Читать книгу Dunkel ist die Finsternis - Ben Kossek - Страница 14
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Alex Berger machte es sich auf dem Beifahrersitz so bequem wie möglich. Das Fahren überließ er heute Flo Kramer. Erst am späten Sonntagvormittag hatten sie das Krankenhaus verlassen können, nachdem noch einmal ein Arzt nach ihm gesehen hatte. Es ging ihm heute schon deutlich besser, aber Berger war sehr still und nachdenklich. Flo hatte ihm vorgeschlagen, zurück nach Amsterdam zu fahren, aber er hatte das abgelehnt. Es ginge ihm wieder gut, und sie könnten ihren Besuch im ‚La Luna‘ wie geplant machen. Flo hatte am Ende zugestimmt. Also waren sie irgendwo etwas essen und hatten sich dann auf den Weg gemacht.
Es war ein windiger Sonntag, mal mit Sonne, mal mit Regen, sehr wechselhaft und alles andere als angenehm. Aber Alex Berger wollte das jetzt hier durchziehen, wie es von Anfang an auch geplant war. Im Stillen erhoffte er sich noch mehr Informationen zu diesem Unfall vor etwa dreieinhalb Jahren, der sein ganzes bisheriges Leben verändert hatte! Er wollte jetzt nicht locker lassen, gerade jetzt, wo es diese neue heiße Spur gab. Er wollte wissen, was damals geschehen war und ob es wirklich Gabriel Schoster war, der die Schuld am Tod seiner kranken Frau trug.
„Und du bist dir sicher, dass wir zum ,La Luna‘ fahren sollen?“, fragte Flo gerade noch einmal, als könne sie seine Gedanken lesen. Sie warf ihm wieder diesen besorgten Seitenblick zu.
„Ja, ist schon in Ordnung. Meinen Schock hatte ich ja schon. Ich will es jetzt wissen, endlich. Du verstehst?“ Irgendwie hatte Berger das Gefühl, dass Flo ihn seit gestern wirklich verstand, so verstand, wie es sonst nur Jan konnte!
„Gut. Dann machen wir das.“ Wie zur Bestätigung erhöhte sie das Tempo. „Möchtest du über damals sprechen, Alex?“
Mit einem Mal hatte er wieder das Bild vor Augen, als Rebecca an diesem frühen Nachmittag das Haus verließ, ihm noch einen Kuss gab und an der Haustür nochmal einen Blick zuwarf – einen letzten Blick! Für Rebecca war es einer der guten Tage gewesen, weshalb sie sich entschlossen hatte, zu ihrer Freundin zu fahren, ohne die Hilfe ihres Mannes in Anspruch nehmen zu müssen. Ihre letzte Chemo hatte schon ein paar Tage zurückgelegen, und es ging ihr inzwischen schon wieder besser. Am schlimmsten waren immer die ersten Tage danach. Dann konnte sie nie aus dem Haus, weil sie sich einfach nur verdammt elend fühlte.
Die Ärzte hatten ihr ausnahmslos zur Chemotherapie geraten. Anders sei diesem verdammten Tumor nicht beizukommen. Gleichzeitig hatten sie ihr jedoch auch keine Hoffnung gemacht. Es könne so und so ausgehen, da waren sie ausnahmsweise mal ehrlich und ließen sie nicht im Dunkeln tappen. Aber sie war auch energisch geblieben und wollte die Wahrheit hören, und keine umschreibenden Phrasen. Es hatte lange Gespräche gegeben, die nicht immer angenehm waren. Und viele Tränen. Vor allem dann, wenn mal wieder ein Rückschlag eingetreten war. Aber am Ende hatte sie sich nicht beirren lassen, jeden verbleibenden Tag für sich zu nutzen und so zu leben, wie sie es am besten wollte und konnte. Es waren nicht nur angenehme Tage!
Und er hatte ihr dabei geholfen, so gut es ging.
„Ich weiß es nicht so recht, wenn ich ehrlich bin. Ich habe die letzten Augenblicke mit ihr immer noch vor mir, als sie das Haus verließ. Ich weiß noch, dass ich darüber nachdachte, dass gewiss keine leichte Zeit auf uns zukommen würde wegen ihrer Krankheit. Dieser verdammte Krebs. Und am Ende war es ein Unfall, der sie das Leben gekostet hat. Ich hatte mich darauf eingestellt, dass sie eines Tages in der näheren Zukunft sterben würde. Aber nicht darauf, dass es so schnell gehen würde, so plötzlich. Und schon gar nicht auf diese Art, verdammt!“
„Wir werden dieses Arschloch erwischen, Alex. Er wird dafür bezahlen, das verspreche ich dir!“ Ihre Stimme klang so hart und entschlossen, dass er sie spontan ansehen musste. Und in diesem Augenblick verband sie ein unsichtbares Band aus Verzweiflung, Trauer, Wut, aber auch Entschlossenheit, ein tiefes Verlangen, endlich Gerechtigkeit zu erfahren für all das Erlittene, für all die Schmerzen, denen sie beide sich stellen mussten.
