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5.

Luuk van der Beek war gerade unter der Dusche. Seine Frau Linda bereitete das Frühstück, und die Kinder, Sophie und Levin, schliefen noch an diesem Samstagmorgen. Es war noch ruhig im Haus, als in die Stille hinein Luuks Handy klingelte. Linda brachte es ins Badezimmer, wo Luuk bereits beim zweiten Klingeln aus der Dusche kam und sich soeben noch eilig ein Handtuch um die Hüften geschlungen hatte.

„Roger, was ist los?“, fragte er, als er sah, dass der Leiter der Ermittlungsgruppe, Roger van Leeuwen, anrief.

„Es gibt Neuigkeiten, Luuk, und die sind nicht unbedingt erfreulich, sonst würde ich dich nicht stören. Gerade haben uns die dänischen Kollegen angerufen. Sie haben es vor einiger Zeit doch geschafft, bei Frederik Mortensen einen verdeckten Ermittler einzuschleusen. Und der hat sich heute früh bei seinem Kontaktmann im Kopenhagener Präsidium gemeldet.“

„Ja und?“

„Mortensen hat drei seiner Leute zu uns nach Amsterdam geschickt. Das haben auch diejenigen bestätigt, die sein Büro in Kopenhagen beschattet hatten. Sie haben die Kerle die ganze Nacht über verfolgt. Und gegen 3 Uhr haben sie dann die Grenze nach Deutschland überschritten. Man vermutet dort, dass sie wegen Hendrik Mulders kommen.“

„Was, wegen Mulders? Und was haben die vor?“ Luuk war sofort auch ohne den morgendlichen Frühstückskaffee hellwach.

„Wir gehen davon aus, dass Mulders befreit werden soll, wie es damals bei Van Dongen versucht wurde. Und wir denken, dass es nur die Vorhut ist, die die Lage einschätzen soll. Weshalb sollte er sonst seine Leute schicken? Immerhin ist der erste Versuch, Mulders außer Landes zu bringen, gescheitert. Nun versuchen Sie es wohl ein zweites Mal. Wir wissen nur nicht wie.“

„Und wo befinden sich die drei gerade?“

„Genau das ist das Problem. Wir wissen es nicht.“

„Was soll das heißen? Wir wissen es nicht? Wurden sie nicht beschattet, wenn wir doch davon gewusst haben?“

„Natürlich wurden sie beschattet. Bis kurz vor die niederländische Grenze. Die deutschen Kollegen waren dran. Dann jedoch haben die Kerle offenbar bemerkt, dass sie verfolgt wurden und haben daraufhin in einem Waldstück die Straße verlassen. Die haben sie plötzlich verloren. Sie müssen in einen der Waldwege gefahren sein, um woanders wieder auf eine Straße zu kommen. Die Deutschen haben sich da nicht mit Ruhm bekleckert, würde ich sagen. Die Suchaktion läuft, bisher leider erfolglos.“

„Mein Gott, wie konnte das nur passieren! Wissen Berger und seine Leute schon Bescheid?“

„Ja, sie sind in einer halben Stunde hier.“

„Also gut, ich komme so schnell wie möglich“, erklärte Luuk, nicht ohne aber noch einen deutlich hörbaren Fluch von sich zu geben. „Linda, ich muss leider ins Büro“, rief er seiner Frau in der Küche zu. Sie verdrehte nur die Augen und sagte:

„Natürlich, ist ja Samstagmorgen.“

Vierzig Minuten später betrat Luuk Van Leeuwens Büro. Alex Berger, Lizzy Huisman, Jan Scheuer und Flo Kramer waren ebenfalls gerade angekommen. Das Team war also vollzählig. Roger van Leeuwen gab noch einmal eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse aus der vergangenen Nacht ab, dann schob er nach:

„Wir können froh sein, dass es den verdeckten Ermittler gibt, den die dänischen Kollegen bei Mortensen einschleusen konnten. Der Mann macht präzise Angaben. Aber wir müssen sie finden, und zwar schnell.“

„Mal wieder die Stecknadel im Heuhaufen, wie ihr Deutschen so gerne zu sagen pflegt, stimmts?“, ergänzte Luuk grinsend.

