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Die Vasen von Erbtante Erika

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Klein Lieschen hat die Vase von Erbtante Erika heruntergerissen, sie steht vor dem Scherbenhaufen und weint. Mutter hat das Geräusch gehört, kommt gelaufen und schimpft: »Warum hast du das getan?«

Was haben wir hier?

Zunächst haben wir das Ergebnis einer Bewegung. In diesem Fall ist es ein Scherbenhaufen. Klein Lieschen weint, weil sie mit dem Ergebnis ihrer Handlung nicht zufrieden ist. Mutter schimpft aus demselben Grund. Aber da ist noch mehr.

•Warum ist Lieschen nicht zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Bewegung der Vase?

•Was will Lieschen mit dem Weinen erreichen?

•Ist Lieschen jetzt für immer böse und wird ein schlimmes Ende nehmen?

•Wieso kommt Mutter auf die Idee, dass die Vase von Lieschen mit einer Intention, also absichtlich, zerschmettert wurde?

•Was geschieht nun mit Lieschen?

•Wird sie sich eine Begründung »post festum« ausdenken?

•Wird es eine gerechte Strafe geben und was wäre das eigentlich?

•Kann eine solche Strafe zukünftiges Verhalten von Lieschen, insbesondere in Bezug auf die anderen zwanzig Vasen von Erbtante Erika verändern?

•Warum schimpft Mutter, obwohl sie die Vasen von Erbtante Erika selbst nie benutzt und in Wirklichkeit hasst, weil sie sie hässlich findet?

•Hätte das Handeln von Lieschen verhindert werden können, hätte sie rechtzeitig eine Fortbildung über den Wert der Vasen und das Verhalten in Wohnzimmern erhalten?

Mutter unterstellt Lieschen ein Motiv, eine Absicht. Sie kann nicht glauben, anerkennen, dass es sich einfach nur um eine Bewegung mit unvorhergesehener Wirkung gehandelt haben könnte. Und selbst wenn sie das annehmen würde, könnte sie sich in Anbetracht der anderen zwanzig Vasen und den damit verknüpften Hoffnungen auf das Erbe von Tante Erika nicht mit einem solchen unkontrollierten Verhalten abfinden.

Mutter nimmt Ziele und Beweggründe an und verwandelt so Lieschens Bewegung in ein Handeln. Aus diesem Handeln von Lieschen sollen daraufhin in einem ersten Schritt Strafen, Belohnungen und andere Interventionen abgeleitet werden. Diese sollen in einem zweiten Schritt dazu führen, dass ein bestimmtes unerwünschtes Verhalten nicht wiederholt oder ein bestimmtes erwünschtes Verhalten wiederholt wird. Mutter hofft auf eine bleibende Verhaltensänderung, darauf, dass Lieschen aus der Kombination von Untat und Beschimpfung etwas gelernt hat.

Die Belehrung Lieschens durch Mutter mittels pädagogischer Methoden ist ein Machtakt mit dem Ziel der Verhaltensänderung und so wird er auch von Lieschen empfunden. Deshalb weint sie. Ob das Weinen aus dem Gefühl der Ohnmacht kommt oder aus der Angst vor der Strafe oder aus dem Schreck über die Folgen einer Handlung, welche die von ihr geliebte Mutter vielleicht traurig macht, ist nicht eindeutig bestimmbar.

Status – Lust – Identitaet

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