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Vergewaltigungen »Nachdem wir vergewaltigt wurden, spielte ich krankes Kind …« Christa Ronke

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(Geboren 1929 in Berlin, Sekretärin)

Ab dem 23. April 45 schliefen wir im Keller auf Matratzen. Mutti, ich und noch drei weitere Frauen und der vierzehnjährige Hans-Jörg aus dem Haus. Tagsüber standen wir ständig nach Lebensmitteln an. Das war das Wichtigste, denn bald würde es nichts mehr geben. Was kümmerte uns da die Schießerei. Wir fanden ein Flugblatt auf der Straße, Befehl des Reichsverteidigungskommissars Dr. Goebbels: »Die Stadt Berlin wird bis zum Letzten verteidigt! Kämpft mit fanatischer Verbissenheit um eure Frauen, Kinder und Mütter. Wir werden bestehen …« Da hatte natürlich keiner mehr dran geglaubt!

Am 24. April kam plötzlich mein Vater mit dem Rest seines Bataillons. Er sollte Berlin verteidigen. Wir beschworen ihn, die Uniform auszuziehen und hierzubleiben. Aber als Bataillonskommandeur, der noch einige Soldaten bei sich hatte, konnte er das einfach nicht. Er wollte mit seinen Leuten gen Westen – da in Gefangenschaft, nicht zu den Russen. Er ging weg und wir hörten nichts mehr von ihm.

Und dann kamen die Russen. Ich war fünfzehn. Erstmal vergewaltigten sie uns. Aber nur einmal – bin ich noch froh. Nachdem wir vergewaltigt wurden, spielte ich krankes Kind, legte mich ins Bett und weinte, wenn sie kamen: »Uäh!« Meine Mutter machte auf alte Frau mit Kopftuch und jammerte und weinte ums Kind, damit die Russen ein bisschen Mitleid hatten, wenn sie kamen. Das klappte auch, sie ließen uns in Ruhe. »Ach Gott, das arme Kind …« Ich war so richtig kindlich dann im Bett. Aber dann kamen sie und wollten unsere Wohnung haben. Wir mussten raus. Leider war mein Kanarienvogel noch drin. Mein Pfäffchen konnte ich nicht mitnehmen. Und das Pfäffchen hatte doch schon die schwere Luftmine gut überstanden, die unser Haus im Sommer 44 zerstört hatte. Danach war er zwischen den Trümmern rumgeflogen und ein Polizist hatte ihn eingefangen. Wir hatten gehofft, dass er den Krieg übersteht.

Sie liest aus ihrem Tagebuch von 1945 vor:

27. April

Zwei schreckliche Tage liegen hinter uns. Wir wohnen jetzt in einem Gemeinschaftsquartier in Berlin-Nikolassee. Ich habe mir gerade einen Bleistift besorgt und will nun berichten:

Vorgestern war es so weit. Artilleriebeschuss, Tiefflieger, Bomber; diesmal alles in Russisch, über Dahlem und Zehlendorf. Wir lebten nur noch im Keller und trauten uns nicht mehr hinaus. Gegen Mittag sah ich durch das Fenster drei Soldaten in fremder Uniform. Die ersten Russen! Sehr aufgeregt rief ich gleich die andern aus dem Keller herbei. Etwas später bummerte es an die Haustüre. Zwei Russen! Einer davon sah gut aus und war auch sehr freundlich. Sie fragten nach deutschen Soldaten und Waffen. Dann durchsuchten sie alles, zeigten auf Mutti und mich, meinten wohl »Mutter und Tochter«, und gingen wieder. Sollten die Russen doch ganz vernünftig sein? Meine Armbanduhr steckte ich aber schnell noch in den Papierkorb. Gleich darauf kamen die nächsten. Ein am Auge verwundeter Soldat zog mich aus dem Zimmer raus. Mutti flehte ihn an, wurde aber zurückgeworfen. Ich wollte mich wehren, doch er fummelte daraufhin sofort an seiner Pistole. Noch etwas taumelnd vor Ekel, aber irgendwie doch froh, dass ich noch lebte, kehrte ich bald wieder zurück, und Mutti und die anderen trösteten mich. Inzwischen war auch Frl. S. von einem Soldaten mit »Uri, Uri« so bedroht worden, dass sie meine Uhr aus dem Papierkorb grub und dann doch noch vergewaltigt wurde. Als die Russen weg waren, mussten Mutti und ich schnell überlegen, ob ich »alte kranke Frau« oder »blödes krankes Kind« spielen sollte. Das Kindliche lag mir – mit fünfzehn Jahren – natürlich mehr. Ich flechtete mir also Zöpfe und nahm meine beiden künstlichen Zähne (die echten hatte ich bei einem Unfall verloren) vorne heraus. Die nächsten Russen griente ich, auf einer Matratze liegend, blöd durch meine Zahnlücke an. Mutti, die auf »alte Frau« gemacht hatte, sagte verzweifelt weinend: »Kind sehr krank«. Uninteressiert wandten sich die Russen von uns ab, einer schenkte mir sogar ein Stück Brot. Frau H. und Frl. S. (zum zweiten Mal) wurden auch noch von Russen herausgeholt, obwohl sie sich versteckt hatten.

Dann mussten wir das Haus verlassen, da russische Soldaten es besetzen wollten. Schnell packten Mutti und ich zwei Rucksäcke mit Lebensmitteln. Wir wollten zu Tante Eva und Onkel Ossi, die in Zehlendorf wohnen. In den Straßen waren viele Russen, Panzer standen in den Dahlemer Gärten und Schüsse peitschten an uns vorbei. Kurz vor Tante Evas Haus hielten uns Russen an, die meinten, »dort bum bum«. Wir mussten umkehren und irrten weiter durch die Straßen. Plötzlich kamen aus einem Gebüsch zwei junge deutsche Soldaten heraus, die gar nicht wussten, dass alles schon russisch ist. Hoffentlich sind sie ihre Uniformen noch schnellstens losgeworden, wie wir ihnen rieten. Da es schon dunkel war, klingelten wir jetzt einfach an einer Haustür und konnten auch unterkommen. Zufällig war das eine günstige Gegend, denn wir hatten eine ruhige Nacht.

In dieser Nacht war in Dahlem die Hölle los. Stalin soll angeblich seinen Soldaten für drei Tage alles erlaubt haben als Belohnung für die Eroberung von Berlin. In Dahlem wohnten einige hohe Nazis, daher haben sie sich in diesem Bezirk ganz besonders ausgetobt. Am gefährlichsten waren die Betrunkenen. Den Schnaps dazu fanden sie in mehreren Kellern.

Am nächsten Morgen mussten wir unser Nachtquartier wieder verlassen. Draußen kamen uns viele Flüchtlinge aus Dahlem entgegen, die es in ihren Häusern nicht mehr ausgehalten hatten und gen Westen wandern wollten. Mutti und ich schlossen sich einem kleinen Trupp von ungefähr vierzig Leuten an, der von einem Professor mit russischen Sprachkenntnissen geführt wurde. Wie ungeheuer wichtig diese russischen Worte sind, erfahren wir jetzt täglich. Nach einiger Zeit gaben wir das Wandern auf und nahmen in einer leeren Villa in Schlachtensee in zwei Kellerzimmern Quartier.

Hier hausen wir nun, zwanzig Leute in einem Zimmer, schlafen auf harter Erde (Alte und Kranke auf Decken oder Matratzen, die wir im Haus fanden) und trauen uns nicht auf die Straße. Je mehr Menschen, umso sicherer fühlt man sich. Draußen bummert es noch, aber schon weiter entfernt. Eben kamen wieder drei Russen, um das Haus angeblich nach Schnaps, Pistolen und Uhren zu durchsuchen. Als sie gerade in unseren Raum wollten, hat der Professor mit ein paar russischen Worten abgelenkt. Wie kindlich sie sich freuen, wenn jemand ihre Sprache spricht!