„Luuk, du lernst wirklich schnell“, schmunzelte Berger jetzt ebenfalls. „Dumm, dass unsere Leute die Sache versaut haben. Wie wollen wir jetzt vorgehen? Wir brauchen einen Plan, wenn wir die Dänen finden wollen.“ Er blickte zu Roger van Leeuwen, der gerade mit einem seltsam verkniffenem Gesichtsausdruck in die Runde schaute. Bergers Grinsen, dass er soeben noch zur Schau getragen hatte, faltete sich zusammen.

„Ich muss euch leider noch etwas sagen“, druckste Roger van Leeuwen herum. „Es gibt da noch ein weiteres Problem.“

„Welches Problem, Roger?“ Luuk sah seinen Vorgesetzten an, als wolle er ihn wie in einem Verhör zwingen, endlich die ganze Wahrheit zu sagen.

„Nun, ich sage es euch am besten gleich, denn am Montagmorgen hättet ihr es sowieso vom neuen dänischen Kollegen erfahren. Im Polizeipräsidium in Kopenhagen gibt es offensichtlich einen Maulwurf, der Mortensen zuarbeitet. Magne Poulsen und sein Kollege, Aksel Abrahamsen, der ab Montag hier mitmischt, haben sich schon gewundert, weshalb sie immer einen Schritt zu spät kamen mit ihren Aktionen. Jeder ihrer Schritte wurde zuvor verraten. Und das Problem: Alle tappen noch völlig im Dunklen, was die Identität des Maulwurfs angeht.“

„Verdammte Scheiße!“ ließ Luuk van der Beek vernehmen. In diesem Augenblick der Unbeherrschtheit achtete er nicht mehr auf seine ungehobelte Ausdrucksweise. „Tut mir leid, ist mir gerade so rausgerutscht“, schob er sofort entschuldigend nach und hob beide Hände. Doch er hatte das Gefühl, dass sie da oben fehl am Platze waren. Also ließ er sie wieder sinken.

„Ja, so kann man es auch nennen“, fuhr Van Leeuwen fort. „Jedenfalls wird das unsere Arbeit nicht gerade erleichtern. Aksel Abrahamsen ist auch deshalb zu uns geschickt worden, weil er hofft, hier Informationen zu erhalten, an die sie in Kopenhagen nicht so ohne Weiteres rankommen. Sie wissen nicht, wem sie dort noch trauen können. Ich habe heute Morgen schon mit dem dänischen Kollegen telefoniert. Er sagte, dass es wichtig sei, den Verräter zu enttarnen, da sie nicht wissen, ob er ihren verdeckten Kollegen bei Mortensen verraten könnte. Abrahamsen sagte mir, dass der Mann in Gefahr sei. Der dänische Kollege wird bereits morgen, am Sonntag, anreisen und Montagmorgen an unserem Briefing teilnehmen.“

Roger van Leeuwen sah in betroffene Gesichter. Keiner der Anwesenden wusste so recht, was er dazu sagen sollte. Nach einer Weile des Schweigens meldete sich Lizzy Huisman:

„Nun, die Frage ist nur, wie können wir von hier aus helfen, diesen Maulwurf zu enttarnen? Er sitzt in Kopenhagen und nicht hier bei uns. Eigentlich ist das die Aufgabe der Dänen. Keine Ahnung, was die da von uns erwarten. Wir können nur versuchen, Mortensens Leute aufzuspüren und vor allem müssen wir verhindern, dass sie Mulders zur Flucht verhelfen.“

„Wir werden alles tun, um unsere dänischen Kollegen bei ihrer Suche nach dem Maulwurf zu unterstützen, ist das klar? Ich habe heute Morgen auch schon mit der Haftanstalt in Almere und dem dortigen Anstaltsleiter gesprochen. Man wird jetzt ein besonderes Auge auf Mulders haben und die Sicherheitsvorkehrungen für ihn nochmal verschärfen.“

„Was ist mit dem verdeckten Ermittler? Kann man ihn denn nicht nutzen, um dem Maulwurf auf die Spur zu kommen?“ Alex Berger dachte an das Naheliegende. Der „Verdeckte“ saß an der Quelle des Geschehens. Der musste doch etwas mitbekommen haben und dementsprechend Nachforschungen anstellen. Letztendlich lag die Enttarnung des Maulwurfs in seinem Interesse.

