ist auf den Gedanken gekommen. Eines Abends in der Dämmerung klopfte es bescheiden an meine Klause. Als ich hinausschaute – ich schaue lieber hinaus und rufe nicht gleich herein, seitdem mir der Igel einmal gekommen ist und sich so breit bei mir gemacht hat, dass ich mich immer an seinen Stacheln stieß –, also, als ich hinausschaute, stand Jungfer Reh draußen. Sie machte einen schönen Kratzfuß, schaute mich mit den braunen Augen an und sagte, sie hätte ein Anliegen.
»Mit Vergnügen«, sagte ich, »nur heraus damit!«
Ich sollte ihnen doch einmal eine schöne Maiandacht halten, meinte sie. Zum ersten Mai sei ich ja zu spät gekommen, jetzt möchten sie noch einmal die liebe Gottesmutter grüßen und ehren und dabei solle ich ihnen helfen. Die Frömmigkeit sei auch etwas lau geworden, und hie und da zeige sich heidnisches Wesen. Vielleicht würde sogar der arge Räuber, Reineke der Fuchs, sich bekehren; er triebe es arg und habe vor acht Tagen ein kleines Rehbrüderlein aufgefressen.
»Gegessen«, sagte das Reh, denn es drückt sich immer sehr anständig aus. Ich schämte mich etwas, dass ich in dieser Weise angemahnt werden musste, und sagte ohne Weiteres zu.
Am nächsten Morgen berief ich meinen Küster Kuckuck, um mit ihm zu überlegen. Er schluckte rasch eine haarige Raupe herunter, die gerade im Schnabel hatte, und erklärte, er wolle sein Mögliches tun.
»Gleich heute Abend«, rief er voll Eifer, »kann es losgehen. Ich übernehme die Einladungen und will ihnen die Ohren so vollschreien, dass keiner fehlt. Wir kommen hier an der Klause zusammen und ziehen dann die Prozession zum Waldkapellchen, wo die liebe Mutter Gottes steht. Eine Prozession muss dabei sein, sonst ist es nichts. Für den Blumenschmuck muss die gute Fee Flora sorgen, die da hinten auf der Lichtung ihren Garten hat. Ich will gleich mit ihr sprechen.«
Ich konnte seine Vorschläge nur billigen, und er hob schon die Flügel.
Da drehte er noch einmal den Kopf und sagte: »Aber wir machen keinen künstlichen mehrstimmigen Gesang. Ich bin für den schlichten Choral.«
Er ist nämlich nicht besonders stark in der Musik. Ich sagte, es sei gut, und er flog ab.
Den Tag benutzte ich nun, um eine kräftige Bußpredigt zu studieren, die für Reineke bestimmt war. Ich will aber gleich sagen, dass die Predigt gar nicht gehalten worden ist, weil Reineke ausgeblieben ist. Er ist verstockt. Außerdem hätte die strenge Predigt auch nicht gut gepasst; ich halte sie ihm nächstens allein, sobald ich ihn erwische. Dann mache ich ihm gründlich die Hölle heiß.
Alles verlief in schöner Ordnung, und die Beteiligung war sehr stark. Bei der Prozession sagen wir die Litanei, ich und der Küster allein, die anderen können kein Latein. Der Kuckuck traf die Terz so rein und klar, dass es ordentlich ein Ohrenschmaus war. Alle drei Schritte machten wir eine Pause, Frau Schnecke konnte sonst nicht mitkommen. Zuletzt nahm Frau Eichhörnchen die Alte auf den Rücken, mitsamt ihrem Häuschen, und da ging es schneller. Nun hättet ihr einmal sehen sollen, wie wunderprächtig die gute Fee Flora das Waldkapellchen geschmückt hatte! Es war ein kleines Paradies, ja, ein Stückchen Himmel.
Dichte Gewinde von weißen Waldröslein lagen zu den Füßen der lieben Mutter Gottes, und rechts und links flammten große Büsche von roten Weidenröschen. Die Stufen waren bedeckt mit einem himmelblauen Teppich von lauter Vergissmeinnicht, und alle Wände waren bunt von Blumen. Es sah aus, als wenn die Steine alle am Blühen wären. Und ein Duft war in der Luft, als wenn man allen Weihrauch Arabiens auf glühende Kohlen geschüttet hätte. Der Küster hatte auch sein Bestes getan. Er hatte zwei Dutzend lange Königskerzen aufgestellt. Die liebe Mutter Gottes lächelte liebreich inmitten der Pracht und nickte zuweilen der guten Fee Flora zu. Die kauerte neben dem Kapellchen und guckte um die Ecke. Nach vorn mochte sie nicht kommen, weil sie eine kleine Heidin ist, aber eine brave.
Nein, meine Bußpredigt hätte gar nicht gepasst, es war alles so lieblich und so freundlich. Aber ich habe sie mir eingesalzen, aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Ich hielt eine Ansprache und musste mir immer die Augen wischen, damit mir die Tränen der Rührung nicht in den langen Bart rollten. Frau Schnecke weinte so sehr, dass sie den Schnupfen kriegte, und dabei hatte sie ihr Taschentuch vergessen. Dann haben wir gebetet und zuletzt gesungen, dass es nur so schallte durch den stillen Wald. Der Gesang wurde immer mehrstimmiger, und Küster Kuckuck machte schon ein verdrießliches Gesicht.
Zuletzt hat die liebe Mutter Gottes uns allen den Segen gegeben. Auch die gute Fee Flora hat ein bisschen davon mitbekommen. Ich glaube, ich werde sie nächstens noch taufen müssen. Es war ganz dunkel geworden, und zwei Glühwürmchen haben eurem Waldbruder mit ihren Laternchen heimgeleuchtet.