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4.

Es war bereits später Nachmittag, aber der Regen hatte den ganzen Tag über nicht nachgelassen. Es gab Leute, die vehement behaupteten, wenn es in Kopenhagen mal regnet, dann regnet es richtig. Und zumindest heute schien sich genau das zu bestätigen. Magne Poulsen, Hauptkommissar bei der Kripo und zuständig für die Abteilung Bandenkriminalität, blickte mit bewegungsloser Miene aus dem Fenster, ohne jedoch zu bemerken, was draußen geschah. Seine ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf seine Gedanken, nicht auf das, was um ihn herum passierte.

Er wartete noch auf Aksel Abrahamsen. Er, Magne, hatte sich persönlich dafür eingesetzt, dass man Aksel in diese Ermittlungsgruppe nach Amsterdam geschickt hatte, denn er wusste, wenn es einen gab, auf den er sich verlassen konnte und der ihm vertraute, dann war es Aksel Abrahamsen! Seit über zwei Jahren hatten sie gemeinsam versucht, diesen hinterhältigen und gerissenen Spediteur, den sie verdächtigten, illegale Schmuggeltransporte in großem Stil zu betreiben, auf frischer Tat zu erwischen! Bisher war es aus den bekannten Gründen diesem Kerl immer wieder gelungen, sie ins Leere laufen zu lassen. Keiner hier im Präsidium hatte sich vorstellen können, wie Mortensen ihnen immer wieder zuvorkommen konnte!

Aber nun, seit ein paar Tagen, hatten alle die Antwort auf ihre Fragen. Es gab einen Maulwurf – hier im Präsidium, der heimlich Informationen an den Spediteur weitergeleitet und ihn auf diese Weise immer rechtzeitig gewarnt hatte. Nie hatten die Ermittler etwas bei ihm finden können. Nicht einen einzigen Beweis. Jetzt wusste jeder, warum. Als Aksel Abrahamsen von diesem Maulwurf erfuhr, hatte er vor Wut mit der Faust einen Spiegel in der Herrentoilette zertrümmert, denn dort hatte Magne Poulsen es ihm erzählt. Er konnte es nicht fassen, all die Arbeit, all die Zeit, die sie an diesen Fall gegeben hatten – und dann so etwas! Magne Poulsen war sich sicher: Hätte der Maulwurf damals vor Abrahamsen gestanden, der hätte ihm ohne mit der Wimper zu zucken glatt den Hals umgedreht! Und Aksel war ein Baum von einem Mann, ein wahrer Hüne, gut ein Meter fünfundneunzig groß und kräftig. Sein blondes Haar trug er kurz geschnitten. Normalerweise war er kein aggressiver Mensch, und bis zu einem gewissen Grad war er sogar als gutmütiger Mensch bekannt. Doch wehe, wenn ihn jemand oder etwas ärgerte, oder wie jetzt, wenn ihn jemand derart an der Nase herumzuführen versuchte wie dieser Maulwurf! Dann hatte seine Gutmütigkeit ganz schnell ihre natürlichen Grenzen erreicht. Aksel war genau der richtige für die Ermittlungsgruppe in Amsterdam. Und der hatte sich sofort freiwillig gemeldet, was er, Magne Poulsen, unterstützt hatte. Nur er wusste, wie wertvoll Aksel Abrahamsen dort für ihn war. Aksel würde ihn ständig über die neuesten Entwicklungen informieren.

Noch während er seinen Gedanken nachhing, kam der Hüne zur Bürotür herein. Aksel Abrahamsen setzte sich schweigend zu Magne Poulsen und sah ebenfalls hinaus in den Regen. Nach ein paar Sekunden des Schweigens sagte er:

„Ich fahre schon am Sonntag, damit ich am Montag gleich am Morgenbriefing teilnehmen kann. War die Idee vom Chef.“

„Und wie sieht es mit deinen Sprachkenntnissen aus?“ Poulsen musste schräg grinsen.

„Du wirst es nicht glauben, die sprechen alle Deutsch.“

„Glück gehabt“, murmelte Poulsen. „Du bist da genau richtig, Aksel. Du bist der richtige Mann für die Gruppe.“

„Ich hoffe nur, dass ich helfen kann.“

Eine Weile herrschte Schweigen. Draußen klatschten weiter die schweren Regentropfen gegen die Fensterscheiben. Und ein unangenehm schneidender Wind zog über die Stadt. Ihre Blicke richteten sich nach draußen in die bleierne Wolkendecke.

