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Macht entlang der Geschlechterdifferenz
ОглавлениеWer Menschen nach ihrem Verständnis von Macht befragt, wird schnell merken, dass die Bilder der Macht in hohem Maße geschlechtsspezifisch sind. Dabei überwiegen Vorstellungen von Macht, die Macht nicht als Energie begreifen, die im Menschen verankert ist, sondern als eine Fähigkeit, andere zu beherrschen und zu kontrollieren. Während Frauen Macht eher als etwas Bedrohliches abzulehnen scheinen, nicht allerdings ohne selbst Macht auszuüben und von ihr fasziniert zu sein, scheint das Streben nach Macht dem männlichen Selbstbild angemessen.
Dass dies sowohl kulturelle als auch tiefenpsychologische Gründe hat, wird besonders deutlich anhand der Ausführungen des Psychoanalytikers Horst-Eberhard Richter zum Gotteskomplex. In seinem gleichnamigen Buch19 beschäftigt er sich mit einer Phase der Menschheitsentwicklung, in der sich der westliche Mensch – im Zuge der Aufklärung – immer mehr von dem Bewusstsein seiner Gottes-Kindschaft verabschiedete. Der Mensch erhob sich selbst zum Herrscher und Gestalter aller Dinge. Gott wurde obsolet; er verschwand im wahrsten Sinne des Wortes von der Bildfläche – ein Prozess, der sich in den Kunstwerken im Übergang zwischen Mittelalter, Renaissance und früher Neuzeit in aller Deutlichkeit nachvollziehen lässt20.
Doch wer herrschen will, braucht jemanden oder etwas, den oder das er beherrschen kann. Seit dem Ende des Matriarchats war dies schon immer die Frau. Neu war nun, dass an der Spitze der Hierarchie nicht mehr Gott stand, sondern der Mann; und zur Entmündigung der Frau kam seit der Renaissance noch die Beherrschung und Ausbeutung der Natur hinzu. Macht und Ohnmacht wurden geschlechtsspezifisch verteilt, eine Tatsache, die Richter – bezogen auf den kulturhistorischen Kontext der beginnenden Neuzeit – als Gotteskomplex bezeichnet hat. Unter einem Komplex versteht man eine neurotische Störung, ein falsches Selbstbild, das die Entfaltung der Persönlichkeit behindert. Hier manifestiert sie sich geschlechtsspezifisch: Während Männer sich in ihrer Herrscherrolle nicht erlauben dürfen zu leiden (ein Mann weint nicht und fühlt auch nichts – im Zweifelsfall wird der Körper bis zur Gefühllosigkeit gedrillt)21, darf die Frau weder wissen noch Macht ausüben: Sie wird entmündigt.
Was bereits in der Bibel stand („Das Weib schweige still in der Gemeinde“), fand nun trotz zunehmender Säkularisierung seine verschärfte Fortsetzung. Noch um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, im Jahr 1903, publizierte der Arzt P. J. Möbius den damaligen Bestseller „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“22. Frauen blieben nicht nur vom öffentlichen Leben, sondern auch vom Erwerb von Bildung ausgeschlossen, und bis zur Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, in der Schweiz sogar noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, wurde Frauen das Wahlrecht verweigert.
Welch nachhaltige Wirkungen dies bis heute in der kollektiven Psyche der Frau hat, wurde mir unvermutet anlässlich meines Vortrags zum Thema Macht und Liebe im Schloss Corvey bei Höxter bewusst. Im Kaisersaal mit seinen Gemälden von Kaisern und Fürstbischöfen, machtvollen Repräsentanten weltlicher und geistlicher Macht, war anlässlich der Veranstaltung ein Blumengesteck aufgestellt worden. An ihm hatten Floristinnen vierzehn Tage lang gearbeitet. Es symbolisierte ihre Auseinandersetzung mit dem Thema Macht und Liebe. Was ich dort sah, erschreckte mich, zeigte es doch eindrücklich, dass im Bewusstsein dieser Frauen Macht immer noch als Verletzung, Bürde und Schmerz erlebt wird, gegen die sich die Liebe kaum zeigen, geschweige denn behaupten kann. Was ich sah, war ein Verständnis von Macht, wie es dem weiblichen Lebenszusammenhang bis heute zu eigen ist.
Abbildung 1: Blumengesteck zum Thema „Macht und Liebe“