„Der Mann ist schon informiert. Ich denke, der wird alles tun, um den Maulwurf zu enttarnen, denn ihm droht durch den Verräter die größte Gefahr. Aber Frederik Mortensen ist auch nicht dumm. Der weiß genau, dass er vorsichtig sein muss, um seinen Informanten im Präsidium nicht zu gefährden. Ich wollte auch nur sicherstellen, dass ihr über alles informiert seid.“

„Ich würde angesichts der neuen Lage vorschlagen, dass Flo und ich bereits heute rüber nach Heinsberg fahren“, schlug Alex Berger vor. „Dann wären wir Sonntagabend zurück und Montag anwesend, wenn Abrahamsen hier eintrifft. Geht das für dich in Ordnung, Flo?“

„Natürlich, ist schließlich mein Job, auch wenn Wochenende ist. Da können wir jetzt keine Rücksicht nehmen. Außerdem ist in den Clubs am Samstag immer was los. Vielleicht hilft uns das, an die richtigen Informationen ranzukommen.“

„Wenn ihr wollt, macht das. Es ist euer Wochenende“, sagte Roger van Leeuwen.

„Und wir versuchen in der Zwischenzeit herauszufinden, wo Mortensens Leute stecken“, schlug Jan Scheuer vor. Luuk van der Beek und Lizzy Huismann nickten, ohne zu zögern. Wenn es die Situation erforderte, dann wurde das Wochenende gestrichen. So war das nun mal in ihrem Job. Schließlich machte auch das Verbrechen am Wochenende nicht frei!

Lizzy Huisman und Jan Scheuer grinsten sich verstohlen an und zuckten bedauernd mit den Schultern. Die beiden hatten seit kurzer Zeit ein lebhaftes Verhältnis am Laufen, aber sie waren Profis genug, um zu wissen, wo gerade jetzt die Prioritäten lagen. Und alles andere konnte man schließlich nachholen.

Zwei Stunden später saßen Alex Berger und Flo Kramer schon in Bergers Wagen und fuhren in Richtung Deutschland auf die Autobahn. Nach mehreren Stunden Fahrt, die ohne Zwischenfälle verliefen, kamen sie am späten Nachmittag vor dem Haus in der Ostpromenade 98 an, in dem Gabriel Schoster angeblich immer noch gemeldet war. An keinem der Klingelschilder tauchte der Name „Schoster“ auf, aber eines war auch nicht beschriftet. Kurz entschlossen betätigte Alex Berger die Klingel einer Wohnung in derselben Etage. Über die Gegensprechanlage fragte eine männliche Stimme:

„Wer ist dort bitte?“

„Guten Tag, mein Name ist Alexander Berger, Kripo Köln. Es geht um einen Bewohner dieses Hauses. Sein Name ist Gabriel Schoster. Wir hätten gerne …“ Kaum hatte Berger den Namen ausgesprochen, da wurde auch schon der Türöffner betätigt. Flo und Alex sahen sich verwundert an.

„Das ging aber schnell“, murmelte Flo, bevor sie ins Treppenhaus eintraten und hinauf in den ersten Stock gingen. Gerade, als sie die oberste Stufe der Treppe erreichten, öffnete sich eine der drei Wohnungstüren auf diesem Stockwerk und ein Mann um die Fünfzig sah ihnen erwartungsvoll entgegen. Er war von mittlerer Größe und hatte schwarzes, lichtes Haar. Er trug eine randlose Brille, die er jedoch wohl nur zum Lesen benötigte, denn er hielt noch eine Zeitschrift in der Hand.

„Hatten Sie eben geklingelt?“, fragte er.

„Ja. Entschuldigen Sie, Alexander Berger, meine Kollegin Flo Kramer, Kripo Köln. Wir sind auf der Suche nach einen Mann namens Gabriel Schoster. Wir hätten da ein paar Fragen an ihn. Wohnt der noch hier im Haus?“

„Kommen Sie doch rein“, meinte der Mann und ließ sie sofort eintreten, als wolle er nicht, dass man die Beamten vor seiner Tür stehen sah. Er blickte sich noch einmal vorsichtig um, auch nach oben und unten, und schloss dann die Wohnungstür.

„Entschuldigen Sie, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Helmer. Was ist mit dem Kerl, ich meine diesem Gabriel Schoster?“ Er ging voran ins Wohnzimmer, wo er wohl zuvor in seinem Sessel gesessen und gelesen hatte und winkte den Beamten, ihm doch zu folgen.

„Wohnt er noch hier?“ Alex Berger wiederholte seine Frage, während Flo Kramer sich neugierig umsah.

