Читать книгу In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber - Augustin Wibbelt - Страница 38

Die Kobolde

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Man kann lange im Walde wohnen, ohne alle Leute zu kennen, mit denen man zusammenwohnt. Ich meine nicht bloß das winzig kleine Zeug, das im Grase und Moose haust oder gar in der Erde, all die Würmlein und Käferlein und dazu das Mückenvolk. Ich meine besonders die Heimlichen, von denen nichts in den Büchern steht, weil die Gwlehrten nichts von ihnen wissen und auch nichts von ihnen wissen wollen.


Von meinen sieben Zwergen will ich schweigen, die sind schon ziemlich weit bekannt geworden. Auch von dem Elfenvolk wissen die Menschen allerlei. Sie kommen in vielen Gedichten vor. Sie tanzen gern im Mondschein und werden wohl mal vom nächtlichen Wanderer belauscht. Die Feen sind weniger bekannt, sie lassen sich selten sehen. Ebenso geht es mit den Nixen, die im Wasser leben und meist einen Fischschwanz haben. Sie sind sehr scheu.

Aber am scheuesten und heimlichsten sind die Kobolde, die Neck- und Plagegeister. Sie tun manchem einen Schabernack an, aber sie halten sich verborgen oder verwandeln sich. Sie legen sich gern im Dunkeln über den Weg, sodass man stolpert und auf die Nase fällt. Schaut man nach, so sieht man eine alte Baumwurzel, die dumm und steif daliegt. Dreht man den Rücken, so macht die Baumwurzel eine boshafte Fratze und kriecht sachte in den Boden. Es war nämlich ein Kobold. Ich kenne diese Kobolde jetzt und bin gut Freund mit ihnen. Das ist so gekommen.

Seit Monaten wohnte ich ungestört in meiner Waldklause weit hinter der Welt. Die Welt kümmerte sich so wenig um mich, wie ich mich um sie kümmerte. Nicht mal die Post und nicht mal die Zeitung kamen in meine Einsamkeit. Da stand plötzlich eines Tages ein Mann mit einer bunten Mütze vor meiner Klause und schaute durch die offene Tür. Es war ein heißer Tag, und ich hielt gerade mein Mittagsschläfchen.

»Guten Tag«, rief der Mann mit schnarrender Stimme. »Seid Ihr der Waldbruder?«

Ich erhob mich und sagte: »Das stimmt, guter Mann! Was steht zu Diensten?«

Er zog ein Papier heraus und zeigte es mir. Es war – ein Steuerzettel. »Ich komme vom Finanzamt«, schnarrte er, »Ihr müsst Steuern zahlen, Waldbruder! Übrigens, wie ist Euer Name?«

»Ich heiße bloß Waldbruder«, sagte ich, »meinen Namen habe ich abgelegt, der muss irgendwo draußen in der Welt liegen. Wenn Ihr ihn findet, will ich ihn Euch schenken.«

Er verzog keine Miene und sagte mit steifem Ernst: »Auf Ulk und dergleichen lasse ich mich nicht ein. Ich bin eine öffentliche Person, und ich sage Euch: Steuern müsst Ihr bezahlen. Es hilft Euch nichts.«

»Was für Steuern?«, fragte ich.

Er zählte an den Fingern auf: »Einkommenssteuer, Grundsteuer, Gewerbesteuer, Umsatzsteuer, Hauszinssteuer, Luxussteuer …«

»Was?«, unterbrach ich ihn. »Luxussteuer? Was ist hier denn Luxus?« Er schaute sich prüfend um, dann schaute er mich durchdringend an und sagte mit Nachdruck: »Der lange Bart.«

Ich dachte, er sei ein Spaßmacher, und fing an zu lachen. Da wurde er böse und schrie: »Ihr dürft mich nicht auslachen, ich bin eine öffentliche Person. Übrigens kommen nächstens noch mehr Steuern dazu, so die Gesundheitssteuer, die müsst Ihr unbedingt bezahlen, denn Ihr seid unverschämt gesund. Auch das Lachen fällt nächstens unter die Lustbarkeitssteuer, wenigstens, wenn man laut lacht, wie Ihr soeben. Und dann die Rocksteuer, die wird für Euch hoch werden, denn es geht nach Länge. Dann die Zahnsteuer. Ich sehe, Ihr habt Eure Zähne noch so ziemlich alle. Das gibt eine hohe Steuer. Habt Ihr eine Frau?«

