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Weisheit und Alter
ОглавлениеDie Küche ist heute voll, denn es gibt Kalten Hund, oder Lukullus, zum Kaffee.
Hans holt die Köstlichkeit aus dem Kühlschrank und fragt, noch ehe er sie auf den Tisch stellt: »Ich würde gerne mal wissen, warum jemand auf die Idee kommt, einen Schokoladenkuchen als ›Kalter Hund‹ zu bezeichnen? ›Lukullus‹ ist ja klar, das war dieser Feldherr der alten Römer, der so gerne gegessen hat!«
Diotima merkt auf: »Warum sprechen wir immer von den ›alten‹ Griechen oder von den ›alten‹ Römern? Die griechischen Philosophen wie auch die römischen Feldherren waren doch nicht älter als wir, als sie schlemmten, dachten oder schrieben!«
»Stimmt!« fällt Aspasia ein, »und ihre Philosophie war noch ganz jung und frisch: Mythische Formen, Erzählungen und Geschichten sind erste Formen der Ver- und Übermittlung von Erfahrungen, die über die Dauer eines Menschenlebens hinausgehen. Diese Mythen zu pflegen, zu verbreiten und zu tradieren war die wesentliche Tätigkeit der Priester, Rhapsoden, Sänger, Stammesältesten. Hier war der direkte Zusammenhang zwischen Sängern, also Künstlern wie mir und Philosophen wie Diotima!«
»Nicht nur das«, antwortet Diotima, »wir beobachten in dieser Zeit einen Übergang von der Dominanz der Erfahrung der Ältesten zur höheren Bewertung der analytischen Erfahrung der Gegenwart durch wissenschaftliche und wissenschaftsähnliche Erkenntnisse von Jüngeren. Natürlich besteht ein Zusammenhang zur Kolonisierung in Kleinasien, die dortigen Städtegründungen stärkten die nicht- und antiaristokratischen, also militärisch-demokratischen gesellschaftlichen Lebensformen um 600 vor unserer Zeit.
Philo-Sophia, also Liebe zur Weisheit, wird zu einer generalisierenden Bezeichnung für jegliche Formen der Suche nach Ursachen und Hintergründen, die sich nicht auf mythische, also nur nennende Denkformen beschränken.«
Das gefällt Hans sehr: »Weisheit beschränkte sich also ab dieser Zeit nicht mehr auf die Alten, die sich auf erlebte Erfahrung berufen, sondern erfasste nun auch die jungen Menschen, die Wissen, erlernte Erfahrung und Erfahrungsanalyse verbinden können. Das ist ja auch eine meiner Lieblingssprüche:
Weisheit steckt nicht in den Jahren, sondern im Kopf!«
»Thales von Milet, er lebte 624-546 vor unserer Zeit, war ein Kaufmann, ein welterfahrener Mensch wie du, Hans«, ergänzt Diotima. »Er brauchte die Wissenschaft unmittelbar für den Erfolg seiner Unternehmungen. Auch durch ihn wurde viel ägyptisches Wissen und Gedankengut in das griechische Denken aufgenommen.
Typisch für ihn und viele frühe Denker ist die Suche nach einem Urgrund des Daseienden in der daseienden Welt. Die ersten Philosophen haben sich verschiedene Substanzen als Urmaterien gedacht: Thales glaubte an das Wasser, Anaximenes an die Luft, Xenophanes an das All-Eine, alle zusammen aber untersuchten nicht mehr die Tätigkeit von Göttern.«
»Aha«, ruft Hans, »Mit der Denkbarkeit des Ursprungs als etwas dem Menschen Zugängliches beginnt also die Fähigkeit zur Vergegenständlichung von Ideen einen gewaltigen Beschleunigungsschub zu erfahren, also die Fähigkeit zur Vergegenständlichung war schon da, aber sehr langsam, deshalb waren auch Despotien des asiatischen Typs so haltbar. Damit werden die Zentren des philosophischen Denkens in der Welt in Griechenland, Indien und China zu Keimstätten der Zivilisation des modernen Typus. Die ›alten Griechen‹ sind also junge Griechen, von der philosophischen Entwicklungsstufe her voll kindlicher Naivität, Einfachheit und Klarheit.
Aber gib mir doch jetzt endlich ein Stück Kalten Hund, bitte!«