Читать книгу In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber - Augustin Wibbelt - Страница 32

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Zum Glück hatte ich meine sieben Zwerge gerade da, und die klugen Kerlchen wusste Rat für alles.

»Ich weiß reife Erdbeeren«, schrie der eine.

»Ich lauf zu Frau Hirschkuh und hole frische Milch«, rief der andere.

»Wir richten im Garten einen Sitz her«, sagte der Dritte.

Hast du nicht gesehen, so ging es los. Bald hatten sie die Gartenbank schön gepolstert mit Moos und meine Bettdecke darüber gebreitet. Der Tisch war weiß gedeckt; die Weidenhofbäuerin hatte ihr feinstes Tuch hergeliehen. Mächtige Blumensträuße standen auf dem Tisch, eine blanke Kanne mit Milch in der Mitte und rundherum auf grünen Kohlblättern duftende rote Erdbeeren. Saubere Halme lagen daneben, womit man die Beeren aufspießen konnte. Kurz und gut, es kam mir ganz königlich vor, und ich hatte guten Mut.

Da erscholl Getrappel und Geschnaube von Pferden. In einer goldenen Kutsche mit vier Schimmeln fuhr Königin Aschenputtel vor. Neben ihr saßen ein Prinzlein und eine kleine Prinzessin und ihr gegenüber eine schrecklich vornehme alte Dame. Ich dachte gleich, dass es die Oberhofmeisterin wäre. Sie trug silbergraue Seide und strahlte von Brillanten, während die Königin ein einfaches weißes Kleid trug und keinerlei Schmuck, bloß ein goldenes Krönlein.

Ich stand vor dem Törchen und machte drei Verbeugungen, eine immer tiefer als die andere.

»Grüß Gott, Waldbruder!«, rief die Königin freundlich und reichte mir die Hand. »Wie nett wohnt Ihr hier, und das sind wohl Eure braven Knechtlein.«

Die sieben Zwerge standen in einer Reihe aufgepflanzt wie die Orgelpfeifen und neigten sich noch viel tiefer als ich.

»Das ist mein Sohn, Prinz Asche, und dies mein Töchterlein, Prinzessin Puttel«, sagte die Königin, »seht, Kinder, da gibt es Erdbeeren, das wird euch gefallen.«

Bald saßen wir am Tische. Die beiden Lakaien, die hinten auf der Kutsche gestanden hatten, stellten sich hinter die Bank wie zwei Bildsäulen und verzogen keine Miene. Die Frau Oberhofmeisterin saß links von der Königin, lang und dürr wie ein Zaunstecken und hässlich wie die Nacht. Sie beschaute alles von oben her durch eine bestielte Brille, die sie vor die scharfen grauen Augen hielt. Die Königin aber war holdselig wie der Frühling, und die beiden lieben Kinder spießten vergnügt zwischen den Erdbeeren umher. Die Zwerge schenkten Milch ein, wir hatten aber nur zwei Gläser.

»Waldbruder«, sagte die Königin, nachdem sie ein paar Erdbeeren genommen hatte, »ich komme mit einer Bitte.« Ich verneigte mich.

»Seht, Waldbruder, ich suche einen Erzieher für Prinz Asche. Unser guter Schlosskaplan ist gestorben, und nun haben wir keinen Menschen mehr, der Latein kann. Meine liebe Gelbrüssel spricht ausgezeichnet Französisch« – dabei schaute sie huldvoll auf die Oberhofmeisterin, die vor Ehrfurcht zusammenknickte – »aber ein Prinz muss auch etwas Latein lernen. Nun habe ich von Euch gehört, dass Ihr ein frommer und gelehrter Mann seid« – hier wurde ich rot vor Beschämung und wollte das unverdiente Lob abwehren.

Die Königin winkte mit der Hand und fuhr fort: »Die Bescheidenheit ehrt Euch, Waldbruder! Seht, Ihr werdet einen willigen folgsamen Schüler haben, und was das Gehalt betrifft« – hier wurde ich noch röter und konnte es nicht lassen zu sagen: »Majestät, was soll ein armer Waldbruder mit Geld?«

Die Oberhofmeisterin Frau von Gelbrüssel warf mir einen empörten Blick zu und bemerkte mit scharfer Stimme: »Man unterbricht die Majestät nicht.« Ich war vernichtet.

»Lassen Sie, liebe Gelbrüssel«, sagte die Königin lächelnd und legte ihr die Hand auf den Arm. »Wenn Ihr das Geld selbst nicht braucht, Waldbruder, so könnt Ihr jedes Jahr eine große, schöne Kirche dafür bauen lassen.«

Mir schwindelte der Kopf, als ich das hörte, und ich schwankte einen Augenblick, ob ich das Anerbieten nicht annehmen sollte. Da kam die Oberhofmeisterin mir zu Hilfe.

»Majestät«, flüsterte sie ehrfurchtsvoll, »wenn es gestattet ist, möchte ich den Waldbruder darauf aufmerksam machen, dass er seine Tracht ändern muss. In dieser Fasson ist er am Hofe unmöglich.«

Die Königin zog eine verdrießliche Falte zwischen den Augenbrauen und sagte: »Liebe Gelbrüssel, das wird sich schon finden. Wir lassen ihm eine neue Kutte machen. Der lange Bart steht einem gelehrten Manne gut.«

Aber die Frau Oberhofmeisterin machte ein furchtbar vornehmes Gesicht und flüsterte noch ehrfurchtsvoller: »Majestät, dann muss die Kutte wenigstens von Seide sein, und er muss unbedingt Schuhe und Strümpfe tragen. Den Bart muss er pudern lassen. Auch muss er vorläufig jeden Tag eine Anstandsstunde bei mir nehmen, sonst wird er uns die ganze Etikette am Hofe umwerfen.«

Da hatte ich genug. So etwas würde der Herrgott nicht von mir verlangen, trotz all der neuen Kirchen, die ich ihm bauen konnte. Ein Esel darf nicht aufs Eis gehen, ein Waldbruder nicht an den Hof.

Und wenn ich noch daran gedacht hätte, die Stelle anzunehmen, dann würde das, was jetzt plötzlich geschah, mich davon abgehalten haben. Leise und unbemerkt war das ganze Getier und Gevögel des Waldes an den Gartenzaun geschlichen. Wie die Nachricht von dem hohen Besuche sich so schnell verbreitet hatte, weiß ich nicht. Nun erhob sich ein Rufen und Jammern und Weinen: »Waldbruder, hierbleiben! Waldbruder, nicht fortgehen! Ihr seid unser Waldbruder – oh, Waldbruder, Waldbruder!«

»Welch ein Pöbel«, schrie die Frau Oberhofmeisterin und wollte noch mehr sagen, aber die Königin legte ihr die Hand auf den Arm. Ich aber wandte mich um und rief: »Liebes Gesindel, ich bleibe bei euch!« Da hättet ihr den Jubel hören sollen!

»Schade ist es doch«, sagte die Königin und stand auf, »aber ich kann es Euch nicht übelnehmen, Waldbruder!«

Dann meinte sie, Prinz Asche könnte wöchentlich einen Nachmittag zu mir herüberreiten und Lateinstunden nehmen. Damit war ich gern einverstanden. Er ist schon einmal hier gewesen, und wir haben gleich angefangen mit mensa.

Als die goldene Kutsche fortgerollt war, sah ich ein Goldstück neben der Milchkanne liegen. Das passte mir. Nun kann ich der lieben Gottesmutter in unserm Waldkapellchen den Mantel neu vergolden lassen.

In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber

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