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Die missglückte Bußpredigt

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Wenn man Waldbruder ist, hat man eine gewisse Verantwortung. Man ist eine Art Waldpastor und muss für seine Gemeinde aufkommen. Die Missetaten des alten Reineke Fuchs wollten mir nicht aus dem Sinn, und ich überlegte hin und her, wie ich diesem hartgesottenen Sünder am besten beikommen könnte. Aber die Schwierigkeit bestand darin, ihn zu treffen. Er ging mir offenbar aus dem Wege.

Vergebens hatte ich den Küster Kuckuck mit einer freundlichen Einladung zu ihm geschickt. Ich lud ihn ein zu einem gemütlichen Herrenabend mit Honig, den mag das Leckermaul gern. Meister Grimbart, der Dachs, und Meister Igel waren auch geladen; sie kamen und waren sehr vergnügt.

Aber Reineke schickte sein Söhnchen und ließ sich entschuldigen. Es passe nicht recht zu seiner eingezogenen Lebensweise. Er pflege die Abende im Kreise der Familie zu verbringen, auch leide er gerade an Hexenschuss, und endlich sei er in Trauer, weil ihm ein Großoheim gestorben sei. Der Entschuldigungen waren so viele, dass ich keine glaubte. Meinen Honig war ich quitt, aber Reineke bekam ich nicht in die Finger.

Da machte ich mich auf, um ihn selbst aufzusuchen. Ich ging zu guter Zeit, des Morgens früh, um ihn zu Hause zu treffen. Er war auch zu Hause. Ich sah ihn schon von Weitem vor seinem Bau in der Morgensonne liegen, und Frau Füchsin war daran, ihn zu frisieren. Denn Reineke ist eine Art Stutzer. Ich glaube sogar, dass er Schnurrbartwichse gebraucht.

Als ich anlangte, war der Schlauberger verschwunden. Frau Füchsin bedauerte sehr, dass ihr Mann nicht zu Hause sei; er sei schon mit Sonnenaufgang auf Wallfahrt gegangen, wie er es beim letzten starken Gewitter gelobt habe. Vor Abend könne er kaum heimkommen. »Aber«, sagte ich, »ich meine, ihn soeben hier gesehen zu haben.«

»Dann habt Ihr Euch getäuscht, Waldbruder«, grinste das verlogene Geschöpf, »das war unser Ältester. Er ist eben zur Schule gegangen. Wisset, er nimmt Lateinstunden bei Professor Schwalbenschwanz. Der Junge ist außergewöhnlich talentiert, und wir lassen ihn studieren, so schwer es uns auch fällt.«

»Worauf studiert er denn?«, fragte ich.

Sie fletschte die Zähne: »Mein Mann meint, er solle Advokat werden; aber ich möchte lieber, dass er Pastor würde – oder auch Waldbruder. Die Gottseligkeit geht doch über alles.«

Ich merkte den Spott wohl, aber was sollte ich machen? Unverrichteter Sache musste ich abziehen.

Einen Köder wollte ich doch nicht auswerfen: »Grüßt Euren Mann, Frau Füchsin, und sagt ihm, ich hätte sehr leckeren Honig. Den müsste er einmal probieren.«

Sie reichte mir die Pfote und sagte: »Zu freundlich, Waldbruder! Wenn es recht ist, schicke ich heute Nachmittag die Kleinen herüber.«

Als ich beim Fortgehen noch einmal zurückschaute, sah ich, wie der alte Fuchs den Kopf aus dem Loch steckte. Er fuhr zurück wie der Blitz. Nachmittags kamen richtig die drei gefräßigen Fuchskinder, und von meinem Honig blieb kein Tropfen übrig.

Am Abend kam Jungfer Reh und gab mir einen guten Rat.

»Waldbruder«, sagte sie, »studiert Euch eine tüchtige Bußpredigt ein.«

»Soll ich sie denn vor den Bäumen halten«, fragte ich, »oder etwa vor Euch, gute Jungfer, die Ihr sie gar nicht nötig habt?«

Da entwickelte sie mir einen guten Plan. Es war auf eine Überrumpelung abgesehen. Sie wollte selbst zum Fuchsbau gehen und Reineke festhalten durch ein Gespräch. Ich sollte mich dann von der anderen Seite heranschleichen und ihn überraschen.

»Ihr sollt sehen, dann hält er stand, denn er ist darauf bedacht, den Anstand zu wahren.«

Der Plan gefiel mir. Bis tief in die Nacht hinein habe ich an meiner Bußpredigt gearbeitet und habe sie kräftig gesalzen und gepfeffert mit den stärksten Sprüchen. Die Predigt war so rührend und beweglich, dass ich selbst Tränen vergoss. Ich malte alle Höllenstrafen so grausam aus, dass meine weißen Mäuslein, die zitternd zuhörten, sich zuletzt in ihre Löcher verkrochen und drei Tage lang nicht wieder zum Vorschein kamen.

