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»Glanzvolles Debüt« im Nationaltrikot

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Seit seiner Teilnahme am Olympiakurs 1933 war Schön immer mal wieder zu Auswahlspielen eingeladen worden. Es begann mit einer Berufung in die Dresdner Stadtauswahl, die im März 1934 zu einem Städtevergleich nach Berlin reiste. Im Mai 1935 fuhr Schön mit einer Jugendauswahl unter Assistenztrainer Sepp Herberger zu zwei Länderspielen auf den Balkan; in Sofia wurde er bei einer 0:2-Niederlage gegen Bulgarien »bei sengender Hitze« und »auf einer Sandwüste« als Mittelstürmer eingesetzt. Zwei Tage später gab es eine weitere Niederlage: 3:4 in Belgrad gegen Jugoslawien. Helmut Schön veröffentlichte anschließend im »Kampf« einen etwas zerknirschten Artikel über die Reise.

Erfolge dagegen verbuchte er im Reichsbundpokal, der jährlich zwischen den Gaubereichen ausgetragen wurde. Im Oktober 1935 lieferte er drei Treffer beim 5:1 seiner Sachsen-Auswahl gegen Pommern, im November folgte ein 7:3 gegen Baden und im Januar 1936 das Halbfinale gegen Brandenburg/Berlin. Vor 25.000 Zuschauern in Chemnitz erzielte Schön beide Tore zum 2:0-Sieg, durch den die Sachsen das Endspiel gegen die Auswahl des Südwest-Gaus erreichten. Fürs Finale war er nominiert, konnte aber nicht mehr teilnehmen – wegen seiner Meniskusverletzung, die ihn im Olympiajahr auch um die ersehnte Berufung in die A-Nationalmannschaft brachte.

Zu dieser Zeit stand Helmut Schön bereits in Sepp Herbergers Liste als einer von 30 Namen im »Spielerkreis Ende 36/37«. Ebenso bewies ihm ein Rundschreiben von Otto Nerz, dass er in dessen Planungen noch eine Rolle spielte. Nach der Niederlage beim olympischen Turnier hatte Nerz schrittweise seine Kompetenzen an Sepp Herberger abtreten müssen, blieb aber vorerst als DFB-Referent für die Nationalelf zuständig. Eine Abschrift seines Schreibens, das recht ungemütlich im Ton der Zeit gefasst ist, findet sich in Schöns Nachlass beim DFB: »Kameraden! Wichtige Aufgaben liegen dicht vor uns. Da heißt es, gerüstet zu sein! Ich bitte Euch alle, dafür zu sorgen, daß Ihr bereit seid, wenn der Ruf an Euch ergeht! Scharfes Konditionstraining (Laufen und Kopfspiel) ist besonders notwendig, denn es wird viel von Eurer Kraft und Ausdauer abhängen. Die Weltmeisterschaft des nächsten Jahres zwingt zu besonderer Sorgfalt in der Auswahl! Seid bereit! Heil Hitler! Nerz«.

Scharfes Training aber konnte Schön kaum leisten. Während er am Knie laborierte, bauten Nerz und Herberger die Nationalelf um und fanden jene Aufstellung, die nach einem berauschenden 8:0 gegen Dänemark im Mai 1937 als »Breslau-Elf« berühmt wurde: der wuchtige Hans Jakob im Tor, davor die Verteidigung mit dem schussgewaltigen Paul Janes, dem kantigen Reinhold Münzenberg sowie dem nervenstarken Ludwig Goldbrunner als Stopper. Die beiden Schweinfurter Albin Kitzinger und Andreas Kupfer beherrschten zuverlässig das defensive Mittelfeld. Beim Offensiv-»W« agierten die Schalker Kreisel-Spieler Rudi Gellesch und Fritz Szepan als zurückhängende Spitzen; Ernst Lehner und »Ala« Urban, ein weiterer Schalker, wirbelten außen. Auf der Mittelstürmerposition spielte der Waldhöfer Otto Siffling variantenreich, indem er sich manchmal zurückfallen ließ, um Räume zu öffnen. Klarer Spielmacher und für Schön der »Feldherr« auf dem Platz war Fritz Szepan.

