Читать книгу "Alles schaukelt, der ganze Bunker schaukelt" - Barbara Halstenberg - Страница 11

»Alle waren ausgebombt, wir hatten nichts.« Aenne Fiedler

Оглавление

(Geboren 1936 in Hamburg, Handelskauffrau)

Während ich auf der Kinderlandverschickung war, wurde unsere Hamburger Wohnung in Schutt und Asche gebombt. Das ganze Haus war weg. Meine Eltern kamen in ein Lager für Ausgebombte. Dort wohnten wir nach meiner Rückkehr mit zwei Familien in einem Zimmer. Kochgelegenheiten gab es nicht, wir wurden zentral versorgt. Am Stadtrand in Geesthacht wurden dann Plattenhäuschen für Hamburger Ausgebombte gebaut, Behelfsheime sagte man dazu. Dort durften wir einziehen. Wir kamen mit einem kleinen Bollerwagen, in dem wirklich nur vier Stühle und ein paar Decken waren, sonst nix. Unser Haus hatte 39 Quadratmeter, wo wir mit vier Personen wohnten. Es gab ein Plumpsklo, einen Herd, der nie ging, und einen kleinen Kanonenofen. Das war alles. Zwei Räume hinten und eine relativ große Küche.

Während wir in Hamburg immer in den Keller mussten, die Bomben fielen und die Frauen weinten und schrien und ich Ohrenschmerzen bekam, störte mich das ganz schlichte, ärmliche Leben in den Behelfsheimen gar nicht. Die Hütten standen direkt am Wald. Wir Kinder konnten spielen wie verrückt – übers Feld und im Wald.

Natürlich hungerten wir, es gab keine Milch, kein Mehl, keine Butter, keinen Zucker. Aber es ging uns allen so. Dreihundert Familien wohnten in den Behelfsheimen, alle waren ausgebombt, wir hatten nichts.

Jede Person bekam Lebensmittelkarten. Man konnte aber nicht sagen, ich schneide mir jetzt eine Mehlmarke aus und geh Mehl kaufen, sondern die Lebensmittel wurden immer aufgerufen. Dann hieß es zum Beispiel, es gibt Nährmittel. Das konnten Nudeln, Reis, Mehl oder Graupen sein. Und dann gingen wir zum Laden, standen in der Endlosschlange an, bis wir drankamen, um unsere hundert Gramm pro Person abzuholen. Ich weiß noch ganz genau, einmal war gerade zu Ostern Zucker ausgeschrieben worden. Ich musste mich zuerst anstellen, meine Mutter löste mich nachher ab und ich dachte: ›Nun krieg ich endlich Zucker!‹ Nee, weißte was es dann gab? Fondanteier! Mensch fand ich das toll. (Sie lacht.) Eine Handvoll davon gab es für jede Familie. Die hüteten wir Kinder wie unseren Schatz. Ostersonntag gingen wir Kinder mit unseren Eiern in den Wald. Wir aßen sie nicht auf! Wir leckten immer rundum.

»Ich leck erst das Gelbe!«

»Nee, ich das Weiße!«

»Ich die Hälfte!«

»Ich ein Viertel!«

Oh Gott, nee! Aber das schärft dir nachher die Sinne dafür, wenn du wieder alles haben kannst, dass du das nicht einfach nur hinnimmst. Herrgott was sind wir heute reich! Haben Heizung! Das hat mich zu einem Menschen gemacht, der eine Zufriedenheit daherbringt. Diese Sachen haben mich geprägt.

