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Die eigenen Suchbewegungen erkennen
ОглавлениеMacht und Liebe versöhnen? Wer immer sich den schwierigen Themen Macht und Liebe zuwendet, steht selbst auf dem Prüfstand. Warum beschäftigt man sich mit der Macht und gar noch in Verbindung mit dem Thema Liebe? Haben Macht und Liebe überhaupt etwas miteinander zu tun, oder sind es unversöhnliche Gegensätze?
Viele Zugänge zu dieser schwierigen Frage kann ich wählen: reflexiv aus der Sicht der Wissenschaftlerin und Merkerin; historisch, indem ich mich mit kollektiven, sozialen oder individuellen Entwicklungen oder Traumen befasse. Oder ich kann dies aus einer Haltung der Selbstbegegnung und der Selbsttransformation tun, in dem Versuch, etwas zu versöhnen, was in unserer Gesellschaft immer noch weitgehend unversöhnlich neben- oder gar gegeneinander steht. Wer Letzteres tut, und ich wage hier diesen Zugang, der ist aufgefordert, zuerst einen Blick auf sich selbst und die eigene Geschichte zu werfen. Ein solcher Blick hilft, die eigene Motivation zu verstehen und sich nicht in Fallstricken der Selbsttäuschung zu verirren.
Aufgewachsen bin ich in einer Familie machtvoller Persönlichkeiten. Ich war die jüngste und einzige Tochter nach zwei älteren Brüdern, stets herausgefordert, meinen Platz in dem Familienclan zu finden. An meiner Wiege standen – wie ich dies früh für mich formulierte – zwei Paten: Thron und Altar. Sie wurden repräsentiert durch zwei übermächtige Großväter, die nach den Wirrungen des Krieges Halt versprachen. Der Großvater väterlicherseits3 war überzeugter Monarchist und als Mitglied der DNVP, der Deutschnationalen Volkspartei4, Vizepräsident des Preußischen Staatsrats5. Für kurze Zeit wurde er Oberpräsident der Provinz Grenzmark, Posen, Westpreußen, ließ sich jedoch in den Ruhestand versetzen, als sein Vertrauter Alfred Hugenberg aus der Koalition mit Adolf Hitler ausschied. Der andere Großvater6 war als letzter Generalsuperintendent des Rheinlandes das, was man heute in der evangelischen Kirche einen Bischof nennt. Seine Weigerung, offen mit den Nazis zu kooperieren, führte letztlich zur Einsetzung des Reichsbischofs Ludwig Müller, eines überzeugten Nationalsozialisten. Der Eine, ein erzkonservativer Monarchist, vertrat die weltliche Macht, der Andere, ein zutiefst frommer, aber eigentlich unpolitischer Gottesmann, in dessen Haus ich als kleines Mädchen nach der Ausbombung meiner Eltern aufwuchs, repräsentierte in meiner Vorstellung den Altar.
Meine beiden Eltern navigierten ihren Lebensweg zwischen diesen beiden Übervätern und deren äußerst kompetenten Frauen. Letztlich damit erfolgreich, gelang es ihnen, eine eigene Identität zu entwickeln. Deren Basis war patriarchal und wertekonservativ. Meine Mutter7, die Generalin in der Familie, hinderte dies nicht daran, als Frauenpolitikerin und Frau der Kirche äußerst engagiert und profiliert für die Rechte von Frauen in der Öffentlichkeit einzutreten. Dass sie mir eines Tages voller Überzeugung mitteilte, sie habe mit Nachdruck dafür gesorgt, dass meine Brüder nie abspülen mussten (ich musste dies täglich mit ihr zusammen bewerkstelligen), gehört zu den Paradoxien im Umgang mit Frauenmacht, mit denen ich aufwuchs.
Solche Ungleichbehandlung war für mich – damals noch unbewusst – ein steter Ansporn, meinen Platz zu erkämpfen und zu behaupten. Ich wollte die Macht (zurück)erobern, die man mir verweigerte. Und ich fand meine ersten Wege. Ich lernte, Macht auszuüben, indem ich stellvertretend in die Mutterrolle schlüpfte. Ich entlieh mir sozusagen die Macht meiner Mutter, was in dem berühmten, an meine Brüder gerichteten Satz gipfelte: „Jungs, die Eimer raus!“ Ein Satz, der – versteht sich – mir bis heute in schöner Regelmäßigkeit und mit Wonne „aufs Butterbrot geschmiert wird“.
Später versuchte ich auszubrechen, heiratete 68er-bewegt, erweiterte meine Wahrnehmung, unterstützt vom Studium der Sozialwissenschaften, tauchte ein in die Welt der Intellektuellen und der wissenschaftlichen Forschung und wandte mich – als ich schließlich diesen Weg als Sackgasse erlebte – mit Entschiedenheit der Erforschung der Innenwelten zu, zuerst in Prozessen der Selbsterfahrung und Selbstheilung, dann zunehmend in der Begleitung von anderen Menschen bei ihren Suchbewegungen.