Wenige Minuten später parkte Flo Bergers Wagen in der Nähe des Eingangs zum ,La Luna‘. Nachdem sie sich bemerkbar gemacht hatten, öffnete ihnen ein Kerl mit Stiernacken und kahlgeschorenem Kopf, der die gesamte Tür ausfüllte. Berger musste unwillkürlich an einen Ochsen denken.
„Wir haben noch geschlossen“, brummte er missmutig und war im Begriff, die Tür wieder zuzuschlagen, als Flo ihm zurief:
„Halt, warten Sie! Wir möchten gerne den Besitzer des Klubs sprechen. Es ist wichtig!“
„Wer sind Sie, wenn man mal fragen darf?“ fragte der Ochse und sah sie beide nun zum ersten Mal bewusst an.
„Kramer, das ist mein Kollege Berger, Kripo Köln. Wir hätten ein paar Fragen an den Besitzer.“ Die Beamten hielten ihm ihre Dienstausweise unter die klobige Nase. Doch der Ochse sah erst Berger und dann Flo Kramer an und ließ sich offensichtlich auch nicht durch die geballte Macht zweier Polizeiausweise aus seiner stoischen Ruhe bringen. Er grinste nur und sagte:
„Weshalb sollte ich ein Interesse daran haben, sie hier reinzulassen, hm?“
Flo Kramers Blick wurde von einer auf die andere Sekunde eisig und schien den Ochsen zu durchbohren.
„Weil wir sonst heute Abend zur besten Geschäftszeit wieder hier auftauchen, mit einem ganzen Rudel Polizisten und einem frischen Durchsuchungsbeschluss, du Arschloch! Ist das Grund genug oder soll ich noch einen nachschieben?“
Der Ochse war zunächst sprachlos. So hatte noch niemand mit ihm gesprochen! Einen solchen Auftritt hatte sich bisher noch keiner gewagt. Gerade wollte er zum verbalen Gegenschlag ausholen, als er Flo’s eisigen Blick bemerkte und es sich offenbar noch einmal überlegte.
„Warten Sie hier. Ich frage nach.“ Mit diesen Worten schloss er die Tür. Sie hörten noch einen Moment lang seine Schritte, die sich hinter der Tür entfernten. Es dauerte dennoch fünf Minuten, bis die gleichen Schritte wieder zu hören waren, dieses Mal aber in die entgegengesetzte Richtung. Dann wurde die Tür geöffnet und der Ochse sagte nur:
„Folgen Sie mir!“
Flo und Alex ließen sich das nicht zweimal sagen und folgten dem Mann durch das Etablissement mit vielsagender roter Beleuchtung und leiser Hintergrundmusik in ein kleines Büro, dass im hinteren Teil des Erdgeschosses lag. Auf einer riesigen Sitzlandschaft aus braunem Leder, die in der Mitte des Raumes stand, saß ein älterer Mann, der sich bei ihrem Eintreten erhob. Er trug einen teuren Anzug und hatte sein lichtes Haar glatt nach hinten gekämmt. Ein gepflegter Kinnbart zierte sein Gesicht, doch der Ausdruck in diesem Gesicht wirkte alles andere als freundlich, als er den beiden Beamten entgegenging.
„Ich hörte, dass eine wichtige und unaufschiebbare Angelegenheit sie zu mir führt“, murmelte er vielsagend. „Robert Kelch. Ich bin der Besitzer des ,La Luna‘. Was kann ich denn so Eiliges für Sie tun?“
„Mein Name ist Berger, meine Kollegin Kramer, Kripo Köln. Wir haben nur ein paar Fragen an Sie, wenn es recht ist.“
„Nun, wenn Sie schon mal hier sind“, grinste der Mann. „Was haben wir denn verbrochen?“
„Ich möchte vorab klarstellen, dass wir nicht wegen Ihnen hier sind. Und Ihre Geschäfte interessieren uns ebenfalls nicht. Uns geht es vielmehr um einen Mann namens Gabriel Schoster, der bis vor einigen Jahren hier bei Ihnen gearbeitet hat, als Manager, wie man uns sagte. Ist das richtig?“
Bei dem Namen Gabriel Schoster faltete sich das übermütige Grinsen des Mannes plötzlich zu einer starren Maske zusammen. Er wechselte einen kurzen, aber bezeichnenden Seitenblick mit dem Ochsen, sah dann wieder zu Berger und fragte mit einer auffallend leisen Stimme:
„Was ist mit dem Kerl?“
„Nun, wir hätten gerne einige Informationen über ihn. Und so wie es scheint, kennen Sie ihn auch?“ Die Reaktion von Robert Kelch auf seine Fragen zu Gabriel Schoster zeigten Berger, dass Schoster hier offensichtlich noch eine besondere Rechnung offen hatte. Kelch machte keinen begeisterten Eindruck.
„Allerdings.“ Das Gesicht des Mannes blieb unverändert.