28. April

Im Garten haben wir uns eine Kochstelle gebaut, auf der einmal am Tag eine Eintopf-Mahlzeit gekocht wird. Jeder muss dafür etwas abgeben, und mehrere Einweckgläser und Nährmittel fanden wir in der Villa gegenüber, wo sich vier Menschen das Leben genommen haben.

Vorhin rannte der elfjährige Jürgen schnell ins Haus, als er Russen kommen sah. Die Soldaten kamen sofort nach, da sie angeblich dachten, es wäre ein deutscher Soldat gewesen. Sie untersuchten alles, wurden wütend und drohten dem Professor mit Erschießen. Ich weiß nicht genau, wie er sich doch noch herausgeredet hat. Wir waren alle wie erstarrt.

29. April

Es ist herrliches Wetter, und ich habe mich etwas in den Garten gelegt und gesonnt. Wie schön das ist, wenn ich die Augen schließe und ein bisschen von einer Welt ohne Bomben, Angst und Hunger träume …

Als wir nach ungefähr zwei Wochen zurück in unsere Wohnung kamen, war mein geliebtes Pfäffchen, dem ich schnell alles Restfutter reingestreut hatte, nicht mehr da. Der Käfig auch nicht. Den hatten die Russen wohl mitgenommen. Die Wohnung war nicht wiederzuerkennen. Die Haustür durchschossen, die Polster der Möbel aufgeschlitzt, sämtliche Spiegel kaputt, die Schränke ausgeräumt. Aber wir waren dankbar, dass wir wieder in die Wohnung konnten. Ich fand unser Fotoalbum, wo auch Fotos von meinem Vater drin waren. Jedes Bild, auf dem er eine Uniform trug, war durchstochen. Das muss den Russen wirklich Spaß gemacht habe, nochmal einen Deutschen, wenn es auch nur ein Bild war, zu erstechen. (Sie lacht.) Wir räumten in der Wohnung auf. Die Möbel waren teilweise zerstört, die Toilette war voll … Aber wir waren dankbar, dass wir wieder in die Wohnung konnten.

20. Mai

Eigentlich ist das Leben doch wieder ganz schön. Es ist Friede – Friede nach fast sechs Jahren. Kein Sterben mehr an der Front, keine Bombenangriffe in der Heimat. Wie schön, nachts wieder ruhig schlafen und nicht mehr im Keller um das Leben zittern zu müssen. Ich bin jung und gesund und werde leben! Natürlich bleiben die Sorge um die Vermissten, der Hunger, die materielle Not und die Angst vor der Willkür der Besatzungsmacht.

Wir hatten Pferdefleisch zum Mittagessen. Schmeckte prima.

»Im Juni brachte uns eine Frau einen Zettel von meinem Vater. Er hatte ihn weggeworfen in der Hoffnung, dass ihn jemand finden würde. Die Frau hatte ihn auf dem Erdboden gefunden und brachte ihn uns netterweise. So wussten wir, was mit meinem Vater war. Auf dem zerknüllten Zettel schrieb er: »Ich bin in Wannsee in russische Gefangenschaft geraten. Es geht mir gesundheitlich noch gut. Ich hoffe, daß Ihr auch alles glücklich überstanden habt. Wolle Gott, daß wir uns alle einmal gesund wiedersehen … Laßt es Euch gutgehen in dieser schweren Zeit. Wann werden wir uns wiedersehen? Ich hoffe jedoch, daß die älteren Offiziere bald entlassen werden … herzliche Grüße und Küsse …«

Das waren die letzten Nachrichten. Mein Vater starb 1946 in russischer Gefangenschaft im Ural an Typhus …

Was mich in dieser Zeit geprägt hat? Man kann die schlimmsten Zeiten überstehen, wenn man optimistisch ist …



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