Читать книгу Bulle bleibt Bulle - Ein Hamburg-Krimi - Ben Westphal - Страница 12
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Direkt neben dem größten Einkaufszentrum südlich der Elbe in Hamburg verläuft die zweispurige Wilstorfer Straße. Der belebte Verkehr lässt die warme Luft im Sonnenschein nach Abgasen riechen. Die Motorengeräusche dröhnen in den Ohren der Gäste vom Café International. Sie sitzen vor den Milchglasscheiben vom Café an mehreren kleinen Holztischen und unterhalten sich lautstark miteinander.
Es wird gelacht, eher sogar laut aufgebrüllt vor Freude und Heiterkeit. Einige Besucher stehen um die sitzenden Gäste herum und beteiligen sich an dem Gerede, welches zum Teil in mehreren Sprachen gleichzeitig gestenreich geführt wird.
An einem der Tische sitzt auch Cemal Sarikaya. Seine frisch rasierte Glatze leuchtet im Sonnenschein. Das weiße Hemd lässt den Teint seiner Haut noch brauner erscheinen. Seine dunkle Stoffhose und die schwarzen Lederschuhe, die er trägt, lassen ihn zwischen seinen Freunden und Gästen deplatziert wirken. Sie selber tragen zumeist helle und dunkle Trainingshosen, Sportschuhe und luftig geschnittene T-Shirts.
Die Mehrzahl von ihnen hat einen mehr oder weniger langen Vollbart. Auch Cemal hat einen dunklen Bart, den er gerade erst am Morgen beim nebenan eröffneten Barbershop zurechtstutzen lassen hat.
«Cemal, Digger, das kannst du dir doch nicht gefallen lassen.»
«Die sollen dich endlich in Ruhe lassen.»
«Digger, was denken die eigentlich», sprechen seine Gäste auf Cemal ein. Er sitzt stoisch in seinem Stuhl, hat die Finger ineinander verfächert, wobei er die Zeigefinger ausgestreckt hält und mit den Fingerspitzen immer wieder gegen seine Nasenspitze tippt.
Grübelnd blickt er zu einem in Sichtweite geparkten Van, dessen Heckscheiben abgedunkelt sind.
«Du musst denen jetzt mal zeigen, dass sie nicht alles mit dir machen können. Du bist ein freier Mann.»
«Die können hier doch nicht ewig rumlungern», sprechen die nächsten beiden Gäste auf Cemal ein.
«Lasst sie doch im Kofferraum sitzend schwitzen. Irgendwann werden die schon die Lust an uns verlieren», erwidert Cemal mit ruhigem Tonfall. Er trinkt einen kleinen Schluck schwarzen Tee aus einer gläsernen Tasse, die er im Anschluss auf einem Blechtablett abstellt.
«Diggi, Bruder. Ich hänge hier nicht länger ab, wenn die hier immer sind, Digger. Das macht keinen Sinn.»
Mit jedem Kommentar der Anwesenden wird Cemal ruhiger und schaut mit gestochenem Blick zu dem Fahrzeug hinüber. Die Stirn wirft er dabei in Falten. Zwischen den Augenbrauen bildet sich eine tiefe Furche. Immer mehr baut sich eine Spannung in seinem Körper auf. Mit jeder weiteren Äußerung steigert sich in ihm die Aggression über die unerwünschten Beobachter.
«Bro, ich mach hier keine Geschäfte mehr. Ich geh' ab morgen wieder in Neugraben ins Café», äußert sich ein dickbäuchiger Südländer, der direkt neben Cemal sitzt.
Cemal beginnt zu blinzeln, als die Sonne hinter einer Wolke hervortritt, sich in dem Tablett vor ihm widerspiegelt und das Licht auf sein Gesicht wirft.
«Schluss jetzt», gibt er entschlossen von sich. Er steht von seinem Stuhl auf. Mit schnellen Schritten schreitet er in sein Café und geht unmittelbar auf seine Angestellte zu. Sie steht hinter dem Tresen und stellt gerade die Getränkewünsche der Gäste bereit.
Er greift hinter die Theke und spürt das kalte Metall an seinen Fingerspitzen, das er sogleich umfasst und hervorzieht.
«Was machst du da?», fragt Svetlana, die neue Angestellte von Cemal.
«Konzentrier’ dich auf deinen Kram», antwortet Cemal mit scharfem Tonfall und wendet sich von ihr ab.