„Es gibt noch immer keine Spur von diesem Verräter“, sagte Magne Poulsen in Gedanken versunken.

„Er ist einer von uns, Magne. Der weiß genau, was er tut. Er kennt sich aus, und vor allem: Er kennt die Strukturen.“

„Wahrscheinlich versucht er, herauszufinden, wer unser Mann bei Mortensen ist.“

„Mit Sicherheit. Der wäre dann schnell erledigt. Mortensen ist nicht der Typ, der lange fackelt. Wir können nur hoffen, dass er es nicht herausfindet, bevor wir ihn gefunden haben. Hast du eine Vermutung, wer es ist?“

„Du meinst den verdeckten Ermittler? Nein, auch ich habe keine Ahnung. Ist vielleicht auch besser so. Je weniger Leute seine wahre Identität kennen, umso sicherer ist der Mann.“ Poulsen zeigte ein seltsam schräges Grinsen, das beinahe etwas verkniffen wirkte.

„Stimmt.“ Aksel schwieg einen Moment. Dann meinte er: „Es wundert mich nur, dass sie den Mann da nicht rausholen und ihn stattdessen weiter dem Risiko aussetzen, dass er entdeckt wird. Sie setzen sein Leben aufs Spiel.“

Eine weitere Pause des Schweigens folgte. Aksel Abrahamsen erhob sich. Er sah müde aus. „Ich hole mir einen Kaffee. Soll ich dir einen mitbringen?“

„Nein danke. Für mich ist es schon zu spät für Kaffee. Seit ich dieses Magengeschwür habe, muss ich etwas aufpassen.“ Magne Poulsen starrte weiter in die dunklen Regenwolken, während sein Kollege sich auf den Weg zum Kaffeeautomaten machte. Plötzlich klingelte das Telefon auf seinem Schreibtisch. Er nahm den Anruf etwas lustlos entgegen – Freitagnachmittag. Meine Güte, es ist Wochenende! Musste das jetzt sein? Hoffentlich kein Notfall. Eigentlich wollte er heute mal pünktlich Feierabend machen. Aber den hatten sie sowieso nicht immer. Dann aber lauschte er interessiert dem Kollegen, der mit einem weiteren Beamten die Beschattung von Frederik Mortensens Büro übernommen hatte und nun aufgeregt anrief. Es musste irgendetwas Außergewöhnliches passiert sein!

„Hören Sie, Magne. Drei von den Kerlen steigen soeben vor dem Büro in einen Wagen, einen grauen Audi A 6“, rief der Kollege aufgeregt ins Telefon. Poulsen wunderte sich.

„Und weiter?“

„Nun, die drei Kerle haben jeder eine dicke Reisetasche dabei. Ich denke mal, die werden weder zum Picknick fahren noch in den Supermarkt zum Einkaufen. Das sieht mir nach einem etwas längeren Ausflug aus.“

„Könnt ihr erkennen, wer alles dabei ist?“, fragte Poulsen gerade in dem Augenblick, als Abrahamsen mit seinem Kaffee wieder zur Tür hereinkam. Der sah fragend zu Poulsen, der ihn gleich zu sich winkte und das Gespräch auf laut stellte.

„Der eine ist unser geschätzter Freund Simon Faltum. Könnte Johan Jonstrup sein, der noch dabei ist. Und den dritten kennen wir nicht.“

Die Müdigkeit bei Aksel Abrahamsen war von der einen auf die andere Sekunde verflogen. Er hatte sich mit einer Arschbacke auf Poulsens Schreibtischkante gesetzt und lauschte angespannt, während er eher beiläufig seinen Kaffee schlürfte. Etwas war da wohl im Gange!

„Habt ihr das Kennzeichen?“, fragte Poulsen gerade. „Gebt uns unbedingt das Kennzeichen durch, verstanden?“

„Ja, kommt gleich per SMS. Was sollen wir tun? Sollen wir die Verfolgung aufnehmen oder hier weiter beschatten?“, fragte der Beamte nun.