Ihre Galavorstellung sicherte dieser Elf eine überragende Popularität, zumal ihr im Oktober 1937 in Berlin die Revanche gegen Norwegen gelang: Mit 3:0 wurde die Olympia-Blamage von 1936 ein wenig relativiert. Für neue Nationalmannschafts-Kandidaten war es nun schwer geworden. Helmut Schön: »Für uns ›Zuschauende‹ war es klar, dass ein Platz in dieser Mannschaft nur noch durch den Ausfall eines der Stammspieler frei werden konnte.« Er blieb in Wartestellung. Anfang Oktober 1937 erhielt er erneut ein Schreiben von Otto Nerz, der ihn bei einem Spiel beobachtet hatte und ihm bescheinigte, er habe seine Sache »recht gut gemacht«. Allerdings monierte Nerz: »Sie laufen nicht schnell genug auf den Flügel in Stellung! Vielleicht fehlt es an der Schnelligkeit, vielleicht an der Ausdauer, vielleicht an beidem!« Die örtliche Presse tat währenddessen ihr Bestes, das Talent dem Reichstrainer anzudienen. Die »Dresdner Neuesten Nachrichten« am 11. November 1937: »Er [Schön] dürfte also wohl einmal geeignet sein, den Sturm der deutschen Ländermannschaft erfolgreich anzuführen.«

Nur kurz darauf ergab sich eine Chance. Es stand ein Qualifikationsspiel für die Weltmeisterschaft 1938 an, Gegner in Hamburg war Schweden. Vier Tage davor hatte Herberger in Frankfurt ein Testspiel zwischen seiner A-Mannschaft und einer Nachwuchsauswahl angesetzt, bei der Schön auf halbrechts spielte. Die Youngster verloren 0:2, doch nach dem Spiel, so berichtete Schön, »nahm mich Sepp Herberger zur Seite: ›Helmut, gut gespielt, Sie spielen am Sonntag in Hamburg halbrechts!‹« Schön dachte zunächst an einen Scherz: »Das glaube ich Ihnen nicht.« »Aber ich glaub’s!«, antwortete der Trainer etwas mürrisch. Ihm war Albin Kitzinger aus der Breslau-Elf mit Knieverletzung ausgefallen; dafür sollte Rudi Gellesch nach hinten rücken und dessen halbrechte Position Helmut Schön übernehmen.

Der überraschte Stürmer bat darum, noch einmal nach Dresden zurückzukehren; er wollte die aufregende Nachricht erst einmal zu Hause verarbeiten. Beim gemeinsamen Training im Ostragehege beruhigte ihn der erfahrene Richard Hofmann: »Helmut, so ein Länderspiel ist ooch nischt anderes als ein Punktspiel! Trau dir was zu, schieß, wenn du kannst, und spiel wie bei uns! Es wird schon hinhauen!«

Währenddessen wurde die Kunde seines Debüts in der Presse verbreitet. Der »Dresdner Anzeiger« meldete die Berufung per Schlagzeile, und der »Fußball« schickte seinen Dresdner Korrespondenten los; die Ausgabe vom 16. November 1937 zeigte erstmals ein großes Foto des 22-jährigen Schön auf der Titelseite und brachte im Innenteil ein langes Porträt: »Im Klubheim des DSC. treffen wir auf Schön. Er gehört zu den Spielernaturen, die sofort durch ihr Auftreten und ihre Erscheinung Sympathie erwecken. Schmales, noch fast jungenhaftes Gesicht, klare Augen.« Es folgte ein Loblied auf Schöns technische und taktische Fähigkeiten, und: »Unvollendet wäre eine Beschreibung seiner Spielerpersönlichkeit, würde man nicht die ausgesprochen feine ritterliche Art seines Spiels kennzeichnen. Wenn er auch seine anfangs sehr sensible Art abgelegt hat und jetzt viel forscher als früher kämpft, so bleibt doch nach wie vor seine vornehme Spielweise ein hervorragender Wesenszug.«