Was ich auf diesem langen Weg anfangs unbewusst, später dann immer bewusster herauszufinden versuchte, war nicht nur mein Verhältnis zur Macht (immerhin wurde ich Professorin für Politikwissenschaft), sondern auch, was es denn überhaupt mit der Macht auf sich hat. Ich hatte inzwischen Macht – zumindest, wenn man dies aus der Sicht der Welt betrachtet. Als Professorin gehörte mir nicht nur das „Pult“, sondern auch die Macht über junge Menschen, die mich – ob ich dies nun wollte oder nicht – als Autorität erlebten und denen gegenüber ich durch Noten und Beurteilungen auch tatsächlich Macht ausüben musste. Doch es war eine Art der Machtausübung, die ich als Sackgasse erlebte. Sie nährte weder mich noch andere und sie führte auch nicht zu dem Gefühl einer wirklichen Ermächtigung. Es blieb für mich bei einer geliehenen Macht.
So wandte ich mich – mehr schlecht als recht – vom Machtpol ab und konzentrierte mich fortan auf den Liebespol. Das geschah nicht ohne Brüche – schließlich waren mir meine Position und das damit verbundene Ansehen wichtig geworden. Doch das Gefühl, dass es mehr im Leben geben musste, als sich selbst intellektuell, emotional, sozial zu behaupten und die eigene Machtposition zu sichern, war viel zu intensiv, als dass ich mir weiterhin durch Ämter, Posten und Würden hätte Reputation verschaffen wollen. Ich verließ diesen Weg und begann eine spirituelle Suchbewegung. Es war und ist der Weg nach innen, zur Erweiterung meines Bewusstseins und zur Öffnung meines Herzens. Auf der äußeren Ebene führte er mich auf mehr als zwanzig Reisen immer wieder nach Indien, dessen spirituelle Weisheit, die Veden, meine Quelle der spirituellen Inspiration geworden sind. Es ist ein innerer und äußerer Raum, in dem ich immer wieder Kontakt mit meinem spirituellen Herzen aufnehmen kann.
Mit dieser Suchbewegung durfte ich zu einer sehr frühen Erfahrung meines Lebens zurückkehren, zu etwas, was ich als Kind intuitiv erkannt hatte: dass es nichts Trennendes gibt, dass Religionen Wege zu Gott sind, doch dass Gott jenseits dieser Religionen ist. Mit der Botschaft der Veden begriff ich, dass Gott Liebe ist (Willigis Jäger spricht von Liebe als „Urgrund des Seins“) und dass wir alle Ausdruck dieser Liebe sind. Hier fand ich, wonach ich gesucht hatte: Das Wissen der Mystiker, dass wir in letzter Konsequenz Gott selbst sind, materiell gewordener Ausdruck des Schöpfergeistes oder wie es in den Veden heißt: das Formlose, Brahman, das sich in der Schöpfung als Form, als Atman, verkörpert hat, um sich selbst begegnen zu können.
In diesem fernen Land hatte ich eine Wissenschaft gefunden, die für mich im wahrsten Sinne des Wortes „Wissen schafft“. Und ich durfte entdecken, dass dieselbe Quelle des Wissens und der Weisheit in den mystischen Traditionen aller Religionen, auch der des Christentums sprudelt. Hier konnte ich meinen hungrigen Geist nähren. Doch die Herausforderung, die damit einherging, war und ist nicht einfach: Was jedes Mal mit einem hoffnungsvollen Aufbruch in das ferne Land – auch im übertragenen Sinne – begann, musste sich anschließend im heimischen Alltag bewähren. Das war und ist bis heute der schwierigste Teil.
„In der Dosierung für die Welt liegt die Bemeisterung“ – so der Satz einer weisen Frau, den ich nie mehr vergessen habe. Wo das Begriffene auf der kognitiven Ebene verharrt, wo es weder erfahren noch gefühlt ist, wird der Weg zurück in die Welt – im Zen würde man sagen, zurück auf den Marktplatz – dornenreich. Er ist dann verfrüht angetreten worden. Doch gerade die Rückbindung des Erlernten an den Alltag ist die eigentliche Herausforderung. Sie hält bis heute an. Ich weiß mit dem Kopf, dass ich Liebe bin, in lichten Momenten empfinde ich mich als Liebende und in köstlichen und kostbaren Augenblicken darf ich erleben, wie sich diese Liebeskraft machtvoll durch mich manifestiert, wie sie sich aus dem SELBST entfaltet. Das „Ich“ hat sich dann entwichtigt und das göttliche SELBST drückt sich aus – durch diesen Körper, durch sein Reden, Sprechen, Handeln und durch seine Weise zu lieben – unverstellt, rein, angekommen in dem „Liebe und tue, was du willst“ (Augustinus).