»Nein«, sagte ich, »Gott sei Dank!«

»Also, Junggesellensteuer, wird mit jedem Jahr höher. Und noch Verschiedenes. Wollt Ihr nun zahlen oder nicht?«

»Guter Mann«, antwortete ich, »kann ich vielleicht mit Tannenzapfen oder Nüssen bezahlen? Denn Geld habe ich nicht.«

Da trampelte er mit beiden Beinen vor Wut und schrie: »Habt Ihr nicht vor Kurzem eine neue Glocke gekauft? Gekauft und bezahlt?«

Ich konnte es nicht leugnen. »Weil ich sie bezahlt habe, gerade darum habe ich kein Geld mehr.«

Er schrieb etwas in sein Notizbuch und knurrte dann: »Wartet nur, wir wollen Euch schon kriegen. Wir schicken den Gerichtsvollzieher und lassen Euch pfänden.« Damit ging er.

»In Gottes Namen«, seufzte ich, es war mir doch etwas unbehaglich zumute. Gegen Abend begab ich mich zu dem hohlen Weidenbaum, wo Frau Eule wohnt, um mir Rat zu holen. Als ich klopfte, schaute sie etwas verschlafen aus ihrem Loche und hörte meine Klagen an. Die Sache interessierte sie.

»Waldbruder«, gähnte sie, »ich will Euch etwas sagen. Wendet Euch an die Kobolde, die können Euch am besten helfen.«

Ich machte ein dummes Gesicht, denn ich kannte die Kobolde gar nicht. Sie gab mir die Aufklärung und sagte: »Kommt, ich führe Euch gleich zu dem König der Kobolde. Er heißt Fliegenschwamm und wohnt in der Nähe hinter einem alten Baumstumpf.«

Sie flog voraus, ich folgte. König Fliegenschwamm war zu Hause und empfing uns ohne jede Förmlichkeit. Er sah auf den ersten Blick wie ein gewöhnlicher Schwamm aus, aber unter dem roten Hute grinste mir ein breites Gesicht entgegen. Frau Eule brachte mein Anliegen vor und empfahl es dringend.

»Was gebt Ihr mir?«, fragte König Fliegenschwamm und blinzelte verschmitzt. Ich schaute Frau Eule ratlos an.

»Waldbruder«, sagte sie, »stellt jeden Abend ein Schüsselchen mit süßer Milch vor Eure Klausentür.«

Der Kobold schnalzte vor Vergnügen und rief: »Wenn Ihr das tut, dann stehen alle meine Knechte zu Euren Diensten.«

»Gut«, sagte ich, »das verspreche ich gern.«

Frau Eule, die kluge Person, wollte Sicherheit haben und fragte: »Wen werdet Ihr aussenden, König?«

Der Fliegenschwamm reckte sich und flüsterte mit wichtiger Miene: »Kein Gerichtsvollzieher soll die Klause finden. Der Stolperfritz legt sich über den Weg und bringt ihn zu Falle. Der Schlingenpeter wickelt sich um seine Beine. Der Nesselkasper kitzelt ihm die Nase mit Brennnesseln. Der Wasserfranz führt ihn in den Bach. Der Rüttelhans wirft ihm Tannenzapfen auf den Kopf. Der Pickstoffer kneift und sticht ihn in die Waden. Und zuletzt leitet ihn der Wischelwuschel so in die Irre, dass er drei Stunden im Kreise herumläuft und dann wieder am Eingange des Waldes steht. Das wird wohl genügen. Wenn nicht, dann müssen wir dem Kerl ein Bein brechen.«

»Um Gottes willen«, rief ich aus, und Frau Eule meinte auch, das sei gerade nicht nötig.

Wir schieden als gute Freunde. Ich stellte abends gleich ein Schüsselchen Milch vor die Tür. Es war am Morgen rein ausgeleckt. Seitdem habe ich vom Finanzamte nichts mehr gesehen. Gehört habe ich in den ersten Tagen zuweilen ein Schimpfen und Fluchen, aber allmählich ist es ganz still geworden. Das Schüsselchen Milch stelle ich getreulich hin, und die Kobolde besuchen mich jetzt zuweilen als gute Freunde, aber ganz verstohlen in der Dunkelheit. Ich kann bemerken, dass sie ein bisschen fett geworden sind.

In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber

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