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Angst vor Macht und Mächtigkeit – Der Weg der Frau?

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Vor mir sitzt Marianne (Name geändert). Sie nimmt an meiner Seminarreihe zum Spirituellen Selbstmanagement teil. Heute ist sie zur Einzelstunde gekommen. Die letzten Male hat sie die Gruppe in Atem gehalten. Sie fühlt sich ohnmächtig und ausgeliefert und neigt zugleich dazu, die gesamte Aufmerksamkeit der Gruppe auf sich zu ziehen, indem sie – zu ihrem eigenen Erschrecken – mit schöner Regelmäßigkeit in Tränen ausbricht. Sie „sitzt“ auf ihrem Geheimnis, einer Missbrauchserfahrung, die sie bis heute nicht verarbeitet hat. Nun hat sie sich entschieden, im Schonraum der Zweierarbeit „auszupacken“. Sie möchte sich befreien von der Last, die auf ihr liegt.

Dies geschieht, doch wir bleiben nicht dabei stehen. Es dauert nicht lange und wir stoßen auf einen harten Machtkern, mit dessen Hilfe sie längst gelernt hat, ihre Umgebung zu manipulieren, zuvorderst ihren Mann, als dessen Opfer sie sich sieht. Sie wagt einen Blick auf sich selbst, entdeckt ihre eigenen Manipulationsstrategien und öffnet sich dafür, sehr vorsichtig und noch sehr vorläufig, ihre machtvolle Seite in einen Dialog mit der inneren Ohnmacht zu bringen. Dies ist der erste bewusste Kontakt mit einer inneren Qualität, die sie bisher nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Von dort aus ist der Weg noch weit, wenn sie ihren Machtpol integrieren und einbinden will. In den nächsten Wochen und Monaten tut sie erste Schritte und die Gruppe ist für sie ein Spiegel in diesem Prozess. Er durchläuft alle Stadien: anfängliche Freude an der wiederentdeckten Macht, Wut über das bisherige Abgeben der eigenen Macht, aggressive Entladung, indem sie diese Wut auf die Gruppenleiterin projiziert, Rückfall in die kindliche Ohnmacht, Versuche, die Kontrolle über die bedrohlichen Gefühle zu gewinnen, indem sie die Spaltung der Gruppe betreibt, schließlich Rückzug, als es gilt, sich und andere aus einer Haltung der Verantwortung heraus zu führen. Den letzten Schritt der Integration wagt Marianne vorläufig nicht.

Mit ihren Wechselbädern von Gefühlen zeigt uns Marianne die Schattenkämpfe zwischen Ohnmachts- und Allmachtsempfindungen, die den Weg hin zur Selbstermächtigung bahnen. Immer wieder flackern innere Widerstände auf, die verhindern, die eigene Macht liebevoll anzunehmen und sie produktiv für sich und andere zu wenden. In die Seele ist das Muster eingeschliffen, Opfer zu sein. Dass aus dieser Opferhaltung eine äußerst effektive Manipulationsstrategie von sich und anderen erwachsen ist, darf nicht ins Bewusstsein treten, gälte es doch dann, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und sie nicht auf andere abzuschieben.

Was Marianne uns hier zeigt, ist nur eine – wenngleich eine bei Frauen besonders verbreitete – Variante, mit der eigenen Mächtigkeit umzugehen. Macht und Mächtigkeit sind eine Energie, die dem Wesen zu eigen ist. Sie wird mitgebracht, nicht erworben, bei Männern wie bei Frauen. Doch in einer patriarchalen Gesellschaft wie der unsrigen dürfen Frauen diese Macht weit weniger annehmen, leben und ausdrücken als Männer. Ganz im Gegenteil: Frauen erleben kollektiv und individuell, dass ihre Macht entwertet und negiert wird oder dass sie so grundlegend verletzt werden, dass ihre Macht keine Chance mehr hat, sich genuin zu entfalten.

