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Pädagogen und Demagogen, Lehrer und Herrscher

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Was verbindet Pädagogik, Herrschaft und Führung? Kann das Heer der Pädagogen, der Lehrer, der Erzieher, der Ausbilder, Sozialpädagogen und Professoren mit Führungskräften der Wirtschaft und können diese wiederum mit Politikern und diese wiederum mit Königen, Päpsten oder Diktatoren verglichen werden? Ist herrschaftsfreier Unterricht überhaupt möglich, ist er nötig? Was unterscheidet den Pädagogen vom Demagogen? Wodurch unterscheiden sich die Werkzeuge der Macht, die Sprache und der Rohrstock, Zuckerbrot und Peitsche, Brot und Spiele, Manipulation und Motivation? Warum und wann reicht Zwang nicht mehr aus? Wie verläuft der Entwicklungsweg vom Zwang zur Manipulation zur Motivation und von dort zur Inspiration? Wann benötigt Herrschaft Motivation und pädagogische Techniken?

Sprache und Rohrstock waren von jeher die Werkzeuge der Pädagogen, der Knabenführer der Antike. Diese Sklaven, ursprünglich raue Burschen, begleiteten die Knaben auf dem Weg zum Stadion um sie vor lüsternen Männern zu beschützen und nutzten die Gelegenheit, um ihre Schützlinge in den Grundlagen sozialen Verhaltens zu unterrichten, vornehmlich

•ihr Gewand richtig zu tragen,

•auf der Straße anständig und mit niedergeschlagenen Augen zu gehen,

•beim Sitzen weder die Füße übereinander zu schlagen noch das Kinn mit der Hand zu stützen,

•still zu schweigen,

•und bei Tisch nicht leckermäulig zu sein.10

Dafür wendete der Paidagogos schon mal die Prügelstrafe an. Knaben hart zu erziehen, schien damals in Athen wie heute in Eton eine gute Methode, sie auf das Leben in Herrschaftssystemen vorzubereiten.

Mädchen wurden im Haushalt erzogen. Die matristische Gesellschaft ist die naturwüchsige Herrschaft der Mütter im Haushalt. Deshalb bedeutet Matriarchat11 auch nicht, wie einige fälschlich anzunehmen scheinen, Herrschaft der Frauen. Die jungen Mädchen waren schon immer den Großmüttern und deren Einschränkungen unterworfen und wurden dort vor ungewollten Schwangerschaften durch brutalste Mittel wie Beschneidung, die Verhüllung bis hin zu moralisch-religiösen Fesseln wie dem Kult um die Jungfernschaft, ebenfalls vor lüsternen Männern geschützt.12

Die Nutzung ausländischer Sklaven als Pädagogen ist in vielen Ländern Standard und ein Problem. So hat die gegenwärtige Gesellschaft in arabischen Ländern, aber auch in Nordamerika große Probleme dadurch, dass die Kinder reicher Leute hauptsächlich von philippinischen oder lateinamerikanischen christlichen Mädchen erzogen werden, welche natürlich schon instinktiv ihre Kultur übertragen.

Die Macht der Lehrenden besteht in der frühen Einprägung der Grundlagen der Kultur: Sprache, Glaube, Sitte. Die Macht der Mächtigen in Bezug auf die Erwachsenen besteht vorwiegend in einer Modifikation, in einem Auskommen mit den Sprachsystemen, Glaubenssystemen und Sitten im politischen Raum.

Von denen, welche mutig in der Schlacht dem Heer vorangehen, Fürsten, Herzöge verändert sich die Rolle der Führung mit der Verlagerung der Macht hin zu denjenigen, welche aus dem Hintergrund führen, als Mätressen, als »graue Eminenzen«, mit Manipulation, Intrigen und Betrug, entwickelt sich weiter hin zu den Führern und Aufrührern, welche die inneren Kräfte von Menschen mobilisieren.

Den momentanen Gipfel der Führung und des Lehrens nehmen Menschen ein, welche andere Menschen inspirieren, ihnen ihren Spirit, ihren Geist eingeben, etwas bewirken, ohne selbst materielle oder ideelle Gewalt ausüben zu müssen, zu diesen Menschen gehören Gandhi, Einstein und die mittlerweile ins Massenhafte gewachsene Menge der Motivationstrainer, professionellen Redner und Politiker, wie sie bei TED-Talks13 auftreten, aber auch Prominente aller Art und die Fernsehprediger.

