Читать книгу In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber - Augustin Wibbelt - Страница 37

Klagen

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Ach, es geht böse zu in der Welt. Der Große frisst den Kleinen, und der Schlaue übertölpelt den Dummen. Wenn ich euch so vor mir sitzen sehe, schaut ihr alle aus wie die liebe Unschuld selbst. Ausgenommen der Peter dahinten, der hat es jetzt schon hinter den Ohren, faustdick! Aber ihr seid doch noch unverdorben. Werdet ihr so bleiben, oder werdet ihr später teilnehmen an der allgemeinen Spitzbüberei? Hier im Walde ist auch nicht alles, wie es sein sollte. Reineke treibt es je länger, je ärger, und die Klagen mehren sich von Tag zu Tag.

Gestern war ich in meinem Gärtchen beschäftigt mit schwerer Arbeit. Ich will es nämlich etwas vergrößern, und da musste ich einige dicke Baumstämme ausroden. Der Schweiß lief mir in Strömen von der Stirne herunter, aber das tut nichts, das ist gesund. Als ich mich einmal aufrichtete, um ein wenig zu verschnaufen, schaute Frau Häsin über den Zaun.

»Gott helfe Euch«, rief sie mir zu; sie ist eine fromme Frau.

»Gott lohne es!«, erwiderte ich, wie es sich gehört, und dann gab ein Wort das andere. Frau Häsin lobte meinen Fleiß und empfahl mir, auf dem neugewonnen Stück Garten nächsten Herbst Braunkohl zu pflanzen. »Dann hat man etwas für den Winter«, sagte sie und dachte dabei wohl besonders an sich selbst. Nun, ich habe nichts dagegen, wenn die Hasenfamilie von meinem Kohl mitisst. Man muss leben und leben lassen. Darauf machte Frau Häsin ein betrübtes Gesicht, schlug die Ohren nieder, kreuzte die Pfoten über der Brust und fing ein langes Lamento an.

»Waldbruder«, klagte sie, »es ist nicht mehr zum Aushalten mit dem roten Räuber, er stört den ganzen Waldfrieden.«

»Meint Ihr den Reineke, Frau Häsin?«, fragte ich, »und was hat er denn wieder verbrochen?«

»Ach, Waldbruder!« Sie wischte sich mit beiden Pfoten die Tränen aus den Augen. »Er hat meinen Jüngsten verzehrt – rein aufgefressen hat er ihn. Und es war ein so liebes Kerlchen und konnte so putzige Männchen machen. Ach, wie hat er gequäkt, als Reineke ihn beim Wickel hatte. Aber es half ihm nichts.« Ich schalt wacker auf den Bösewicht und ließ mich auf den Baumstumpf nieder. Denn ich merkte, dass die gute Frau noch mehr auf dem Herzen hatte.

»Das ist nicht seine einzige Untat«, fing sie wieder an. »Einmal könnte man ja ein Auge zudrücken, denn wir sind eine große Familie und können schließlich wohl eines entbehren. Aber denkt Euch, meinen guten Vetter Kaninchen hat er neulich ganz schrecklich betrogen. Der falsche Mann sagte ihm einen freundnachbarlichen Besuch an. Er wolle sich den neuen Bau einmal ansehen, weil er selbst auch neu bauen müsse; Vetter Kaninchen sei so geschickt, dass jeder von ihm lernen könne. Mein guter Vetter ist etwas dumm und eitel. Er ließ den falschen Reineke ein und stellte ihm seine ganze Familie vor und machte noch viele Komplimente dabei. Das Ende vom Lied war, dass der Räuber zwei Kaninchenkinder tot biss und wegschleppte. Es waren gerade die fettesten von allen, so niedliche Bübchen, wenn sie auch nicht besonders begabt waren. Die Dummheit ist erblich in der Familie, während bei uns das Gegenteil der Fall ist. Denkt Euch, zwei auf einmal und dann so ein Hausfriedensbruch!«

Frau Häsin trommelte mit beiden Pfoten auf den Gartenzaun und sträubte zornig ihren Schnurrbart. In demselben Augenblick duckte sie sich und machte einen Hopser rückwärts, denn es ließ sich ein Geräusch vernehmen. Es war aber bloß mein Küster, Meister Kuckuck, der sich auf den Zaun schwang und wie verrückt schrie.

»Was ist denn wieder los?«, fragte ich.

»Der Reineke«, rief der Kuckuck, »der Dieb, der Räuber, der Schuft, er ist bei der gnädigen Frau Fasan eingebrochen und hat ihr das ganze Gelege weggeholt – sechs schöne Eier! Ich freue mich, dass nicht zufällig eins von mir dabei war.«

Ihr wisst, dass der Kuckuck seine Eier immer bei anderen Leuten unterbringt. Ich habe ihm schon oft gesagt, er solle sich doch selbst ein Haus bauen, aber er ist ein Faulpelz und macht es sich gern bequem.

»Die gnädige Frau ist ganz untröstlich«, fuhr er fort, »sie will fortziehen aus dem Walde, und das wäre schade, sie ist die vornehmste Person und gibt auch immer ein anständiges Trinkgeld, wenn sie taufen lässt.«

Frau Häsin war wieder hochgekommen und lehnte sich auf den Gartenzaun. »Waldbruder«, sagte sie, »Ihr müsst für Ordnung sorgen, so geht es nicht weiter. Wir hatten früher einen Waldbruder mit einem Schießgewehr. Es knallte allerdings fürchterlich, aber er hat den alten Vater Reineke totgeschossen. Das war eine große Tat.«

»Frau Häsin«, sagte ich, »ich habe gehört, dass mein Vorgänger auch Schlingen gelegt hat in seinen Kohlgarten.«

»Was? Schlingen?« Sie tat wieder einen Hopser nach rückwärts. »Schlingen sind eine Gottlosigkeit, daran dürft Ihr gar nicht denken. Aber noch eins! Reineke hat der Weidenbäuerin unten am Bach die beste Henne fortgeholt. Er bringt den ganzen Wald in Verruf, und zuletzt heißt es noch, mein guter Mann hätte es getan.«

Ich beruhigte die beiden, so gut es gehen wollte.

Da schnurrte Frau Feldhuhn über den Zaun, trippelte eilig durch den Salat und duckte sich unter die Bohnenstauden.

»Wie kommt Ihr denn in den Wald, Frau Feldhuhn?«, rief ich erstaunt.

»Ach, Reineke!«, schluchzte sie ganz verstört, flog auf und schnurrte wieder fort.

»Da habt Ihr es!«, riefen der Kuckuck und die Häsin mit einer Stimme und machten sich schleunigst aus dem Staube. Ich nahm meine Hacke und ging in die Klause, indem ich mir überlegte, wie dem Unwesen zu steuern sei.

Zunächst bin ich zur Weidenbäuerin hinübergegangen und habe ihr gesagt, sie solle das lose Brett an ihrem Hühnerstall wieder festnageln. Sie gab mir ein halbes Dutzend Eier für die gute Warnung. Wenn es mehr gewesen wäre, würde ich euch allen jetzt ein gesottenes Ei spendieren, aber so weit reicht der Vorrat nicht.

In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber

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