Wenn eine Businessfrau im Büro vom eintretenden Besucher mit den Worten begrüßt wird, „Ist hier niemand?“, dann ist dies eine unmissverständliche Botschaft der Entwertung für sie als Frau. Wenn die Tochter, die Schwester, die Nichte oder die Nachbarin von Vater, Bruder, Onkel oder Nachbar sexuell missbraucht werden, dann trägt die Seele eine Verletzung davon, die auf dem Hintergrund der kollektiven und geschlechtsspezifischen Ohnmachts-Allmachts-Spaltung in unserer Gesellschaft Frauen in die Ohnmachtsrolle abdriften lässt. Sie erleben sich als Opfer und verharren vielfach in diesem Opferstatus. Sie wagen es nicht, sich öffentlich zu machen, wohl wissend, dass sie dann vom Kollektiv noch doppelt bestraft werden – durch Gefahr an Leib und Leben, durch üble Nachrede, durch Entwertung vor Gericht. Sexuelle Gewalt als Demütigung, körperlich, seelisch, geistig, führt hier zu Schweigen, Schuld und Scham. Frauen reagieren mit Autoaggression, Depression oder auch manipulativem Machtgebrauch. Das Opfer sucht sich dann neue Opfer: Wenn es nicht die eigene Person ist, sind es die Männer, die Kinder oder andere Beziehungspartner. Die eigene Mächtigkeit wird vom Bewusstsein abgespalten; sie richtet sich gegen die Frau selbst oder treibt ihr Unwesen als Rache oder Manipulation.

Auch Annegret (Name geändert) hat den Weg zu mir gefunden. Sie leitet eine Einrichtung mit Jugendlichen, ist dabei äußerst erfolgreich, beliebt, öffentlich anerkannt, innovativ und kreativ. Doch dies ruft Widerstand auf den Plan. Sie wird als zu machtvoll erlebt und der Neid ist nicht weit. Unversehens sieht sie sich einem so massiven Mobbing ausgesetzt, dass ihre berufliche Existenz, Reputation und Zukunft ernsthaft gefährdet ist. Wir finden schnell heraus, dass dahinter eine frühe Missbrauchserfahrung steht, in der sie gelernt hat, über das zu schweigen, was man ihr antut. Sie erkennt und spürt, dass es dieses Mal darum geht, „Farbe zu bekennen“, sich öffentlich zu machen, um den Bann des Schweigens zu brechen. Und sie „steht“. Sie tritt offensiv und öffentlich für sich ein, verteidigt ihre Werte und das, was sie geschaffen hat, und verlässt ihren Arbeitsplatz freiwillig, darauf vertrauend, dass größere Aufgaben auf sie warten. Es dauert nicht lange und sie beginnt mit neuem Selbstbewusstsein eine neue Tätigkeit, die alle ihre Fähigkeiten fordert und in der sie segensreich wirken kann.

Aus der Ohnmachtsfalle herauszukommen, verlangt, wie das Beispiel von Annegret zeigt, eine gehörige Portion Mut. Wer gelernt hat, sich nicht zu zeigen, zu schweigen oder den Angriffen aus dem Weg zu gehen, wird immer wieder an eine Schwelle geführt, an der sich die Chance auftut, aus der Ohnmacht in die Selbstverantwortung zu treten. Die Tür hierzu öffnet sich, wenn Selbstwertschätzung und Selbstakzeptanz sich wie Balsam über die Seele legen und Mut aufkommt, für das eigene Wohlergehen zu sorgen – egal, welche Widerstände dies bei anderen hervorruft. Zu sich selbst zu stehen, bedeutet, aus der Ohmachtsrolle herauszutreten. Es ist ein Schritt der Selbstermächtigung; es ist ein Schritt, die eigene Verwundbarkeit anzunehmen und sich den anderen bewusst zuzumuten. Er ist wichtiger als die Akzeptanz im Außen. Doch genau diese Selbstermächtigung weckt Akzeptanz. Wer sich selbst achtet, wird auch von anderen geachtet.

Die Wege, wie Frauen mit den kollektiven und individuellen Entwertungserfahrungen ihrer Macht und Mächtigkeit umgehen, sind vielfältig: Das liebe Kind, die aufopfernde Helferin, die manipulativ Ohnmächtige, die immer nur mit gebremster Kraft laufende Karrierefrau, die sich selbst Vermännlichende, welche über andere Kontrolle ausübt und die Schwachen „wegbeißt“ – das sind nur einige der Varianten.