„Ja, offiziell schon. Nehmen Sie doch bitte Platz.“ Mit diesen Worten deutete er auf ein Sofa, dass fast ein Drittel seines kleinen Wohnzimmers in Beschlag nahm. „Jedenfalls sagte mir die Hausverwaltung, dass die Miete immer noch jeden Monat pünktlich bezahlt wird.“

„Sie hatten sich bei der Hausverwaltung nach ihm erkundigt? Aber weshalb, Herr Helmer?“

„Nun, ganz einfach. Seit Jahren gehen hier immer wieder Leute ein und aus, die gar nicht ins Haus gehören. Und nicht selten wird dann hier auch übernachtet. Zwielichtige Gestalten, das kann ich Ihnen sagen.“

„Kommt das häufiger vor?“

„Zwei- bis dreimal im Monat schon.“

„Und Schoster, was ist mit dem?“

„Der kam anfangs ab und zu auch noch vorbei. Aber seit etwas über drei Jahren ist der nur noch alle paar Monate hier zu sehen. Kein angenehmer Zeitgenosse. Möchte nicht wissen, womit der sein Geld verdient. Sieht jedenfalls nicht nach einer normalen Arbeit aus. Ein aalglatter Typ.“

„Wie meinen Sie das?“, fragte nun Flo.

„Nun, dicke Autos, immer eine andere Frau dabei, niemals dieselbe. Die sehen alle aus wie aus dem Milieu. Sie wissen schon, was ich meine.“ Der Mann namens Helmer zeigte ein vielsagend verschmitztes Grinsen, doch sonst wirkte er auf die beiden Beamten eher etwas verängstigt, was seinen Nachbarn anging.

„Und seit drei Jahren kommt er nur noch sehr selten? Weshalb das?“, hakte Berger jetzt nach. Er erinnerte sich, dass Schoster angeblich vor etwa sechs Jahren überraschend hier aus Heinsberg verschwunden war, nachdem er in diesem Nachtclub, dem La Luna, aufgehört hatte. Das hatte die Nachfrage ergeben, die sein Chef Bogener für ihn durchgeführt hatte.

„Das war nach diesem merkwürdigen Unfall. Damals musste er wohl schnellstens verschwinden.“

„Ein Unfall? Was ist da geschehen, und wann war das?“ Alex Berger ahnte, dass der Mann, der Helmer hieß, mehr wusste über Schoster als manch anderer.

„Nun, der Unfall damals. Ich habe das mitbekommen, weil ich gerade zufällig in der Nähe meiner Wohnungstür stand, als er mit seinem seltsamen Kumpel nachts nach Hause kam. Sie stritten im Treppenhaus.“ Es war Helmers Umschreibung für die Tatsache, dass er hinter seiner Tür gelauscht hatte, als Schoster mit seinem „seltsamen“ Kumpel nach Hause kam.

„Sie sagten, sein Kumpel sei seltsam gewesen?“

„Ja, hatte eine merkwürdig hohe Stimme und hinkte.“

„Und was haben Sie mitbekommen?“

„Nun, ich bin ja froh, dass überhaupt mal einer von der Polizei vorbeikommt, um danach zu fragen. Dachte schon, es interessiert euch nicht. Schoster hat an diesem Abend vor drei Jahren in Köln eine Frau bei einem Unfall getötet. Er war wohl betrunken auf die Gegenfahrbahn geraten und nach dem Unfall abgehauen. Sein Wagen hatte wohl nichts abbekommen, aber die Frau fuhr gegen einen Baum, weil sie ausweichen musste, und starb noch am Unfallort. Üble Geschichte. War auch groß in den Medien. Und darüber hatten sie gestritten, dass Schoster sagte, er müsse von hier verschwinden, bevor ihnen die Polizei möglicherweise noch auf die Spur käme.“

Flo Kramer sah in Bergers Gesicht. Der saß plötzlich leichenblass auf dem Sofa und starrte den Mann namens Helmer beinahe wie paralysiert an! Verdammt, was hatte Alex?

„He, Alex, was ist los mit dir?“ Flo berührte ihren Kollegen an der Schulter, als sie bemerkte, dass er wie fassungslos neben ihr saß und Helmer immer noch anstarrte. Als er auf ihre Berührung reagierte, fragte er beinahe so leise, dass man seine Worte kaum verstehen konnte:

„Er hat eine … Frau getötet, bei einem Unfall?“

„Ja, darüber unterhielten sich die beiden, er und sein Freund.“

Langsam bewegte sich Alex Berger wieder, als sei er aus einem bösen Traum erwacht. Aber die Leichenblässe war immer noch nicht aus seinem Gesicht verschwunden.