Als sich der Hochgelobte wieder auf den Weg gemacht hatte und im Hamburger Mannschaftsquartier angekommen war, steckte Herberger ihn in ein gemeinsames Zimmer mit Hans Jakob, der für seine Seelenruhe bekannt war. Der fast 30-jährige Keeper sah amüsiert zu, wie der junge Kollege neue Schnürsenkel in seine Fußballschuhe zog und vor Nervosität kaum die Löcher fand.

Das Spiel im Altonaer Stadion am 21. November 1937 brachte einen klaren 5:0-Erfolg und ein »glanzvolles Debut« (»Fußball«) von Helmut Schön, der zwei Treffer beisteuern konnte. Das Fachblatt vermutete, dass Schön vor allem dadurch glänzen konnte, dass Herberger seine Elf kein starres System spielen, sondern Raum zur Improvisation ließ: »Ein Talent wie Schön wäre vermutlich im strengen WM-System viel weniger zur Geltung gekommen.«

Ähnlich wie bei seinem Pflichtspieldebüt im Verein hatte Schön keine Mühe, sich neben seinen erfahreneren Mitspielern zu behaupten und durch technische Glanzstücke aufzufallen. Sein Treffer zum 5:0 wurde als schönstes Tor des Spiels gepriesen: Eine Flanke von Urban stoppte er mit der Brust, legte sich das Leder mit dem rechten Fuß vor und schmetterte es mit dem linken per Dropkick ins Tor. Der »Fußball«: »Daß der Dresdner in seinem ersten Spiel zum erkorenen Liebling der Massen wurde, sagt genug.«

Euphorisch und voll lokalem Stolz berichtete der »Dresdner Anzeiger«: »Die besondere Entdeckung des Hamburger Kampfes war Schön, den man den besten und erfolgreichsten deutschen Angriffsspieler nennen darf, ohne Szepan hintan zu stellen. Schön ist sozusagen ein vollkommener Fußballspieler, nicht nur technisch ganz ausgezeichnet, sondern mit einer fabelhaften Übersicht sowie mit gesundem Torinstinkt begabt und damit wohl der Stürmer, der schon lange gesucht wurde.« Ähnlich plädierte der »Fußball«: »Fazit: immer, wenn die deutsche Mannschaft den augenblicklichen Stil spielt, darf, ja soll Schön dabei sein!«

Jener Korrespondent, der ihn schon vor dem Länderspiel porträtiert hatte, fing ihn auch nach dem Abpfiff ab: »Wieder steht man dem großen Jungen gegenüber.« Und der soll das folgende gestelzte Statement vorgetragen haben: »Wenn Dr. Nerz und Linnemann und andere maßgebliche Persönlichkeiten mit mir zufrieden gewesen sind, so erfüllt mich das mit Genugtuung. Aber gern nehme ich ihre gutgemeinten Ermahnungen an und will mich mit allen Kräften bemühen, zu lernen und mich zu verbessern.« Gut möglich, dass der Autor dachte, dem aufstrebenden Nationalspieler mit diesem devoten Tonfall einen Gefallen zu tun. Ebenso möglich ist es aber, dass der Debütant selbst mit solcher Wortwahl nach dem erfolgreichen Einstand seine Bescheidenheit demonstrieren wollte.

In seiner späteren Trainerzeit mögen die eigenen guten Erfahrungen, die Helmut Schön als junger Spieler mit seinen Premieren sowohl im Verein wie in der Nationalelf machte, eine Rolle gespielt haben. Wie noch zu lesen sein wird, vertraute er als Bundestrainer erstaunlich oft in wichtigen Pflichtspielen jungen Debütanten oder Spielern mit ganz geringer Länderspielerfahrung. Er selbst hatte schließlich erlebt, wie gut das funktionieren konnte.