Da nur wenige später herrschen können, ist Schule überwiegend auf die Erziehung zum Beherrschtwerden ausgelegt. Am leichtesten lassen sich Menschen beherrschen, wenn sie beherrscht werden wollen, wenn sie gerne tun, was ihre Herrscher möchten. Die Technik, diesen Zustand zu erreichen, nennt man Motivation. Motivation wird überwiegend durch Pädagogen gelehrt.

Die vier großen Bereiche der Bildung: Vorschule, Schule, Berufsausbildung und Weiterbildung entsprechen den Bedürfnissen der Erziehung in Herrschaftssystemen. Dabei konzentriert sich die Herrschaftsvorbereitung auf die Schule. Deshalb gibt es auch die Schulpflicht.

Das Schulsystem in Deutschland untersteht gemäß Art. 7 Abs. 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland dem Staat. Ursprünglich gedacht, um die Bauern zu zwingen, ihre Kinder wenigstens für die Sonntagsschule von der Arbeit auf dem Hof freizustellen, ist Schule bis heute gesetzlich festgelegt eine Staatsaufgabe, deren Angestellte im Interesse der jeweils herrschenden Staatsform tätig sind. Hierin unterscheidet sich die Koranschule in nichts von den modernen mehrgliedrigen Schulsystemen.

In diesem Text wird vorwiegend am Beispiel des Lernens das Spiel mit der Macht im mehrfachen Sinne betrachtet. Unter anderem:

•als Anwendung spieltheoretischer und spielerischer Elemente auf den Umgang mit Machtverhältnissen,

•als spielerisches Herangehen an das Leben in Machtstrukturen in sicheren Lernumgebungen und Lernsituationen,

•in der Betrachtung der Struktur und Bewegung von Machtverhältnissen als Spiel der Kräfte, insbesondere des Begehrens nach Status-, Lust und Identitätsveränderungen,

•als Austesten von Möglichkeiten für die Entwicklung der eigenen Leistungsfähigkeit für Machtausübung.

Motivation richtet sich auf sechs Bereiche in zwei Feldern.

Die Bereiche im Feld der extrinsischen, ausserhalb der Person liegenden Motivation, verbunden mit dem und abhängig von dem Status der handelnden Personen sind:

•Sollen, die gesellschaftliche Norm, der Auftrag,

•Müssen, der Zwang, die Anerkennung von Notwendigkeit,

•Dürfen, Erlaubnisse und Zuständigkeiten.

Die Bereiche im Feld der intrinsischen, innerhalb der Person liegenden Motivation, welche die Identität der handelnden Personen beschreiben, sind:

•Können, die Erweiterung der Fähigkeiten und Fertigkeiten,

•Wollen, Entscheidungskraft und Durchsetzungsvermögen,

•Mögen, Wünsche, Sehnsüchte und Begehren.

Die Ausübung der Tätigkeit selbst schliesslich erzeugt Zustandsveränderungen und kostet Energie oder setzt Energie frei. Diese Energie äussert sich als Lust, beziehungsweise Frust. Rickert hat dazu ein schönes Gedicht verfasst:

»Sechs Wörtchen nehmen mich in Anspruch jeden Tag:

Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag.

Ich soll, ist das Gesetz, von Gott ins Herz geschrieben,

das Ziel, nach welchem ich bin von mir selbst getrieben.

Ich muß, das ist die Schrank’, in welcher mich die Welt,

von einer, die Natur von andrer Seite hält.

Ich kann, das ist das Maß der mir verlieh’nen Kraft,

der That, der Fertigkeit, der Kunst und Wissenschaft.

Ich will, die höchste Kron’ ist dieses, die mich schmückt,

der Freiheit Siegel, das mein Geist sich aufgedrückt.

Ich darf, das ist zugleich die Inschrift bei dem Siegel,

Beim aufgethanen Thor der Freiheit auch ein Riegel.

Ich mag, das endlich ist, was zwischen allen schwimmt,

ein Unbestimmtes, das der Augenblick bestimmt.

Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag,

Die sechse nehmen mich in Anspruch jeden Tag.

Nur wenn du stets mich lehrst, weiß ich, was jeden Tag

ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag.«14

Status, Lust und Identität sind Hauptkomponenten einer Führung, welche Zwang und Gewalt zwar einschließt, sich aber nicht darauf beschränkt. In der bewussten Handlung, der Tat von Menschen realisiert das Ungetrennte, das Atome von Sollen, Müssen, Dürfen, Können, Wollen und Mögen - Status, Lust und Identität.

Status – Lust – Identitaet

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