Читать книгу Spirituelles Selbstmanagement - Barbara von Meibom - Страница 11
Macht und Mächtigkeit als Energie und Wesensausdruck
ОглавлениеEin ganz anderes Verständnis von Macht ist, wenn wir Macht als eine Energie begreifen. Ein solches Verständnis von Macht finden wir sowohl in unserem Kulturraum als auch in anderen Kulturen.
Macht im Sinne von Energie nennt Karlfried Graf Dürckheim Mächtigkeit. Sie sei im Sein eines Menschen angelegt – ohne jedes Verdienst, sozusagen von Anfang an.
Dürckheim unterscheidet zwischen Stufe, Rang und Mächtigkeit als Wesenqualitäten des Menschen. Er spricht von einer elementaren Mächtigkeit, in der sich das Sein „als wesenseigenes Maß an ursprünglicher Entfaltungsfülle, Bewältigungskraft, Tragkraft und Standfestigkeit“ manifestiert:
„Die Seinshaltigkeit des Wesens ist bei den Menschen ursprünglich verschieden. Sie haben in ihrem Wesen in unterschiedlichem Maße teil an der Fülle, Urbildlichkeit und Einheit des Seins und so auch in ihrem Wesen heraus ein unterschiedliches Maß an ursprünglicher Lebensmächtigkeit, Geformtheit und Einigungskraft. Sie bekunden diese Verschiedenheit aus dem Wesen in einem sie unterscheidenden Grad an ursprünglicher Unabhängigkeit gegenüber den Bedrohungen des Daseins, in einem sie unterscheidenden Grad an ursprünglicher Formgültigkeit und Maßgeblichkeit ihrer Erscheinung und endlich in einem sie unterscheidenden Grad an ursprünglicher menschlicher Größe. Die Verschiedenheit ihres Wesens spricht uns an im Maß ihrer elementaren Mächtigkeit, in der Höhe ihres Ranges und in der Höhe ihrer seelischen Stufe.“11
Menschen mit hoher Mächtigkeit seien „wie Bäume, die breit, nach unten verwurzelt, einen unumstößlichen Lebensstamm haben und mit der ausladenden Breite und Krone viel Raum beherrschen – ohne verdienstvolles Bemühen.“ Ihnen sei eine „natürliche Kühnheit“ zu eigen … [als] „Ausdruck einer unmittelbaren Gegründetheit im Sein“, eine „natürliche Fülle“, „blutvolle Lebendigkeit …“. „Die Atmosphäre, die sie umgibt, und die Strahlung, die von ihnen ausgeht, ist mit pulsierendem Leben geladen ...“12
Solche Menschen gewinnen Macht, weil sie von Natur aus macht-voll sind, d.h. voller Energie und Lebenskraft. Wie diese Menschen ihre Macht einsetzen, ist eine ganz andere Frage; Dürckheim würde sagen: Das hängt von ihrem Rang und ihrer Stufe ab. Mächtigkeit im so verstandenen Sinne ist einfach eine im Wesen angelegte Energie, die zur Verfügung steht, egal, ob sie ethisch rückgebunden ist oder ob sie dem Verfolgen eigener Interessen dient, ob sie also dem Leben dient oder sich ganz im Gegenteil gegen das Leben wendet.
Genau diese Neutralität der Macht als Energie macht ihre Chance und ihre Gefährlichkeit aus. Macht kann, da sie eine Energieform ist, für oder gegen Menschen, für oder gegen das Leben, für oder gegen die innere und äußere Natur eingesetzt werden. Die Mächtigkeit eines Menschen ist wie ein Rohdiamant, scharf und schneidend, ungefasst. Wo mächtige Persönlichkeiten sich gegen das Leben wenden und aus einer Haltung der Nekrophilie (Erich Fromm) und der Ichbezogenheit ihre Interessen auf Kosten der anderen ausleben, ziehen sie schwächere Menschen in ihren Bann und sorgen dafür, dass sich diese Art beschädigender Macht in Organisationen und Strukturen verfestigt. Hier kann Macht zur Gewalt werden und damit zum Schreckensbild von Machtgebrauch schlechthin. Die Geschichte bietet dafür zahllose Beispiele: Nationalsozialistischer Faschismus, koloniale oder ethnische Apartheidsregime, Terrorismus welcher Couleur auch immer. Solche Machtregime werden von machtvollen Persönlichkeiten angeheizt, manipulativ und lebensverachtend strukturell eingeführt und verankert und können sich – dank Angst und Mitläufertum – an der Macht halten.
Wo hingegen der Rohdiamant der Mächtigkeit durch die Liebeskraft zum Brillanten geworden ist, kann dieselbe Energie zu einer lebensfördernden und lebenserhaltenden Quelle werden, die hilft, Wildwuchs zu beschneiden, Recht durchzusetzen, Unrecht zu bekämpfen, die Schwachen zu schützen und sie zu ihrer eigenen Kraft zu ermutigen und zu ermächtigen. Auch solcher Machtgebrauch kann sich organisatorisch-strukturell niederschlagen – in einem Völkerbund, einer UN, einem Roten Kreuz, in einem Nobelpreis, einem Sozialversicherungssystem oder im Kleinen: einer Wohltätigkeitsgründung, einer organisierten Nachbarschaftshilfe oder in einer Initiative, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, Menschen in Arbeit zu vermitteln. Klassische Beispiele für diesen anderen Gebrauch von Macht liefern Heroen wie Nelson Mandela, Martin Luther King, Mahatma Gandhi, Theresa v. Avila, Bertha v. Suttner, Mutter Teresa oder Elisabeth Selbert, die Mutter des Gleichberechtigungsartikels des Grundgesetzes oder Eleanor Roosevelt, die maßgeblich war für die Verabschiedung der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen im Jahr 1948. Doch neben diesen bekannten Heroen gibt es die vielen kleinen Helden und Heldinnen des Alltags, die ihren Beitrag zur Humanisierung des Machtgebrauchs leisten.
Geschichte lässt sich verstehen als ein nie endender Versuch, die Dämonen ungehobelter Mächtigkeit zu zähmen und Macht zum Wohle von Mensch, Mitwelt und Natur zu kultivieren. Dies ging immer einher mit sozialen und politischen Aushandelungsprozessen einerseits, mit der Entwicklung von Strukturen, die helfen sollten, Machtbalancen zu erzeugen (wie z.B. die Gewaltenteilung in der Demokratie), aber auch mit ethisch-moralischen Anstrengungen auf der individuellen Ebene durch Bildung und Erziehung, die eine intrinsische Zähmung oder Einbindung von Macht unterstützen sollten.
Ohne Macht und Mächtigkeit ist eine Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse nicht möglich. Das gilt auch für jeden Versuch, Macht einzusetzen, um eine Welt im Aufruhr und am Rande des Abgrundes in eine lebensfähige und nachhaltige Zukunft zu führen. Darum ist es unverzichtbar, sich mit Macht und Mächtigkeit auseinanderzusetzen und einen Weg zu suchen, wie sie im Geist der Liebe ausgeübt werden können. Es geht also darum, Macht und Liebe miteinander – zu unser aller Wohl – zu versöhnen.