Unweit vom Café sitzt im Kofferraum eines abgedunkelten Vans der Leiter der Observationsgruppe vom Rauschgiftdezernat. Trotz seiner Führungsposition in der Gruppe liebt er es, noch immer in erster Reihe zu stehen und möglichst gute Fotos und Videos von Treffen oder Übergaben zu fertigen. Immer wieder drückt er den Auslöser seiner Kamera und filmt die Bewegungen vor dem Café International. Das Hauptobjekt seiner Begierde hatte vor kurzem das Café betreten. So nutzt er den Moment, um mal die Kamera abzulegen und seine Brotdose zu öffnen. Er will sich kurz stärken für die nächsten Stunden der geplanten Observation.
In der Jackentasche von Fred vibriert plötzlich sein Handy. Auf dem Display erscheint der Name von Otto.
«Hallo, mein lieber Otto», antwortet Fred mit gedämpfter Stimme. «Wie geht's, wie steht's?»
«Bist du noch bei Cemal?», fragt Otto sogleich ohne eine Begrüßung oder die Frage nach dem Wohlbefinden.
«Mir geht es auch super. Und ja, ich sitze hier noch immer in meinem Backofen, schwitze wie ein Iltis und warte darauf, dass etwas Interessantes passiert. Bislang ist hier alles ruhig. Relativ viele Gäste sind anwesend, aber es wird nur herumgealbert. Ich konnte noch nichts Aufregendes feststellen», erzählt Fred mit vollem Mund, nachdem er kräftig von seinem Käsebrot abgebissen hat.
«Mmmh. Schade. Wir haben einen Hinweis auf Cemal bekommen. Wir müssen da dranbleiben. Er soll einen Laster mit Pinneberger Kennzeichen nutzen, um Kokain in Katzenstreupackungen nach Hamburg zu transportieren. Falls ihr also einen entsprechenden Lastkraftwagen oder Katzenstreupackungen seht, dann sagt mir bitte Bescheid», erklärt Otto sein Anliegen.
«Ja. Ich meld’ mich, wenn was passiert. Warte mal. Cemal kommt gerade aus dem Laden. Was hat der denn vor? Warte mal, Otto. Hier passiert vielleicht was. Ich glaube der, der kommt direkt auf mich zu.»
Mit entschlossenem Gang marschiert Cemal durch seine Freunde und Gäste hindurch. Erstaunt über diese Reaktion auf ihre Einflussnahme, blicken sie ihm nach.
Durch große, schnelle Schritte gelangt Cemal zu dem dunklen Van, den sie nun bereits seit mehreren Stunden im Auge behalten hatten. Nachdem Farid, der seit vielen Jahren in das Café International kommt, am Morgen beobachtet hatte, wie der Wagen in Sichtweite abgestellt wurde, jedoch keine Person ausstieg, war ihm gleich klar, was sich dort abspielt. Das Café war zu diesem Zeitpunkt noch nicht geöffnet, doch Farid wohnt direkt nebenan im zweiten Stock und schaute gerade aus seinem Fenster.
Cemal ergreift am Van angekommen den Griff der Schiebetür und reißt die Tür mit einem lauten Knallen auf. Aufgeschreckt blickt der im Kofferraum sitzende Fred zu Cemal auf, der ihm direkt in die Augen schaut und seine rechte Hand in Freds Richtung erhebt. Fred sieht es leicht aufblitzen in der Hand von Cemal, doch er schaut Cemal weiterhin gebannt von dessen Blick in die Augen.
«Wollen Sie vielleicht einen Tee, Herr Kommissar», fragt Cemal plötzlich aufgesetzt freundlich. Er wandelt die in seinem Gesicht stehende, furchteinflößende Strenge in ein verschmitztes Grinsen und schaut kurzzeitig auf das in seiner Hand befindliche Tablett. Ohne auf eine Antwort zu warten, stellt er es auf der Rückbank ab, zwinkert dem noch immer regungslos dasitzenden Fred zu und schließt die Seitentür vom Van mit einem metallischen Rauschen.
«Otto, ich glaube wir sind aufgeplatzt», spricht Fred emotionslos in sein Handy und beendet das Gespräch. Sein Blick bleibt bei Cemal, der selbstbewusst auf die johlende Gesellschaft vor seinem Café zuschreitet.