„Wo in Köln war das genau?“ Seine Stimme war ein wenig lauter geworden, dafür aber klang sie irgendwie rau und trocken, als er jetzt die Frage stellte. „Wo war der Unfall, damals, der Unfall … wissen Sie das noch?“

„Ja, das war der Unfall … aber warten Sie. Ich habe doch sogar die Zeitung aufgehoben. Sie muss noch irgendwo hier sein.“ Er erhob sich aus seinem Sessel und schlurfte zwei Schritte zu einer Kommode, deren unterster Schublade er nach kurzem Suchen eine Zeitung entnahm und Berger reichte.

Alex Berger blickte starr auf den Zeitungsartikel und das dazugehörige Foto, aber mehr so, als würde sich sein Blick durch das Papier brennen. Ihm wurde mit einem Mal schwindelig und Flo sah das Entsetzen in seinem Gesicht.

„Alex, was ist mit dir?!“

Berger vernahm ihre Frage wie durch einen dichten Nebel, der es verhinderte, dass er überhaupt reagieren konnte! Dann hörte er, wie er nur das eine Wort herauswürgte:

„… Toilette…?“

Der Mann, der Helmer hieß, sprang erschrocken auf und nahm Berger nun am Arm, um ihn zur Toilette links im Flur zu führen.

Berger verschwand darin und verschloss die Tür.

„Mein Gott, was ist mit Ihnen?“

Er wurde jäh durch das übliche Geräusch unterbrochen, dass ihm sagte, dass sein Gast sich gerade genötigt sah, seinen Magen zu entleeren. Starr vor Schreck stand er vor seiner Toilettentür und lauschte auf die vielsagenden Geräusche von innen. Flo hatte inzwischen die Zeitung an sich genommen und betrachtete das Foto des Unfalls. Dann überflog sie den Artikel und erstarrte ebenfalls! Es war eine Ausgabe der Kölnischen Rundschau vom 4. Oktober vor drei Jahren. Als Berger nach einigen Minuten mit Unterstützung des völlig verstörten Herrn Helmer ins Wohnzimmer zurückkehrte, sah er aus, als sei er aus dem schlimmsten Albtraum seines Lebens erwacht. Wie geistesabwesend ließ er sich wieder auf das Sofa fallen und stierte an die Wand. Seine Schultern schienen kraftlos nach vorne zu sacken.

Flo Kramer stammelte nur das eine Wort: „Alex …“ Mehr brachte sie nicht heraus. Berger setzte sich langsam etwas auf und schlug die Hände vor das Gesicht. Helmer hatte ihm schnell ein großes Glas Wasser gebracht, das er jedoch nicht anrührte.

„Was ist denn mit Ihnen? Ja, ich weiß, das war eine schlimme Sache. Sie war die Frau eines Polizisten, und trotzdem haben sie dieses Schwein nicht finden können. Stellen Sie sich das mal vor, eine Polizistenfrau, ich glaube, ihr Name war Berg …“ Mitten im Satz brach er plötzlich ab. Seine Augen weiteten sich, als habe er von einer Sekunde auf die andere den Verstand verloren. Dann starrte er Alex Berger an, während er stocksteif in seinen braunen Pantoffeln mitten in seinem Wohnzimmer stand. Die Erkenntnis traf auch ihn nun mit voller Wucht. Beinahe ängstlich formten seine Lippen nur diese beiden leise ausgesprochenen Worte:

„Mein Gott!“

„Darf ich die Zeitung behalten?“ fragte Flo.

„Ja, ja, mein Gott, natürlich!“

Flo Kramer nahm Alex Berger in den Arm und versuchte, ihn zum Trinken zu bewegen, was er dann auch zögernd und widerwillig tat. Aber ihr Kollege stand offensichtlich unter Schock. Flo bekam es plötzlich mit der Angst zu tun.

„Rufen Sie einen Notarzt an, sofort!“, fuhr sie den armen und völlig fertigen Helmer an, der erschrocken zum Telefon im Flur rannte und mit zitternder Stimme die Notdienstnummer anrief. Danach lief er hilflos in seiner kleinen Wohnung hin und her und murmelte:

„Mein Gott, das war Ihre Frau.“ Aber er sagte dies trotz seines Entsetzens so leise, dass Berger es nicht hören konnte.

Dunkel ist die Finsternis

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