Читать книгу Bulle bleibt Bulle - Ein Hamburg-Krimi - Ben Westphal - Страница 20

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Mitten auf der Veddel steht verlassen an einem großen Parkplatz die Veddeler Fischgaststätte. Der Name ist Programm und eigentlich kennt ein jeder Hamburger den Schuppen nur unter dem Namen Fischbratküche. Sie ist eine Institution im Hamburger Hafengebiet. Wer dort noch nie gegessen hat, der hat Hamburg auch nicht richtig gesehen. Natürlich kommt man nicht hierher, weil man unbedingt freundlich bedient werden möchte, eine gut gelüftete Räumlichkeit erwartet oder gar gesundes Essen auf den Teller bekommen mag. Hier geht man hin, wenn man Lust auf knusprigen Backfisch mit fettigem Kartoffelsalat hat. Mit ein wenig Glück regnet es auch nicht und man muss sich zum Essen nicht in dem Laden aufhalten.

Auch heute scheint die Sonne. Die Lasterfahrer, Geschäftsleute, Handwerker und Touristen tummeln sich mit ihren Fischtellern an den Tischen vor der Fischbratbude. Sie sehen, wie eine weiße Geländelimousine mit hoher Geschwindigkeit bei aufheulendem Motor an ihnen vorbeirauscht und in Richtung Veddel fährt.

Die Köpfe der Gäste folgen kurz dem weißen Geschoss, wobei sie allesamt verstummen, um kurz hinterherzuschauen. Doch die Ruhe ist nicht von langer Dauer. Schon wird sich weiter ausgetauscht über die Geschäfte und Geschehnisse des Alltags.

In der Geländelimousine sitzt Cemal Sarikaya auf dem Beifahrersitz und navigiert den Fahrer zu seinem Zielort am Zollhafen.

«Hier rechts abbiegen. Halt an. Ich steige hier aus. Stell dich so auf, dass du mich warnen kannst, wenn die Bullen kommen. Am besten dort hinten. Da sehen sie dich nicht sofort. Ich bin in Nummer 22. Verstanden?», fragt Cemal nachdrücklich seinen Fahrer und zeigt dabei auf die Hausanschrift, in die er gleich gehen will. Dieser nickt und blickt zu der Parkbucht, in die er rückwärts einparken wird, um alles im Blick zu behalten.

Während er noch schaut, entnimmt Cemal bereits aus der Mittelkonsole ein Schlüsselbund und steigt aus dem Fahrzeug aus. Mit schnellen Schritten läuft er zu der Anschrift und öffnet mit dem Schlüsselbund die Hauseingangstür. Er sprintet die Treppe hoch und bleibt an einem Treppenfenster stehen. Dort schaut er prüfend aus dem Fenster, ob ihnen jemand gefolgt ist oder sie beobachtet werden. Zwar hält er stets die Augen für Verfolger offen, doch heute fühlt er eine besondere Nervosität. Ein Unbehagen, das ihm Sorge bereitet. Zuletzt verspürte Cemal dieses Gefühl im Herbst, als er Faruk, ihren Bunkerort für Kokain und Marihuana und den besten Abnehmer an die Bullen verlor, wodurch er wieder von ganz unten anfangen musste.

Ein Glück für Cemal, dass ihm die Albaner zur Seite standen und ihn mit Lieferungen unterstützten, die er in vollem Vertrauen zu guten Preisen auf Kredit erhielt. Die Geschäfte liefen wieder an und er begann auch ohne Faruk gutes Geld zu verdienen.

Cemal zieht aus der Hosentasche ein Smartphone und entsperrt den Bildschirm. Noch immer keine Nachricht von Roadrunner. Er wird den Bunker leerräumen. Nur zur Sicherheit. So etwas wie im Herbst darf in dieser Situation nicht noch einmal passieren. Nicht mit einer Ware, die noch nicht bezahlt ist. Und vor allem nicht mit den Albanern, die auf ihr Geld warten. Außerdem würde es die gesamte nächste Lieferung gefährden, die ihm bereits in Aussicht gestellt wurde.

Cemal reißt sich aus seinen Gedanken und blickt noch einmal über den Parkplatz vor dem Gebäude. Ihm fallen keine Fahrzeuge oder Personen auf, die ihm verdächtig erscheinen könnten. Er sieht nur ein paar halbstarke Jugendliche, die in weiten Jogginghosen und Kapuzenpullovern breitbeinig die Straße hinablaufen.

Cemal wendet sich vom Fenster ab und streift mit der linken Hand den Schweiß von seiner Glatze, der sich auf der glatten Haut inzwischen gebildet hat.