In unserer Nähe lag eine Pulverfabrik, die Krümmel Dynamit AG. Das war natürlich ein heiß begehrtes Ziel für britische und amerikanische Bomber. Unser Nachbar hatte uns einen Bunker am Waldrand gebaut, ein tiefes Erdloch, über dem Baumstämme und Äste lagen. Unten auf der Erde lag Stroh. Bei Alarm saßen wir mit der Nachbarsfamilie zusammen in diesem Bunker. Wir mussten uns ein bisschen ducken. Das Nachbarsmädel war in meinem Alter. Wenn wir zusammen im Bunker saßen sagte Martha öfter: »Aenne, ich muss mal.«

Ich sagte: »Ich könnte aber auch mal müssen.«

Dann horchten wir immer, ob es knallte, und warteten noch ein bisschen. Endlich war es ruhig, wir raus aus’m Bunker. Kaum hatten wir die Büchsen runter, ging das Geballer wieder los. Dann hatten wir Angst. Manchmal sahen wir die Markierungen runterfallen, die Tannenbäume, die das Ziel erhellten. Der alte Morrmann, der vor seiner Tür gestanden hatte, ist so erschlagen worden. Ein paar Einschüsse gab es immer hier und da.

Wenn der Alarm während der Schulzeit war, fuhren Wagen umher, kassierten uns Kinder ein und brachten uns in die großen runden Bunker mit meterdicken Wänden. War der Angriff vorbei, wurden die dicken Eisentüren aufgemacht und wir konnten raus. Ja, hmm, wo war man denn? Kannte ich die Gegend? Nein. Von diesen Bunkern fand ich nie nach Hause. Einmal war ich losgegangen, dachte, ich werd schon was finden, was ich wiedererkenn. Ich war aber offensichtlich in die verkehrte Richtung gelaufen, fing an zu weinen, wollte nach Hause und hatte Hunger. Eine Frau griff mich auf und kochte mir eine Milchsuppe. Sowas mochte ich eigentlich nicht, aber diese hab ich verschlungen. Danach brachte mich die Frau auf den richtigen Weg.

Man hat mir viel abverlangt. Eigentlich ein Leben lang. Ich war ja auch noch wirklich klein. Musste jeden Tag was arbeiten, Holz sammeln, Milch nach der Schule mitbringen. Der Milchmann lag auf der Strecke, also brachte ich ihm die Kanne und nahm sie auf dem Rückweg mit. Da waren 1,5 Liter drin und die Kanne hatte noch nicht mal einen Deckel. Manchmal kam ich auch mit weniger als anderthalb Litern zurück. Nicht dass ich die getrunken hätte, sondern dann war auf dem Rückweg Fliegeralarm gewesen. Ich musste mich unter irgendwelchen Bäumen hinkauern, und dabei kippte die Kanne um. Wegen diesem Kram kriegte ich dann immer Ärger. Aus heutiger Sicht hätte man mir Grundsätzlichkeiten gewähren müssen. Finde ich. Aber das machte mir vielleicht damals nichts aus. Meinen Freundinnen ging es allen so. Auf das Kindsein wurde wenig Rücksicht genommen. Die Kinder mussten die komischsten Sachen machen. Wer von den Nachbarn keinen Hahn hatte, musste befruchtete Eier tauschen. Ich weiß noch, wie in der Nachbarschaft eine Glucke das Brutgeschäft angefangen hatte und dann abgestiegen war. Also mussten sich die Kinder dieser Familie jeden Tag abwechseln und die Eier warm halten. Tagsüber lagen sie mit den Eiern im Bett und nachts kriegten sie die Eltern ins Bett.

Das Einzige, wovor ich immer noch Angst habe und wovon ich noch heute manchmal träume, sind diese Flugzeuge, die bei Nacht den Himmel erhellen und was abwerfen. Dann verdunkelt sich der Himmel und ich denke: Was machste jetzt, wo gehste hin? Kannst eigentlich nirgends hin, es ist überall dunkel! Und dann fallen auch schon Sachen runter und ich wache schweißgebadet auf.

So ist meine Geschichte. Sie ist eigentlich tröstlich, würde ich sagen. Denn sie beinhaltet auch eine Menge Menschlichkeit. Und wenn man die erkennt, dann schwindet das Negative. Oder du steckst es in Schubladen, die vielleicht klemmen und die du nicht wieder aufmachen musst. Das muss ich ja nicht, wenn ich das nicht will!



Подняться наверх