Читать книгу In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber - Augustin Wibbelt - Страница 40
Waldgericht
ОглавлениеKinder, Kinder, was haben wir für einen großen Spektakel gehabt im Walde! Schade, dass ihr es nicht miterlebt habt! Ich will es euch erzählen, so gut ich kann.
Vor einigen Tagen kam eine Abordnung zu mir. Ich saß vor meiner Waldklause und schälte Kartoffeln zum Mittagessen. Es mochte um zehn Uhr sein, die Sonne stand schon hoch. Die Abordnung bestand aus drei Personen. Die gnädige Frau Fasan war die Führerin und Sprecherin, sie wurde begleitet von Frau Häsin und Herrn Igel. Alle drei machten sehr feierliche Gesichter, was aber dem Igel nicht recht gelingen wollte. Er hatte sich nicht einmal ordentlich gekämmt.
Umso feiner war die gnädige Frau Fasan. Sie trug eine Schleppe, denn um die Mode kümmert man sich nicht im Walde, und es war zu verwundern, wie geschickt sie ihre Schleppe über Gras und Farnkraut zu ziehen wusste. In der Hand hatte sie ein Spitzentüchlein. Die alte Jungfer Spinne muss ihr die feinsten Sachen weben mit ihren langen, dünnen Fingern. Frau Häsin hatte ihre beste Haube aufgesetzt. Ich war ganz erstaunt über den Aufzug, schob meinen Kartoffelkorb beiseite und erwiderte die Verbeugung, so gut es bei meinen steifen Knochen gehen wollte.
»Ehrwürdiger Waldbruder«, begann die gnädige Frau Fasan und hüstelte in ihr Spitzentüchlein, »wir gestatten uns, eine Bittschrift zu überreichen. Wollen Eure Ehrwürden gefälligst Einsicht nehmen.«
Ich rückte meine Brille zurecht und sah mir zunächst die Unterschriften an. Potztausend, sie hatten alle unterschrieben, Reh und Hase und Eichhörnchen und so weiter bis herunter zu Frau Hummel, die einen großen Schnörkel hinter ihren Namen gemacht hatte. Der Igel hatte einen dicken Klecks gemacht, und Frau Schnecke musste wohl beim Unterschreiben geweint haben. Ihre Schriftzüge waren stark verwischt.
Erst dachte ich, es würde sich um eine neue Waldandacht handeln oder um eine große Bittprozession. Aber es war etwas ganz anderes. Es war eine Klageschrift gegen Reineke mit der Aufforderung an mich, Gericht über ihn zu halten; der ganze Wald habe mich einstimmig zum Richter erwählt. Ich merkte, dass die Sache ernst war, und kratzte mich bedenklich hinter dem Ohre.