Von dem Treppenhaus geht jeweils immer eine Etage mit mehreren Wohnungen ab. Ein breiter Flur liegt zwischen den versetzten Eingangstüren. An kaum einer Tür ist der Nachname der Mieter verzeichnet. Davor stehen auf Schuhbänken diverse Turnschuhe oder Stiefel, die auf Grund ihrer Farbe oder Form vereinzelt Rückschlüsse auf die Bewohner zulassen. Gelegentlich steht auch ein Kinderwagen oder Buggy vor der Tür.

Cemal weiß genau, zu welcher Tür er gehen muss. Er schleicht direkt auf sie zu und sucht am Schlüsselbund den passenden Schlüssel hervor. Er steckt ihn in das Schloss, dreht ihn bis es zwei Mal laut klackt und sich die Tür mit einem leichten Quietschen öffnen lässt.

Scotty und ihre Kollegen sitzen inzwischen im Dienstwagen und jagen durch Hamburgs Straßen. Das Blaulicht auf ihrem zivilen Dienstwagen ist für viele Verkehrsteilnehmer schwer zu erkennen und sie machen nur verhalten Platz. Dennoch kurvt Scotty den Wagen gekonnt durch die aufbrechenden Gassen, während Ernie und Bert sich an allen verfügbaren Griffen im Fahrzeug festhalten.

Sie haben ihr gerne den Vortritt gelassen. Keiner fährt schneller und sicherer als sie und es liegt immerhin Gefahr im Verzuge vor.

Nachdem sie von der Autobahn abgefahren sind, passieren sie zunächst die Fischbratküche, wo alle Köpfe der Gäste dem blau aufblinkenden Zivilwagen aufmerksam mit ihren Blicken folgen. Scotty nimmt das Blaulicht vom Dach, als sie den Weg in Richtung der Veddel eingeschlagen haben. Ein wenig will sie sich das Überraschungsmoment für die Durchsuchung bei Florian Köhlers Wohnung aufsparen. Sie passieren die Kehre an der die Wohnanschrift liegt und fahren ein paar hundert Meter weiter. Scotty parkt direkt hinter dem Dienstwagen von Kuno und Blondie ein, stellt den Motor ab und öffnet die Fahrertür. Während Ernie und Bert sich für einen Moment blasshäutig anschauen und durchschnaufen, steigt Scotty aus dem Fahrzeug aus und setzt sich in den Fahrzeugfond von Kuno und Blondie.

«Hallo. Da sind wir schon», begrüßt sie die beiden fröhlich.

«Das ging ja flott», antwortet Blondie. «Wie ist dein Plan?»

«Ich gehe vor und öffne die Haustür. Dann gebe ich euch Bescheid und ihr sickert in das Haus nach und nach ein. Wir treffen uns im Treppenhaus und suchen die Wohnung.»

Kuno und Blondie schauen jeweils über ihre Schulter auf die in der Mitte der Sitzbank hockende Scotty, die konzentriert ihre Vorstellungen erläutert.

«Einverstanden. Also wartet keiner draußen und schaut, ob jemand durch das Fenster flüchtet?», fragt Blondie.

«Nein. Sonst sind wir in der Wohnung zu wenige. Wir rammen und betreten zügig die Wohnung. Und wer soll schon weglaufen. Köhler sitzt ja warm und trocken bei uns», erklärt Scotty und nickt den beiden Kollegen zu. Anschließend steigt sie auf der Beifahrerseite aus, um direkt auf den Fußweg zu gelangen. Sie geht entgegen der Fahrtrichtung zur Kehre, in der auch der Hauseingang liegt.

Aus ihrer Zeit bei operativen Einheiten ist sie es noch gewohnt ohne Schlüssel in unterschiedlichste Haustüren zu gelangen. So konnte sie besser und konspirativer, manchmal auch einfach nur trockener, gegenüberliegende Wohnungen oder Lokalitäten beobachten. Kaum ist sie an der Hausnummer 22 angekommen und hat ihr Öffnungswerkzeug angesetzt, ist die Tür auch bereits offen. Als wäre es das Normalste der Welt, betritt sie das Treppenhaus. Niemand, der sie dabei beobachtet, würde Argwohn empfinden und davon ausgehen, dass sie diese Tür ohne rechte Mittel geöffnet hat.

Während sie in das Haus geht, steckt sie ein kleines Stück Pappe in die Tür. Das Schloss der Tür kann dadurch nicht mehr in die Falle schnappen, sie schließt jedoch trotzdem und bleibt nicht offen stehen.