Vier Grundtendenzen lassen sich bei Frauen unterscheiden, die bislang noch keinen Weg gefunden haben, ihre eigene Macht positiv zu integrieren: Frauen der ersten Tendenz geben die eigene Macht ab. Das kann auf vielen Wegen geschehen: Sie projizieren ihre Macht auf das männliche Gegenüber, „himmeln“ die männliche Macht an, machen sich selbst zum lieben Kind oder zur Dienerin. Am anderen Ende der Verhaltensmöglichkeiten steht die Rächerin, mythologisch die Medea, die einen Feldzug gegen ihre Unterdrücker führt. Dazwischen liegen die Frauen, die im Opferbewusstsein verharren und – meist unbewusst – ihre Macht versteckt und manipulativ einsetzen. Hier finden wir die Macht der Ohnmächtigen, die mit Migräneanfällen, Verführungskunst oder ständigen Vorwürfen Herrschaft ausüben. Die vierte Möglichkeit ist, völlig im Opferstatus aufzugehen, indem die Macht als Autoaggression gegen sich selbst gewendet wird. In jedem dieser Fälle wird der Schmerz darüber, dass die eigene Macht nicht gelebt wird, in den Schattenbereich der Seele abgedrängt und als Aggression oder Autoaggression gelebt.

Und schließlich gibt es noch eine weitere Variante, wie Frauen sich Macht indirekt und verdeckt holen. Frauen missbrauchen Männer, um stellvertretend für sie Kämpfe auszutragen: den Kampf um Status und Pfründen, den Kampf um Prestige und Ansehen, den Kampf gegen das Fremde und Bedrohliche. Unsere Kriegskultur ist nicht nur eine Kultur der Männer, sie hat ihren Ursprung auch darin, dass Männer von Frauen stellvertretend „in den Krieg geschickt werden“. Die erotische Anziehung des Militärs, der kriegerische Wettstreit um die Gunst der Frau – sie sind nicht nur Historie, sondern sie leben bis heute fort. Indirekt üben Frauen auch Macht aus, wenn sie sich die Macht der Männer „leihen“. Früher hieß das dann „Frau Dr.“, „Frau Professor“, „Frau Geheimrat“. Hier ersetzen Geld, Prestige und Einfluss von Ehemann oder Geliebtem die Eigenverantwortung von Frauen und werden zur Grundlage ihres Anspruchs auf Geltung und Einflussnahme. Dass sie damit ihre ureigenste Macht abgeben und sich letztlich abhängig machen von der Macht anderer, wird dabei oft genug übersehen.

Allein die Heilung der inneren Ohnmachts-Allmachts-Spaltung kann helfen, das eigene Potenzial zu heben, anzunehmen, zu leben und sich selbst zu ermächtigen. Es ist der Weg, den Carolyn Myss als Weg des Heilwerdens bezeichnet – auf der körperlichen, der mentalen, der emotionalen und der spirituellen Ebene. Er führt über die (Rück-)Gewinnung der eigenen Energie und damit der eigenen Macht. Doch dieser Weg ist herausfordernd, weil er mit eingeschliffenen Denkkonzepten, Gewohnheiten, lieb gewordenen Routinen und Schutzmechanismen zu tun hat, die auf ihre Auflösung und Transformation warten.

Hier noch ein letzter Hinweis auf eine weitere Form der Machtausübung von Frauen, die in unseren Breitengraden und in unserer Zeit eher weniger entwickelt ist. Es sind Relikte von Machtausübung, wie sie Frauen im Matriarchat gelebt haben. Die „Große Mutter“ ist nach Erich Neumann der Archetypus der Frau, die als Übermutter eine verschlingende Funktion hat, weil sie es nicht zulässt, dass die ihr Anvertrauten eigen-ständig werden24. Sie hält die Kinder und bisweilen auch Männer in einer Unmündigkeit. Diese matriarchale Form der Machtausübung musste daher menschheitsgeschichtlich der patriarchalen Form weichen. Doch so wie die matriarchale Form Selbstakzeptanz und Selbstbestimmung erschwert, so auch die patriarchale Form. Deswegen ist auch das Patriarchat nur eine Zwischenstufe auf dem Weg der Menschheit. Die Versöhnung von Macht und Liebe bahnt hingegen den Weg zu einem androgynen Menschen, der seine Identität entfalten kann, ohne das jeweils andere Geschlecht oder die gegengeschlechtliche Seite in der eigenen Psyche zu unterdrücken.

Spirituelles Selbstmanagement

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