„Wann hat Schoster hier bei Ihnen aufgehört? Er war doch ihr Manager, richtig?“ fragte Flo nun dazwischen.
„Sie sagen es: Er war mein Manager. Bis zu dem Tag, als ich ihn im hohen Bogen hinausgeworfen habe. Von aufhören kann hier wohl nicht die Rede sein. Ich sage Ihnen dazu nur folgendes: Wenn der Kerl hier noch einmal auftaucht, soll er sich warm anziehen. Sonst könnte es sein, dass Oliver ihn portionsweise wieder auf die Straße befördert.“ Bei dem Namen Oliver deutete er mit drohender Miene auf den Ochsen, als wäre damit alles gesagt. Der Ochse grinste wie zur Bestätigung.
„Was hat er sich denn zu Schulden kommen lassen“, fragte Berger jetzt in einem gemäßigten Tonfall. Er wollte schließlich Informationen erhalten und die Situation nicht eskalieren lassen.
„Zwanzigtausend Euro hat er sich zu Schulden kommen lassen. Die habe ich noch von ihm zu kriegen. Er hat die Kohle heimlich unterschlagen. Ich habe ihm eine Woche Zeit gegeben, das Geld hier vorbeizubringen. Stattdessen hat dieser Dreckskerl es vorgezogen, sich aus dem Staub zu machen. Und wenn sie ihn sehen, richten Sie ihm von mir aus, dass sein alter Freund Robert ihn nicht vergessen hat!“
„Machen wir gerne – wenn wir ihn sehen“, erwiderte Berger. „Im Augenblick sind wir nämlich auf der Suche nach Gabriel Schoster. Ab und zu soll er noch hier in Heinsberg auftauchen, sagte man uns gestern.“
„Tatsächlich? Dann sollte er aber nicht allein kommen. Sonst könnte das für ihn leicht ins Auge gehen.“ Robert Kelch machte keineswegs den Eindruck, als könne er seiner Drohung nicht auch Taten folgen lassen. „Weshalb sucht ihn die Polizei?“
„Eine Drogensache und verschiedene andere Vergehen. Sie haben eine Ahnung, wo sich Schoster befindet?“
„In Amsterdam. Dorthin ist er abgehauen. Aber eine genaue Adresse haben wir nicht, sonst hätten wir ihm schon mal einen freundlichen Besuch abgestattet.“
„Und Sie haben ihn seitdem auch nicht mehr gesehen?“
„Leider nein.“
„Ich habe gehört, dass er vor etwa drei Jahren hier abhauen musste, weil er eine Frau in Köln totgefahren hat. Haben Sie von dieser Sache gehört? Ein Unfall mit anschließender Fahrerflucht. Stand auch in der Presse.“ Flo warf Alex einen kurzen Seitenblick zu, aber der hatte sich gut im Griff. Nichts deutete darauf hin, dass es hier für ihn um eine private Angelegenheit ging.
„Gabriel? Nee, sicher nicht. Der konnte doch gar nicht Autofahren. Er besaß weder einen Führerschein noch konnte er ein Fahrzeug bewegen. Hat sich gerne durch die Gegend kutschieren lassen, dieser Großkotz. Hat immer wie der Herr Generaldirektor hinten im Wagen gesessen.“
Berger sah Robert Kelch mit überraschtem Blick an. „Sind Sie da sicher? Gabriel Schoster ist nicht selbst gefahren?“
„Nein, das war unter seiner Würde. Während seiner Zeit hier hatte er einen ständigen Fahrer, Eric Bichler, die alte Schwuchtel. Der ist dann auch mit ihm zusammen abgehauen. Wir haben uns damals gewundert, warum der unbedingt hier weg wollte. Dann hat der wohl die Frau auf dem Gewissen, und Schoster hat ihn gedeckt.“
„Dieser Eric Bichler, hatte der eine seltsam hohe Stimme und hinkte er?“ Nun spürte Flo Kramer, dass Alex Berger diese Spur nicht mehr losließ. Er wollte hier und heute und mit allen Mitteln herausfinden, wer schuld am Tod seiner Frau war. Er wollte diese für ihn unsägliche Tragödie endlich klären und abschließen, indem er den Schuldigen fand und zur Strecke brachte. Er wollte endlich Genugtuung und wieder zur Ruhe kommen.
„Stimmt. Wegen seiner Stimme nannten ihn alle ,Schwuchtel‘. Keine Ahnung, ob er auch wirklich eine war. Und gehinkt hatte der schon immer, solange ich ihn kenne. Eine feige Sau war er obendrein. Kann mir gut vorstellen, dass Schoster ihn nach dem Unfall unter Druck gesetzt hat, damit er sein dummes Maul hält. Das Schwein wollte einfach keine Schwierigkeiten.“
„Dann vielen Dank erstmal. Wir melden uns, falls noch Fragen zu Schoster auftauchen sollten.“
„Und wenn Sie den Kerl finden sollten, denken Sie an meine Zwanzigtausend. Oliver begleitet Sie noch zur Tür.“