Am nächsten Morgen glückte unser Plan ganz ausgezeichnet. Jungfer Reh traf den alten Reineke und erzählte ihm von einer neuen Kaninchenfamilie, die sich bei uns angesiedelt habe. Reineke erkundigte sich genau, wo sie wohnte, und war so sehr bei der Sache, dass er mein Herankommen von der anderen Seite her gar nicht bemerkte. Auf einmal stand ich vor ihm.

Er machte unwillkürlich einen Satz, als wenn er in den Bau schlüpfen wollte. Dann besann er sich, reichte mir die Pfote und bedankte sich höflich für den Honig, den ich seinen lieben Kleinen spendiert hätte.

»Meister Reineke«, sagte ich darauf, »Ihr erlaubt wohl, dass ich für einen Augenblick Platz nehme. Ich habe Euch etwas Wichtiges zu sagen. Jungfer Reh darf es ruhig hören, das ist eine verschwiegene Person.«

Er schaute mich zweifelnd an. »Von Herzen gern, Waldbruder«, sagte er dann freundlich, »ich will nur eben meine Frau rufen, die wird es auch gern hören.«

Ich ergriff schnell seine Pfote und beteuerte, das sei gar nicht nötig. Die Sache ginge ihn persönlich an. Damit wollte ich Platz nehmen und einem Baumstumpf, aber er litt es nicht.

»Der Sitz ist zu hart und zu unbequem, Waldbruder«, lächelte er, »seht, dieser Hügel ist schön weich gepolstert, da sitzt Ihr viel besser.« Er riss sogar ein paar Farnwedel ab und legte sie auf den Sitz, damit er noch bequemer werde.

Ich war ordentlich gerührt über diese Höflichkeit und ließ mich nieder. Er hockte mir gegenüber und schaute mich so gutmütig an mit seinen schlauen Äugelein, dass ich kaum anfangen konnte mit meiner strengen Predigt. Jungfer Reh trat zu mir und flüsterte: »Jetzt nur los, Waldbruder. Tut Euer Bestes!« Ich sammelte mich und fing an.

Erst sagte ich einige allgemeine Sätze über den Frieden und die Eintracht im Walde, über den Segen der Gottesfurcht und der Nächstenliebe. Der alte Heuchler seufzte tief auf und faltete andächtig seine Pfoten. Dann ging ich zu einer strengeren Tonart über und sprach von Kain und seinem Brudermord und kam dann allmählich auf die trüben Zustände in unserm Walde zu sprechen. Reineke wischte sich mit den Pfoten durch die Augen. Nun legte ich los und hielt ihm seine Missetaten vor mit flammenden Worten. Er schluchzte immer lauter, aber zwischendurch bemerkte ich, dass er mich neugierig und schalkhaft beobachtete. Ich fing an zu drohen, aber bevor ich recht im Zuge war und mit den höllischen Strafen begonnen hatte, fühlte ich ein seltsames Kribbeln in den Waden. Ich griff mit der Hand dahin und redete weiter in meinem Eifer. Der alte Schelm hatte schon aufgehört zu schluchzen und grinste ganz unverhohlen. Das Kribbeln wurde unleidlich, es verwandelte sich in Jucken und Beißen und Brennen. Ich schaute nach und sah, dass meine Füße ganz bedeckt waren mit den bösen, braunen Ameisen. Der Bösewicht hatte mich auf einen Ameisenhaufen gesetzt.

Entsetzt sprang ich auf und suchte die wütenden Tiere abzuschütteln, und Jungfer Reh half mir dabei.

Da lachte der Schelm laut heraus: »Ach, Waldbruder, welch ein Missgeschick. Seht, das ist ein ganz kleiner Vorgeschmack von der Hölle, über die Ihr so schön predigen könnt. Erlaubt, dass ich mich in Sicherheit bringe.« Lachend schlüpfte er in seinen Bau, und ich konnte mit Jungfer Reh abziehen. Die Füße waren mir ganz geschwollen und brannten wie Feuer. Ich tröstete mich damit, dass Ameisensäure gut ist gegen Rheuma. Aber die Bußpredigt war missglückt.

Am nächsten Morgen hörte ich, dass Reineke die neu zugezogene Kaninchenfamilie besucht und zwei Junge mitgenommen hatte. Passt auf, es nimmt doch kein gutes Ende mit ihm.

In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber

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