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Versöhnung von Macht und Liebe
ОглавлениеWir sind kollektiv auf der Individualebene stecken geblieben und wissen doch längst, dass das Zeitalter angebrochen ist, in dem wir von der Konkurrenz zur Kooperation gelangen müssen: zur Kooperation zwischen Menschen, zwischen Kulturen und zwischen Mensch und Natur. Obgleich die globalisierte Wirtschaft nur kulturübergreifend funktionieren kann, ist sie noch von den alten Werten der Gewinnmaximierung und der Ausbeutung von Mensch und Natur geprägt. Dies ist auf Dauer nicht nachhaltig, sondern – wie wir heute wissen – Leben zerstörend.
Worum es hier geht, lässt sich auch so formulieren: Macht und Liebe müssen zusammenarbeiten. Der Zustand unserer Beziehungen, unseres Zusammenlebens und unseres Planeten stellt uns vor diese säkulare Aufgabe. Eine Versöhnung von Macht und Liebe wird möglich aus einer Haltung der Wertschätzung, die sich auf beides, sowohl auf die Macht als auch auf die Liebe erstreckt:
Hunger, Artensterben, Erwärmung der Polkappen
Zum Vergleich: Bei den erschreckenden Terroranschlägen des 11. September 2001 in den USA kamen rund 4.000 Menschen um – an Hunger oder seinen unmittelbaren Folgen sterben ca. 24.000 Menschen täglich, jährlich also rund 850 Millionen Menschen. Drei Viertel dieser Todesfälle sind Kinder: Alle 15 Minuten sterben 900 Kinder unter 10 Jahren am Hunger, alle 5 Sekunden eines. Alle 5 Minuten verliert ein Mensch sein Augenlicht, weil es ihm an Vitamin A mangelt. (Radermacher 2007, 68, FAO 2005).
Tagtäglich sterben 150 Tier- und Pflanzenarten aus, darunter auch bisher unbekannte Arten. 34.000 Arten, darunter 10 Prozent aller Vogelarten und 25 Prozent aller Säugetierarten, sind akut vom Aussterben bedroht; Prognosen zufolge werden 2020 ca. ein Fünftel aller (bekannten) Tier- und Pflanzenarten ausgestorben sein. (Global Biodiversity Outlook 2) Seit über einem halben Jahrhundert wird eine Abnahme der arktischen Meereseisfläche beobachtet und mit der allgemeinen Klimaerwärmung begründet. Das vollständige Abschmelzen des westantarktischen Eisschildes würde den Meeresspiegel um 4 bis 6 Meter ansteigen lassen, das vollständige Abschmelzen des grönländischen Eispanzers um 7 Meter. Neueren Forschungen zufolge könnte die ganze Arktis bereits zwischen 2040 und 2080 in den Sommermonaten vollkommen eisfrei sein. Dies hat u. a. unabsehbare Folgen für alle Besiedlungen in Küstenregionen. (Dow/ Downing 2006, 62)
Weder ist Macht schlecht – ganz im Gegenteil, sie ist eine Lebensenergie, die wir für unsere grundlegende Transformation brauchen – noch ist Liebe ein privates Gefühl – ganz im Gegenteil, sie ist eine Haltung des Herzens, die allem, was ist, Achtsamkeit und Wertschätzung entgegenbringt.
Was genau Leben erhaltend ist, lässt sich nicht allgemein verbindlich festlegen. Weder lassen sich die Wirkungsinterdependenzen prognostizieren, noch lassen sich die Folgen der Handlungen Vorhersagen. Es gibt dennoch eine Orientierungshilfe: die Weisheit des Herzens oder Herzintelligenz. Sie wohnt jedem Menschen inne und kann in jeder Sekunde, Minute, Stunde, jeden Tag, wo auch immer aktiviert werden. Sie hilft uns, den Weg der Transformation zu finden. Diese Aufforderung gilt für jeden einzelnen und in besonderem Maße für Menschen mit funktionaler oder charismatischer Macht. Macht und Liebe versöhnen sich,
wenn der Gebrauch von Macht von der Liebe zum Leben inspiriert ist;
wenn Machtausübung als Dienen an Mensch, Gesellschaft und Natur begriffen wird;
wenn die Art der Machtausübung vor der eigenen Gewissensinstanz, dem Herzen, standhält.
Wenn es zur Versöhnung von Macht und Liebe kommt, dann können sich die (eher femininen) haushälterischen, fürsorgenden, das Leben fördernden Kräfte der Liebe auf die (eher maskulinen) machtvollen Kräfte der Durchsetzungsfähigkeit und der aktiven Gestaltung stützen. Die Richtung in diesem Prozess ergibt sich aus der Weisheit des Herzens, aus der Sophia, die mythologisch immer als weibliche Kraft gesehen wurde. Doch die Durchsetzung geschieht durch machtvolles, tugendhaftes Handeln, im Lateinischen virtus genannt, worunter traditionell eine männliche, kriegerische Kraft verstanden wurde, heute würde man sagen: ein „Krieger mit Herz“. Sowohl das Was als auch das Wie der Machtausübung wird dabei immer wieder an der eigenen Gewissensinstanz und damit an der Liebeskraft überprüft. Gelingt diese Synthese von Macht und Liebe, dann kämpfen unterschiedliche Erfahrungswelten und -werte, die Kräfte des Femininen und des Maskulinen, nicht mehr gegeneinander, sondern sie gehen eine produktive Synthese ein: im Einzelnen selbst, zwischen den Geschlechtern und zum Wohle des Ganzen, des Zusammenlebens und gemeinsamen Überlebens auf unserem Planeten.