„Ja, bleibt an dem Audi dran. Ich lasse euch bei Mortensens Büro von Kollegen ablösen. Wenn Faltum und Konsorten auf große Fahrt gehen, sollten wir wissen, wohin die Reise gehen soll. Wir schicken euch auch Verstärkung, die euch dann bei der Verfolgung des Wagens ablösen kann. Könnt ihr schon abschätzen, in welche Richtung sie fahren werden?“

„Sie sind gerade erst losgefahren, aber so wie es aussieht, sind sie in Richtung E20 unterwegs.“

„Gut, das Kennzeichen habe ich jetzt. Ist eben angekommen. Ich schicke euch die Verstärkung auf die E20 in Richtung Süden. Die Kollegen melden sich dann über Funk. Sollten die drei doch noch die Richtung ändern, sagt sofort Bescheid, klar?“

„Alles klar, Poulsen. Wir melden uns.“

Nachdem Magne Poulsen aufgelegt und für die Kollegen die Verstärkung organisiert hatte, sah er den Kollegen Abrahamsen verwundert an. Was hatten Mortensens Leute nur vor? Und wohin wollten sie? Noch war es viel zu früh, um diese Frage zu beantworten. Sie mussten einfach abwarten. Also warteten die beiden und tranken Kaffee. Scheiß doch auf das verdammte Magengeschwür!

Nach etwas über einer halben Stunde meldeten sich die beiden Kollegen, die seither die Verfolgung aufgenommen hatten, erneut auf dem Apparat von Magne Poulsen.

„Der Audi fährt jetzt auf der E55 Richtung Süden. Wir haben gerade Hastrup passiert. Die Verstärkung ist auch schon da.“

„Gut, bleibt noch eine halbe Stunde dran. Dann meldet euch wieder, verstanden?“

„In Ordnung, bis später.“ Im nächsten Augenblick wurde die Verbindung unterbrochen. Es herrschte nachdenkliche Stille.

„Die fahren in Richtung Süden“, sagte Poulsen dann und sah seinen Kollegen mit fragendem Blick an. „Hast du vielleicht eine Idee, was die vorhaben, Aksel?“

„Dazu ist es noch zu früh. Aber ich habe tatsächlich so ein merkwürdiges Kribbeln.“ Abrahamsen wurde sehr nachdenklich. „Warten wir ab, ob sich das, was ich gerade denke, bestätigt.“

Das merkwürdige Kribbeln, das Aksel Abrahamsen verspürte, wurde später am Abend bestätigt. Simon Faltum und seine Leute fuhren immer weiter südwärts. Im Abstand von jeweils einer halben Stunde gaben die Beamten, die Poulsen zur Verstärkung angefordert hatte und die inzwischen die Verfolgung von ihren Kollegen übernommen hatten, dass der Audi inzwischen auf der E47 die Brücke über den Storstroemmen überquerte! Sie fuhren hinüber nach Falster und Lolland!

Inzwischen waren es mehrere Fahrzeuge, die sich je nach Streckenabschnitt ablösten und mit der Verfolgung des grauen Audi A6 betraut waren. Im Abstand von rund 30 Minuten wurden die neuen Standorte von Mortensens Leuten durchgegeben. Und gegen 23 Uhr sprach Aksel Abrahamsen das aus, was mittlerweile auch sein Partner Magne Poulsen zu erahnen schien:

„Die sind auf dem Weg zur Grenze, nach Deutschland.“

„Und von dort vielleicht nach Amsterdam?“, ergänzte Poulsen mit nachdenklicher Stimme. „Aber was wollen die dort? Die sind doch nicht wegen Mulders auf dem Weg dorthin, oder?“

„Wer weiß das schon. Warten wir es ab. Wenn die wirklich die Richtung beibehalten, sollten wir möglichst bald die deutschen Kollegen und natürlich auch die Niederländer verständigen“, murmelte Aksel aufgeregt vor sich hin

„Und die Ermittlungsgruppe in Amsterdam. Die sollten ebenfalls vorab Bescheid wissen. Das kann nicht bis Montag warten. Ich verständige Van Leeuwen gleich morgen früh. Bis dahin ist auch klar, ob wir wirklich richtig liegen mit unserer Vermutung. Vor allem brauche ich ständig Informationen, wenn du in Amsterdam bist, klar? Und jetzt lass‘ uns noch ein paar Stunden schlafen. Ich fürchte, dass morgen Arbeit auf uns wartet.“

Mit diesen Worten, die von einem müde klingenden Seufzer begleitet wurden, erhob sich Magne Poulsen langsam und fast schwerfällig aus seinem Bürostuhl und trank den letzten Rest kalten Kaffee aus der Tasse. Dann schlüpfte er in seine Jacke. Abrahamsen tat es ihm gleich, denn so wie es aussah, würden sie sich bereits früh am Morgen wieder hier treffen. Nachdenklich sah er seinem Kollegen Aksel Abrahamsen nach, der das Büro gerade verlassen hatte.

Dunkel ist die Finsternis

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