Das Sturmtalent hatte sich in Hamburg für weitere Einsätze empfohlen, und Schöns Weg zur WM 1938 in Frankreich schien geebnet. Doch das Glücksgefühl dauerte nur eine Woche. Am 28. November geschah das nächste Unglück, erneut in Leipzig – diesmal in einer Partie gegen Fortuna. In seine Liga-Kladde schrieb Schön: »In diesem Spiel verknackste ich mir mein linkes Knie wieder und suchte am 3. Januar 1938 Hohenlychen auf.« Einem Reporter gestand er seinerzeit, er habe befürchtet, ein steifes Bein zurückzubehalten. Der behandelnde Arzt berichtete am 24. Januar an Schöns Arbeitgeber, der Patient sei »seit 3 Wochen hier in stationärer Übungsbehandlung wegen einer Kniegelenksbinnenverletzung. Leider hat sich herausgestellt, daß der abgerissene Meniskus nicht mehr zur Anheilung gekommen ist, weshalb ich ihn heute operativ entfernen musste. Schön hat den Eingriff gut überstanden. Er wird noch 6 Wochen hierbleiben müssen.« Bei seiner Entlassung am 26. Februar 1938 gab die Klinik dem Patienten schriftlich mit auf den Weg: »Sportverbot 6 Monate«.

Wieder einmal sollte Helmut Schön auf diese Art ein großes Turnier verpassen: nach dem olympischen 1936 nun die WM-Endrunde. Auch dieses Mal blieb ihm ein vorzeitiges blamables Ausscheiden erspart: Deutschland scheiterte in der ersten Runde an der Schweiz. Dennoch wäre er in Paris sicherlich gerne dabei gewesen. Gefehlt hatte er bereits am 8. Dezember 1937 beim Halbfinalspiel seines DSC im Vereinspokal, das als »schwarzer Tag« in die Klubannalen einging. Gegen Fortuna Düsseldorf, die am Ende 5:2 gewann, standen zeitweilig nur sieben Dresdner auf dem Platz. Die übrigen waren verletzt oder wegen Attacken auf den Schiedsrichter vom Platz gestellt. Auch das Gastspiel des berühmten Rapid Wien im Ostragehege am 30. April 1938 versäumte er. Nach der 0:3-Niederlage schrieb der »Dresdner Anzeiger«, mit Schön würde die Mannschaft »bestimmt eine ganz andere Linie erhalten. Das weiß zu seinem Leidwesen keiner so genau wie Köhler, der Mannschaftsbetreuer.«

Nach seinem nunmehr dritten Hohenlychen-Aufenthalt binnen zwei Jahren hätte Helmut Schön sich bis Ende August 1938 schonen müssen, auch im Training. Daran hielt er sich natürlich nicht. Der Rekonvaleszent setzte, wie er in einem Tagebuch notierte, auf Selbstmotivation: »Die vielen Sportfotos aus den Zeiten guter Erfolge, die erhaltenen guten Kritiken wurden hervorgekramt und unbewußt habe ich mir damit immer wieder den Ansporn gegeben, alles zur Gesundung zu tun, um wieder zu den besten Leistungen zu kommen.«

Um seine geschwächte Beinmuskulatur zu stärken, fuhr er viel mit dem Fahrrad. Oder er setzte sich auf einen Tisch, hängte ein Bügeleisen an das linke Bein und hob und senkte es langsam. Letztendlich machte er zu viel zu früh: Mitte August stand er schon wieder in der DSC-Elf. In seinen Erinnerungen von 1970 berichtete Schön über seinen Fehler: »Bei aller Freude, künftig wieder mitspielen zu können, vergaß ich jedoch die guten Vorsätze, die ich nach meiner letzten Operation gefaßt hatte. Ich spielte wieder zu zeitig.«

Helmut Schön

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