Читать книгу "Alles schaukelt, der ganze Bunker schaukelt" - Barbara Halstenberg - Страница 22

»Jetzt bin ich der Herr und du der Knecht!« Edel S.

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(Geboren 1930 in Schlesien, Pfarrhaushälterin)

Wir waren schon lange auf der Flucht gewesen. Vater war von den Russen abgeholt worden und nach Wochen wiedergekommen. Meine Mutter und wir Kinder mussten auch wochenlang für die Russen auf einem Hof arbeiten. Nach dem 8. Mai hieß es: Alles wieder nach Hause! Also machten wir uns auf den Rückweg.

Wir kommen endlich nach Hause! Von Weitem gucken wir schon, ob die Häuser noch stehen oder verbrannt sind. Und ach, da sehen wir, unser Haus steht noch! Es regnet doll, wir laufen schnell ins Haus, lassen den Wagen davor stehen. Innen ist alles verwüstet und rausgeklaut. Nur noch ein Sofa steht im Wohnzimmer. Wir machen ein bisschen sauber und wollen den Wagen abladen. Inzwischen war polnische Miliz auf den Hof gekommen und lud vom Wagen runter, was ihnen gefiel. Sie nahmen mir auch noch meine kleine Armbanduhr ab. Wir konnten nichts machen! Im Vorgarten, wo Blumen und Gemüse gepflanzt waren, stand ein kaputter Panzer. Vor dem Wohnzimmerfenster lag das Geschirr zerschmissen, alles kaputt. Die Ställe waren leer, die Dreschmaschine war auch weg. Mein Vater hatte Angst, dass sie uns noch das letzte Pferd stehlen würden, und stellte es abends in die Kartoffelkammer, die kein Fenster hatte. Eines Nachts wurde Vater vom Hufklappern des Pferdes im Hof wach. Die Polen hatten es aus dem Versteck geholt.

Es war Anfang Juni, die Kartoffelmieten standen noch. Kartoffeln werden im April gelegt, aber wir Kinder sortierten die Kartoffeln und pflanzten noch sieben Morgen. Im Juli kam ein Pole an, ein junger Kerl mit seinem Mädchen. Er hatte einen Zettel dabei, stellte sich vor meinen Vater und sagte: »Jetzt bin ich der Herr und du der Knecht!« Ich meine, das sind Tatsachen, da kann kein Mensch … Wir mussten die besten Stuben räumen, und meine Eltern mussten für den Polen arbeiten. Ich weiß gar nicht, wie wir so noch gelebt haben.

Dann hieß es, eine von uns Deutschen muss sich beim Bauern Opitz einfinden. Ich weiß nicht, warum ich ausgewählt wurde, vielleicht weil ich die Älteste war. Ich musste bei diesem Polen arbeiten. Er hatte eine Frau, eine ganz zierliche, feine Frau – eine Warschauerin mit Hündchen im Bett. Den musste ich bedienen. Ich musste in der Küche für ihn kochen und abwaschen – musste alles machen. Für mich war das, wie soll ich Ihnen das erzählen – ich musste das Frühstück ans Bett bringen. Abends ging ich nach Hause, morgens musste ich wieder da sein, aufräumen und saubermachen. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich bekam dort zu essen. Wenn sie Besuch aus Warschau bekamen, kochten sie mal selber was. Ihre besonderen Gerichte, eine Suppe mit roter Bete. Davon wurde mir schlecht.

Eines Tages bekamen wir einen Bescheid. Wir sollten unterschreiben, dass wir Polen werden. Die Deutschen, die noch da waren, taten sich zusammen und sagten: »Wir sind doch Deutsche, wir wollen doch nicht Polen werden. Wo die uns so schlecht behandelt haben.« Wir haben einfach nicht unterschrieben. Deswegen wurden wir wohl von den Polen rausgeworfen. Nach einem Jahr, im Oktober 46. Auch an diesem Tag arbeitete ich bei dem Polen, seine Frau war verreist. Er verhielt sich komisch, ich sollte ihm am Abend Badewasser fertig machen. Er versuchte, mich aufzuhalten. Er muss gewusst haben, dass unsere Abreise bevorstand. Ich stand schon mit einem Fuß in der Tür. Es kam mir komisch vor. Ich war beinahe vierzehn Jahre und musste schon sowas erleben. Ich fasste Mut, schlug die Tür zu, rannte im Dunkeln nach Hause und erzählte es meiner Mutter.

Was soll ich sagen, in der Nacht um zwölf wurden wir mit großem Hallo geweckt und es hieß, innerhalb einer Stunde müssten wir weg! Jetzt … was mitnehmen? Uns blieb nur, was wir tragen konnten. Ich weiß gar nicht, wie wir das überhaupt ausgehalten haben. Die Stunde war noch nicht um, da mussten wir uns in einer Gastwirtschaft einfinden. Gegen Morgen wurden wir auf einen Sammelplatz in die nächste Kreisstadt transportiert und auf Viehwaggons aufgeteilt. Ungefähr 36 Personen mit Sack und Pack in einen Waggon. Mensch … Wenn ich mir das überlege! Das war im Oktober, es war schon kalt. Vierzehn Tage waren wir unterwegs. Neben uns saß der Pfarrer aus dem Heimatort meiner Mutter, Kaulwitz. Auf den wenigen Säcken, die wir dabeihatten, haben wir gesessen. Der Pfarrer guckte immer durch die Schlitze oben im Waggon. Wir hatten Angst, dass sie uns nach Russland bringen.

Keiner wusste was. Wir landeten im Lager Radeberg. Onkel Johann, Vaters Bruder, hatte das Pech und einen Platz ganz vorne an der Zugtür gehabt. Es war kalt gewesen. Er wurde krank und starb im Lager. Ach, war das furchtbar für meinen Vater! Am 1. November bekamen wir die Nachricht, dass wir bei Neustadt (Dosse) in einem Dorf unterkommen würden. Uns wurde ein Zimmer zugeteilt. Wir hatten nichts. Wir mussten uns durchschlagen. Die Bauern gaben uns nichts.

Als ich 69 zurück nach Schlesien fuhr – wir hatten noch Verwandtschaft da –, was meinen Sie, wie wir da begrüßt wurden! Mein Bruder bekam einen Blumenstrauß und unsere Eltern sollten doch auch kommen. Der Bruder meines Vaters war mit seiner Frau polnisch geworden. Die Polen wohnten noch da, aber sie hatten ein gutes Verhältnis. Alles war wunderbar. Aber wie es da ausgesehen hat! Ich hab es meinen Eltern erzählt. Manche Polen waren sehr nett, es waren ja auch Vertriebene, die auf die Güter der Deutschen kamen. Manche gaben sich Mühe, ich sah viele Güter, die in Schuss gebracht worden waren. Aber bei uns auf dem Gut war es leider nicht so. Die Scheunen alle leer, kein Vieh …



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