Über Funk gibt sie die Freigabe an Ernie und Bert sowie Blondie und Kuno, dass sie nach und nach kommen können.

Ein paar Etagen weiter oben läuft Cemal aufgeregt durch die Wohnung von Florian Köhler. Zunächst ging er vorsichtig vor und öffnete lediglich die Schränke, schaute unters Bett und in die Abstellkammer. Immerhin könnte es ja auch andere Gründe geben, dass sich Roadrunner nicht mehr bei ihm meldet.

Doch nach und nach wird Cemal ungeduldiger, weil er einfach nicht finden kann, wonach er sucht. Die Furche zwischen seinen buschigen Augenbrauen wird immer tiefer. Der Gesichtsausdruck trägt eine Mischung aus Wut, Verzweiflung und Furcht. Warum erzählte Flo ihm auch nicht, wo er die Ware lagert. Cemal greift im Kleiderschrank nach den Kleidungsstücken und beginnt sie auf das Bett zu werfen, nachdem er jedes Einzelne ordentlich geschüttelt hat. Wo mag der Kerl die Kilogrammpakete nur versteckt haben. Sie sind zwar nicht so ausufernd wie Marihuana, das bei einem Kilogramm eine ganze Einkaufstüte ausfüllen kann, aber immerhin noch so groß wie eine Packung Mehl. Und davon sucht er schließlich gleich mehrere. So ein Paket kann man doch eigentlich kaum so gut verstecken, dass er sie nicht finden kann. Auch weil die Wohnung so leer und aufgeräumt wirkt. Flo hat kaum Möbel in den zwei Räumen stehen, die er zur Verfügung hat. Ein Bett, einen Schrank und einen Schreibtisch im Schlafzimmer. Eine alte, speckige Ledercouchgarnitur und einen großen LCD-Fernseher im Wohnzimmer, der auf einem flachen Fernsehschrank steht. Nachdem Cemal im Wohnzimmer den gesamten Schrank ausgeräumt und von der Wand weggezogen hat, blickt er noch einmal kopfschüttelnd im Schlafzimmer auf den Wäscheberg, den er auf dem Bett angehäuft hat. Er wendet sich ab und geht wieder ins Wohnzimmer.

Am Ende der Parkbucht sitzt der Fahrer von Cemal in seinem weißen SUV und beobachtet den Eingang zur Anschrift. Eine ganze Weile passierte gar nichts. Niemand verließ die Anschrift oder betrat sie. Doch vor kurzem kam eine Frau mittleren Alters, mit schnellen Schritten um die Ecke gelaufen. Sie trug einen Rucksack und wirkte so, als wenn sie ganz genau wüsste, wohin sie gerade will. Sie zog etwas im Sonnenschein Aufblitzendes hervor, was Hüseyin auf Grund der Entfernung nicht genau erkennen konnte und betrat kurz darauf die Wohnanschrift.

Schon wenige Momente darauf folgten ein etwas älterer Mann mit grau meliertem Vollbart und kräftiger Figur, in Begleitung einer wasserstoffblondierten Frau, die schon einige Stunden ihres Lebens im Solarium verbracht haben dürfte. Die Frau war deutlich jünger als der Mann, doch waren die beiden trotzdem harmonisch zueinander. Hüseyin dachte zunächst, dass sie vielleicht Vater und Tochter gewesen sein könnten. Doch als jetzt und schon wieder aus derselben Richtung zwei Männer um die Ecke biegen, die sich mehrfach umschauen und so wirken, als wenn sie sich hier weder auskennen, noch wirklich wissen wo sie hinmüssen, wird Hüseyin unruhig.

Er zieht sein Telefon aus der Mittelkonsole und beginnt hektisch in den Kontakten nach der Rufnummer von Cemal zu suchen. Er ruft ihn so selten an, weil er zumeist im Café International verweilt oder aber Cemal ihn anruft, wenn er ihn braucht.

Hüseyin ist sich sicher, dass er ihn unter ccc abgespeichert hat in dem Telefon und wählt die Nummer.

Nach wenigen Freizeichen geht Cemal ans Telefon. «Was ist los?»

«Chef, hier Leute gekommen sind. Erst eine Frau, dann eine Frau und eine Mann und jetzt noch einmal zwei Männer. Ich glaube, die sind Polizei.»

«Mit was für Autos sind die gekommen?», antwortet Cemal und schaut aus einem zur Straße gerichteten Fenster.

«Ich nichts gesehen haben. Die kamen zu Fuß. Aber alle aus gleiche Richtung», antwortet Hüseyin.

