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Wundern

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Hans hat heute einen Wunderkuchen gebacken, mit Pflaumen. Das Wunder war, wie schnell er damit fertig war und der Kuchen auf dem Tisch stand.

Daraufhin haben alle, die gerade in der Runde saßen, versucht, etwas zu finden, worüber sie sich wundern. Das ist das Ergebnis:

Wieso werden bestimmte Menschen als ›groß‹ bezeichnet? Große Denker, große Frauen der Weltgeschichte. Warum sollen all diese Leute größer sein – und größer als was oder wer eigentlich?

Wieso treten bestimmte Entwicklungsstufen des Denkens überall in der Welt gleichzeitig auf?

Warum können wir kommunizieren, obwohl wir immer absolut unterschiedliche Standpunkte, Wahrnehmungen und Interessen haben müssen?

Wieso hat sich in tausenden Jahren Denken die Vorstellung vom ausgeschlossenen Widerspruch (zwei Sachverhalte können nicht gleichzeitig wahr sein wenn sie einander ausschließen) als Regel statt als Ausnahme gehalten? Aus der Tatsache dass es nicht gleichzeitig Tag und Nacht sein kann, dass eine Person nicht gleichzeitig pünktlich sein kann und unpünktlich, dass ein Mörder nicht nicht getötet haben und getötet haben kann, folgt doch noch lange nicht eindeutig, welcher Zustand in der Dämmerung herrscht, ob das Schnabeltier ein Vogel oder ein Säugetier ist oder dass ein sich bewegender Gegenstand (und alle Gegenstände bewegen sich doch oder werden bewegt) immer ist und gleichzeitig nicht ist?

Warum glauben überall in der Welt Menschen an irgendwelche Götter, obwohl allein die Tatsache, dass es verschiedene Gottesvorstellungen gibt, Zweifel an der Sinnhaftigkeit und der Allmacht dieser Götter säen müsste? Wenn es Götter gäbe, wäre es ihnen nicht ein Leichtes, uns alle gleicherweise von ihrer Existenz und der Art ihrer Existenz zu überzeugen? Wenn sie aber diese Macht nicht besitzen oder einsetzen, sind sie dann vollkommen? Sind sie überhaupt Götter, höhere Wesen?

Warum sind vor allem Frauen überall in der Welt die am häufigsten und intensivsten religiös fühlenden Menschen, obwohl sie in fast allen Religionen als minderwertig dargestellt werden?

Warum haben sich trotz der unglaublich feinen und riesigen Verschiedenheiten der Völker auf der Welt einige Dinge überall durchgesetzt?

 überall wird Alkohol getrunken

 überall werden Zigaretten geraucht

 überall gilt das Auto als Wert

 überall werden Handys (Mobiltelefone) benutzt

 überall gelten der Anzug und die Krawatte als seriöse Kleidung, obwohl alle Gauner und Verbrecher diese Kleidung ebenfalls tragen (das gilt freilich nicht im Umkehrschluss)

 überall tragen Leute Jeans (auch unter der Disdasha)

Warum können zutiefst religiöse Menschen, deren Religion fordert, nicht zu töten, völlig problemlos sich und andere Menschen töten?

Warum scheinen Vorgesetzte oft unwissender und einfältiger als ihre Angestellten zu sein?

Warum ist die verbreiteteste Darstellung von Jesus von Nazareth die als Gefolterter, Angenagelter – obwohl das erfordert, immer wieder seinen symbolischen Körper an das symbolische Kreuz zu nageln?

Warum gibt es so wenige Darstellungen dieser Person als Predigendem, Liebendem, Lebendem?

Warum scheint das Abendmahl in der christlichen Sitte eine symbolische Menschenfresserei – Blut und Leib Christi – zu sein?

Alle diese Fragen berühren philosophische Gegenstände. Die Fragewörter »Warum« und »Wieso« weisen darauf hin, dass sich mit der einfachen Tatsache der Existenz eines Sachverhalts nicht zufrieden gegeben wird, dass auch keine übernatürlichen Ursachen akzeptiert werden, dass nach Begründungen, welche in der Sache selbst liegen gesucht wird. Das ist die Besonderheit des philosophischen Wunderns.

Küchenphilosophen

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