Читать книгу "Alles schaukelt, der ganze Bunker schaukelt" - Barbara Halstenberg - Страница 9
»Die Bomben, die euch treffen, die hört ihr nicht.« Waldemar Klemm
Оглавление(Geboren 1936 in Berlin, Sozialarbeiter)
Dann kam der Krieg. Unser Haus wurde zerstört. Wir überlebten im Keller, unsere Nachbarn nicht, von denen kam keiner aus dem Keller wieder raus. Wir wurden mit einem Programm für obdachlos gewordene Familien außerhalb der Stadt in eine Villa umgesiedelt. Dann fiel da die Bombe. Dann war da die Hälfte tot und wir überlebten wieder.
Meine früheste Kindheitserinnerung: Nachdem unser Haus in Berlin zerstört worden ist, kommen wir aus dem Keller raus. Wir laufen mitten auf der Straße, weil links und rechts die Häuser brennen. Sie brechen in sich zusammen. Auf dem Bürgersteig ist es unmöglich zu laufen. Es ist nachts und hell erleuchtet, weil alles brennt. Das sind Eindrücke, die bleiben einem. Da war ich sechs. Wir waren im Keller verschüttet, die Männer mussten uns erst freigraben. Auf der Straße lag noch eine Puppe aus unserer Wohnung. Die Wohnung war nicht mehr da. Die Puppe nahmen wir mit.
Für unsere Mutter muss es fürchterlich gewesen sein. Sie musste uns immer aus dem Tiefschlaf reißen und uns in den Keller schleppen. Dort hörten wir das Pfeifen der Bomben und das fürchterliche Beben vom ganzen Haus. Die Erwachsenen erklärten uns, das sei gar nicht so schlimm: »Wenn ihr den Schall hört, dann ist es schon erledigt, dann wurden wir nicht getroffen. Die Bomben, die euch treffen, die hört ihr nicht.« Das verstand ich nicht, aber es war ein Trost. Zuerst hörten wir ein fürchterliches Pfeifen, und gleich danach rumste es dann. Im Keller waren die Leute ängstlich, aber ruhig. Zwischendurch Rufe: »Oh Gott, jetzt schon wieder!«
»Nein, die hat uns nicht getroffen!«
»Wo mag die Bombe runtergekommen sein?«
Sie glaubten, auch das Pfeifen unterscheiden zu können.
»Das war eine Sprengbombe und das war eine Mine.« Die Minen waren schlimmer als die Sprengbomben. Die Phosphorbomben brannten tagelang in unserer Straße. Die Feuerwehr hatte gespritzt, fuhr weg und es brannte weiter. Phosphor lässt sich nicht mit Wasser löschen.
Bei der zweiten Ausbombung lag der Bombentrichter fünfzig Meter von unserem Haus entfernt. Die Bombe hatte unser Haus nicht getroffen, sonst wären wir nicht mehr da. Es war schlimm. Es ist ein dumpfes Geräusch, das auf die Ohren geht, wenn ein Haus in sich zusammenfällt. Wir mussten uns freibuddeln. Das sind schon ganz üble Erinnerungen … Ein Mann, der mit uns im Haus gewohnt hatte, sagte die ganze Zeit: »Wo geht es denn lang, ich kann ja nichts sehen.« Ich sagte: »Guck mal, da geht es lang.«
Flüchtende Frauen und Kinder in einer umkämpften Straße in Danzig (März 1945)
Bei Tageslicht konnte er immer noch nichts sehen. Er war erblindet, hatte Splitter ins Auge gekriegt. Mein Bruder hatte Glassplitter ins Gesicht bekommen. Noch zehn Jahre später kamen sie an der Stirn oder neben dem Auge raus.