Cemal rennt vom Fenster zur Wohnungstür und schaut durch den Spion. Vorsichtig blickt er durch das Loch und späht in den Flur hinein.

«Kommen noch mehr, Hüseyin?», fragt er aufgeregt flüsternd ins Telefon.

«Nein. Ich sehe niemand», antwortet Hüseyin, während er aufgeregt umherschaut.

Cemal drückt langsam die Türklinke nach unten und öffnet die Tür einen Spalt breit. Im Treppenhaus hört er schleichende Schritte, die er bei geschlossener Tür noch nicht wahrnahm. Es sind definitiv mehrere Personen, die Stufe für Stufe nach oben kommen. Cemal spürt sein Herz bis zum Hals schlagen. Er schließt die Tür wieder vorsichtig und rennt durch die Wohnung, schaut aus dem Fenster, doch die Wohnung liegt zu hoch. Er könnte sich beide Beine brechen oder Schlimmeres antun, wenn er springen würde. Cemal fasst einen Entschluss und beginnt das Wohnzimmer weiter zu durchsuchen. Am besten er findet die Ware vor den Bullen und schmeißt sie aus dem Fenster. Hüseyin kann den Stoff dann wegschaffen. Niemand wird ihm dafür etwas nachsagen können, dass er sich in der Wohnung eines Freundes aufhält. Aber, wenn die Bullen jetzt zu Flo kommen, dann müssen sie ihn ja gepackt haben. Aber wie soll er ihnen erklären, warum er in einer komplett durchwühlten Wohnung sitzt? Cemal grübelt über glaubwürdige Erklärungen, dabei wendet er sich vom Fernsehschrank ab und macht kehrt. Er rennt ins Schlafzimmer, schiebt den Schrank so leise es geht zurück an die Wand und beginnt die Kleidung von Flo wieder hineinzuwerfen. Hauptsache die Wäsche kommt runter vom Bett und es sieht hier einigermaßen normal aus, denkt sich Cemal. Er wird sich dann einfach auf die Couch werfen und vorher die Spielekonsole starten. Und falls die Bullen doch noch etwas finden in der Bude, dann wird Flo das auf sich nehmen müssen, dafür wird Cemal schon Sorge tragen.

Im vierten Obergeschoss des Hauses angekommen, legt Ernie die Sporttasche mit der Ramme auf den Boden und öffnet vorsichtig den Reißverschluss. Das Ratschen der Zähne, die auseinandergezogen werden, hallt dabei leise durch das Treppenhaus und stört die Stille, die sich nach der Ankunft auf der Etage langsam aufgebaut hat.

An der Klingel zur Wohnung steht in großen Buchstaben der Name KÖHLER. So ziemlich das einzige Klingelschild im Haus, das von einem Namen geziert wird. Obwohl in der einen oder anderen Wohnung auch Familien wohnen dürften, worauf man anhand der Anzahl und Größe der Schuhe vor den Türen schließen kann.

Ernie übergibt die schwere Ramme an Bert, der die kühlen Stahlgriffe mit beiden Händen ergreift und sich mit sicherem Stand vor der Wohnungstür aufbaut. Scotty, Kuno, Blondie und Ernie stellen sich hinter ihm auf und Scotty gibt Bert ein Zeichen, dass sie bereit sind.

Bert zielt zwei Mal mit der Ramme an, holt aus und schlägt gegen das Türblatt. Die Zarge reißt ein und wird mit dem folgenden Schlag endgültig gebrochen. An Bert laufen die anderen vier mit gezogenen Waffen vorbei in die Wohnung.

«POLIZEI! POLIZEI! STOPP, NICHT BEWEGEN!», dröhnt es in den Hausflur hinaus. Bert tritt nun auch in die Wohnung ein und folgt seinen Kollegen.

«ICH WILL DIE HÄNDE SEHEN! AUF DEN BODEN! AUF DEN BODEN!», schreit Blondie aus dem Wohnzimmer.

«Was ist denn hier los? Leute, Leute, entspannt euch mal», sagt eine erschrockene, aber dennoch ruhige Stimme aus dem Wohnzimmer.

Bert schließt die Tür zum Treppenhaus und stellt die Ramme davor auf dem Boden ab, so dass die Tür sich nicht mehr von alleine öffnet. Einen Moment später geht er zum Wohnzimmer.

Am Boden liegt ein glatzköpfiger Mann, dem durch Kuno gerade die Handschellen auf dem Rücken angelegt werden.

Bulle bleibt Bulle - Ein Hamburg-Krimi

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