Читать книгу In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber - Augustin Wibbelt - Страница 33
Prinz Asche und Prinzessin Puttel
ОглавлениеLiebe Kinder! Prinzenerzieher sein ist nicht leicht, wenn man auch bloß Lateinstunden zu geben hat. Ich kann ein Lied davon singen. Die Gottesmutter im Waldkapellchen hat ihren goldenen Mantel bekommen und sieht holdselig und prächtig darin aus. Der Prinz bringt mir auch für jede Stunde ein Goldstück mit. Ich denke schon daran, mir nächstens ein neues Glöckchen anzuschaffen für meine Klause. Das jetzige ist eigentlich bloß eine Kuhschelle. Aber ich muss es sauer verdienen.
In der ersten Stunde haben wir fast nichts anderes getan als Honig geschleckt. Fräulein Bienchen hatte mir tags zuvor einen großen Topf mit Honig geschickt, wie sie es versprochen hatte. Des Weidenhofbauern Fränzchen schleppte ihn herbei mit einem schönen Kompliment. Eigentlich wollte ich euch, liebe Kinder, mit dem Honig bewirten, aber Prinz Asche schleckte mir den ganzen Topf leer. Ich hätte es ihm nicht verraten sollen, dass ich Honig habe. Doch der Prinz ist so ein nettes Kerlchen, auch dachte ich, der Honig würde ihm die Zunge geschmeidig machen für das schwere Latein.
Der Honig schmeckte ihm gut, aber das Latein nicht. Wir stehen immer noch bei der ersten Deklination, bei mensa, und er wirft mir alle Fälle durcheinander und macht zuweilen ganz neue dazu, die gar nicht im Buche stehen. Trotzdem kann man ihm nicht böse sein, weil er so lustig ist. Wenn ich mal ein ernstes Gesicht mache, dann erzählt er mir schnell einen Streich, den er der Frau Oberhofmeisterin gespielt hat, und dann muss ich wieder lachen.
Das wäre nun soweit ganz gut, wer nur das Lernen nicht wäre! Wenn der Prinz von seinem Pferdchen springt, dann ruft er schon: »Mensa, der Tisch! Waldbruder, Ihr habt ja nichts auf Eurem Tische stehen.« Dann muss ich den Honigtopf holen.
Neulich wurde ich verdrießlich. Da zeigte ich dem Prinzen ein Birkenbäumchen, das neben meinem Garten steht, und sagte: »Prinz, auf diesem Bäumchen wächst der Fleiß.«
»Wie geht das zu?«, fragte er erstaunt.
Ich sagte: »Man bindet die feinen Zweiglein zu einer Rute zusammen und dann – hui!« Ich machte die entsprechende Handbewegung.
Prinz Asche schaute mich mit großen Augen an. »Ich reite«, befahl der Prinz, »lebt wohl, Waldbruder! Mensa, der Tisch, aber niemals Hui vom Fleißbäumchen!« Fort brausten er wie die Wilde Jagd, das Kerlchen reitet wie der Teufel.
Das nächste Mal kam Prinzessin Puttel mit. Saß im grünen Kleidchen auf einem goldbraunen Rösslein, und goldbraun flatterte das Haar.
»Waldbruder«, rief sie, »mensa, der Tisch.« Das hatte die kleine Kröte schon gelernt. Und nun ging es über den Honigtopf her. Mit langen Strohhalmen sogen sie den süßen Saft in vollen Zügen und schmatzten vor Behagen.
»Ach, Latein ist süß«, rief das Prinzesschen, »ich komme jetzt immer mit.«
»Was sagt denn die Frau Königin dazu?«, fragte ich, »und die Frau Oberhofmeisterin?«
Da lachten sie beide. »Mama weiß nichts«, sagte Prinzessin Puttel, »und die Gelbrüssel haben wir eingesperrt in ihrem Turm, die faucht jetzt wie eine Katze.«
Ich machte ihnen Vorwürfe, aber das Prinzesschen ließ mich nicht ausreden. Sie sprang auf, tanzte durch die Blumen und blieb dann vor mir stehen, gerade wie ein Irrwisch in ihrem goldbraunen Haar.
»Waldbruder, was macht Ihr für Geschichten?« Sie drohte mit dem Fingerlein. »Wo steht das Fleißbäumchen mit dem Hui? Mein Bruder hasst es, und wir wollen es umhauen. Das ist es, nicht wahr?« Sie zeigte auf das Birkenbäumchen, das vor Angst zitterte.
»Das Beil!«, rief die Prinzess und zog ein blitzendes, silbernes Beil hervor.
»Gib her!«, schrie der Prinz und griff nach dem Beile. Das war mir denn doch zu arg. Ich stellte mich vor das Bäumchen und breitete beide Arme aus, es duckte sich ängstlich hinter meinem Rücken.
»Halt, Königliche Hoheiten«, rief ich, »daraus wird nichts. Dem Bäumchen wird kein Zweig geknickt; es sei denn, dass es freiwillig eine Rute hergibt für unartige Kinder.«
Da hättet ihr das Prinzlein sehen sollen. Es wurde feuerrot vor Zorn und hob das Beil gegen mich.
Prinzessin Puttel zog seinen Arm herunter und sagte: »Lieber Asche, mach keinen dummen Streich. Komm, wir wollen den groben Waldbruder verlassen.«
»Das wird wohl das Beste sein«, sagte ich ruhig. Alle beide waren wie der Wind auf den Pferdchen und wie der Sturm durch den Wald – weg! Ich dankte Gott, als sie fort waren, und dachte, da mag ein anderer Prinzenerzieher sein. Ich tue nicht mehr mit. Heute noch schreibe ich einen Brief und kündige die Stunden auf. Küster Kuckuck kann ihn zum Schloss tragen.
Aber die Gelbrüssel kam mir zuvor. Nach zwei Stunden erschienen die beiden weißen Tauben und brachten einen Brief von der Frau Oberhofmeisterin, der also lautete: »Ehrwürdiger, aber wenig hofmäßiger Waldbruder! Herr Professor Schwalbenschwanz, der zurzeit hier weilt, hat durch eine Prüfung festgestellt, dass Prinz Asche sehr wenig Fortschritte im Latein gemacht hat. Auch hat das Betragen des Prinzen nicht gewonnen, seit er in der Waldklause verkehrt. Vor Kurzem war sogar ein ungebührliches Benehmen gegen eine der obersten Hofchargen zu beklagen. Ich bin deshalb beim König vorstellig geworden. Seine Majestät haben huldvoll geruht, Herrn Professor Schwalbenschwanz zum Prinzenerzieher zu ernennen. Somit seid Ihr Eures Amtes in Gnaden entbunden. Reichsfreifrau Aldaberta von Gelbrüssel, geborene Gräfin von Katzenkrall, Oberhofmeisterin.«
Den Brief rahm ich mir ein. Gestern kam Prinz Asche mit dem Möhrchen hier vorbeigeritten.
Er rief über den Zaun: »Waldbruder, Ihr seid ein grober Mann mit Eurem Birken-Hui, aber Professor Schwalbenschwanz ist hundertmal schlimmer – mensa, der Tisch! Juchhe!«
Damit warf er eine Handvoll Goldstücke in den Garten. Ist doch ein nettes Kerlchen, und jetzt bekommt euer alter Waldbruder eine neue Glocke.