Irgendwann begann ich, andere Menschen bei ihren Suchbewegungen zu begleiten. In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre wurde ich mit der Psychosynthese, einer transpersonalen Psychotherapierichtung, vertraut, die auf den großen italienischen Weisen Roberto Assagioli (1888-1974) zurückgeht. Deren Menschen- und Weltbild und Methoden wurden für mich ebenso wertvoll wie unverzichtbar. Sie gaben mir, nachdem ich jahrelang Biodynamik, Psychodrama und Initiatisches Schau-Spiel gelernt hatte, ein Konzept und ein Instrumentarium an die Hand, das sich auf wunderbare Weise mit meinem spirituellen Weg vereinbaren ließ, da auch Assagioli sich von der Philosophie der Veden hatte inspirieren lassen.
Inzwischen hatte ich angefangen, mit Menschen und Gruppen zu arbeiten. Gegen Ende der 1990er-Jahre wurde mir in einer Meditation der Titel „Spirituelles Selbstmanagement“ zuteil. Er war so ungewöhnlich, dass, wer immer ihn hörte, mich verständnislos fragte, was ich damit meinte8. Dennoch hielt ich an dem Begriff fest. Der Grund war einfach: Ich selbst war in einem Prozess des intensiven Selbstmanagements. Doch die Quelle meiner Inspiration war nicht die bessere Selbstorganisation im Sinne professioneller Bedürfnisse durch Zeitmanagement, Work-Life-Balance, Entwicklung kommunikativer und sozialer Fähigkeiten als vielmehr etwas anderes. Ich hatte mich auf einen Prozess der Selbstbegegnung, Selbstakzeptanz und Selbsttransformation begeben, der sich aus der eigenen Mitte, der eigenen spirituellen Weisheit speist und sich an die innewohnende Liebeskraft anbindet.
Selbst-Entdeckung, Selbst-Annahme und Selbst-Transformation hat für jeden Menschen eine andere Färbung. Unsere Anlagen und unsere Biographie stellen uns vor je individuelle Aufgaben. Während das Ziel für alle dasselbe ist – eintauchen in den Strom der Liebe, die wir in Wahrheit sind –, ist der Startpunkt für jede und jeden ein anderer. In meinem Fall hatte und hat er ganz entscheidend damit zu tun, Macht und Liebe zu einer Synthese zu bringen. Mit den Archetypen von Thron und Altar sah ich mich vor eine Aufgabe gestellt, die sowohl kollektiv als auch biographisch und geschlechtsspezifisch eine besondere Herausforderung darstellt. Als Frau ging und geht es für mich darum – entgegen den gesellschaftlichen Stereotypen – die eigene Mächtigkeit anzunehmen und zu leben. Die Gefahr, dabei einen „männlichen“ Machtgebrauch zu entwickeln, hatte ich bald erkannt9. Ihr nicht zu erliegen, ist weitaus schwieriger. Eine innere Balance und Gelassenheit stellte und stellt sich für mich erst dann ein, wenn ich mich mit gleicher Entschiedenheit der Liebeskraft zuwende. So wollte ich in mir Macht und Liebe versöhnen, um mich selbst aus der eigenen Mitte heraus zu heilen, und stellte auf diesem Weg fest, dass ich nicht die einzige mit dieser Herausforderung war. Selbst-Entfaltung, Selbst-Ermächtigung aus der Kraft der Liebe – das war es, wonach ich suchte und was ich schließlich unter dem Titel „Spirituelles Selbstmanagement“ begann, auch anderen weiterzugeben, oder weshalb ich anfing, sie individuell auf ihrer Suche zu begleiten.
Zuerst fanden nur Einzelne zu mir, die sich auf das Thema einlassen wollten. Dann wurden es mehr: Die Frauen, die ihre Macht abgegeben hatten, um Liebe zu finden, und Männer, die sich von ihrer Liebesquelle abgeschnitten hatten, um Macht ausüben zu können. Irgendwann waren es Gruppen, die sich mit mir auf einen längeren Prozess einließen und in Stufen und Schritten den Weg der Selbst-Entwicklung und Selbst-Entfaltung aus der Liebeskraft wagten.
Der Weg des Spirituellen Selbstmanagements ist ein nicht endender Weg. Die Liebeskraft, die wir sind, ohne Furcht zu leben und aus ihr heraus gestalterisch tätig zu sein, ist eine Herausforderung bis zum letzten Atemzug. Insofern ist das Erreichte immer nur ein Vorläufiges. Hinter jedem Schritt der Selbstüberwindung und Selbsttransformation wartet die nächste Herausforderung. Und dennoch gilt es, die kleinen Erfolge und Siege über sich zu würdigen, wertzuschätzen und zu feiern. „A little is a lot“, wenig ist viel, und jede große Reise beginnt mit einem kleinen Schritt. Dieses Buch will Wegbegleitung sein und Mut machen: zu sich, zum eigenen SELBST, zu dem machtvollen göttlichen Liebesfunken, der sich in jedem Menschen in der Welt manifestieren will.