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An der Seite von Fritz Walter

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Trotz weiterhin hervorragender Leistungen im Verein kam Helmut Schön 1940 in der Nationalmannschaft kaum noch zum Zuge, sicherlich aufgrund Herbergers Vorbehalten. Es war das Jahr, in dem Fritz Walter als Mittelstürmer entdeckt wurde und sehr schnell auf dieser Position als gesetzt galt. Herberger experimentierte mit unterschiedlichen Halbstürmern, vor allem mit dem Wiener Hahnemann und dem Stuttgarter Edmund Conen. Erst im November gegen Dänemark war Helmut Schön wieder dabei, vermutlich nur deshalb, weil Conen verletzt ausfiel. Erstmals spielte er dort an der Seite von Fritz Walter, mit dem er sich nach eigener Einschätzung »blind« verstand. Vielleicht auch deshalb, weil ihre Persönlichkeiten ähnliche Züge aufwiesen: Wie der junge Schön wirkte Fritz Walter im persönlichen Umgang schüchtern, bescheiden und zurückhaltend, während er auf dem Platz mit seiner genialen Spielkunst beeindruckte und dominierte.

Nach dem Dänemark-Spiel wurde beiden allerdings vorgehalten, sie hätten ihrem Wiener Sturmkollegen Franz Binder keine Vorlagen geliefert und zu eigensinnig agiert. Dafür resultierte das einzige Tor des Spiels aus einer gelungenen Koproduktion: Fritz Walter ahnte, dass Schön links in Richtung Tor starten würde, und legte ihm quer durch den Strafraum den Ball vor. »Schön schoß das Siegtor«, überschrieb zufrieden der »Völkische Beobachter« seinen Bericht, der Normalität vortäuschte, wo es keine gab. Denn in Wahrheit stand die Begegnung auf dem Hamburger Victoriaplatz »Hoheluft« ganz im Zeichen des Kriegsgeschehens. In den beiden Nächten vor dem Spiel hatte es in der Hansestadt Fliegeralarm gegeben, britische Flugzeuge griffen insbesondere das Hafenviertel an – eine unmittelbare Antwort auf die Verwüstungen, die in den Tagen zuvor 440 deutsche Bomber im englischen Coventry angerichtet hatten; über 560 Bewohner waren dort umgekommen und mehr als 4.000 Häuser zerstört worden. In Hamburg zählte man 26 Todesopfer.

Die Gäste, die aus dem bereits von den Deutschen besetzten Dänemark anreisten, gerieten bei ihrer Ankunft in den Alarm und beobachteten schon vom Zug aus das Sperrfeuer der deutschen Flak. Dem »Kicker« berichtete Schön nach dem Krieg: »Die Spieler, auch die dänischen, hockten entweder im Luftschutzkeller des Hotels oder angezogen im Zimmer. Die Stimmung war denkbar schlecht.« Die deutschen Spieler konnten laut Bericht des »Fußball« »erst lange nach Mitternacht die Betten aufsuchen. […] Unter solchen Umständen ist noch nie ein deutsches Länderspiel ausgetragen worden.« Mit 28.000 Zuschauern war der Victoriaplatz dennoch ausverkauft.

Insgesamt standen Helmut Schön und der fünf Jahre jüngere Fritz Walter zwischen November 1940 und Oktober 1941 fünfmal nebeneinander in der Nationalmannschaft. Als sie 16 Jahre später wieder gemeinsam ein Länderspiel absolvierten, war Walter bereits der »alte Fritz« und Weltmeister-Kapitän, während Schön als Sepp Herbergers Assistent auf der Bank saß.

Im März 1941 gegen die Schweiz rutschte Schön erneut erst durch den Ausfall Conens in die Mannschaft, doch funktionierte die Zusammenarbeit mit Fritz Walter ähnlich gut wie gegen Dänemark. In der 11. Minute: Walter lenkte den Ball per Hacke »blind« zum vorstürmenden Schön – 1:0. Unmittelbar nach dem Schweizer Ausgleich, 22. Minute: wieder ein kluger Pass von Walter auf Schön – 2:1. In der 54. Minute: Schön schickte Walter – 4:1. Zuvor hatte Schön per Kopf auch die Vorlage zum 3:1 gegeben, das der Düsseldorfer Stanislaus Kobierski erzielte. Zufrieden notierte Sepp Herberger: »Helmut gut! Auch kämpferisch besser entwickelt«, und er nannte sein neues Sturmduo »ein gutes Paar!«.

Den Höhepunkt der Zusammenarbeit Schön/Walter bildete jedoch das Länderspiel gegen die starken Ungarn. Es fand am 6. April 1941 in Köln statt – am gleichen Tag, an dem Hitlers Wehrmacht in Jugoslawien und Griechenland einmarschierte. Unterstützt wurde sie auch von ungarischen Truppen, denn unter dem autoritär regierenden Staatschef Miklos Horthy war das Land im November 1940 an der Seite Deutschlands in den Krieg eingetreten.

Ungarns Fußballer waren mit ihrem »Donaufußball« viele Jahre stilprägend und erfolgreich gewesen. Inzwischen hatten sie sich dazu entschlossen, auf das W-M-System umzustellen, zum Zeitpunkt des Länderspiels jedoch »dieses System noch nicht richtig absorbiert« (Schön). Die Deutschen wiederum spielten ein flexibles W-M, bei dem Schön als Halblinker zurückhing und hinter den vier Spitzen agierte. Im »Kicker« schrieb dessen damaliger Redakteur und späterer Herausgeber Friedebert Becker: »Wie eine Mühle, so mahlte dieser kreiselnde Innensturm, dessen ›Kopf‹ fraglos Schön gewesen ist. Nicht ganz im Tempo seiner Nebenleute zieht er nach Szepans Art von hinten die Fäden, dribbelt, spielt frei, überschaut und erfasst alles und – – legt die Bälle haargenau in die Lauflinie seiner Nebenleute.«

Besonders gut funktionierte das Zusammenspiel mit Kobierski und mit Fritz Walter, der einmal mehr Journalisten und Zuschauer zu Beifallsstürmen hinriss. Becker: »Was Walter heute vorführte, erinnerte an die größten Spiele, die wir jemals von deutschen Mittelstürmern sahen.« Den schönsten Treffer allerdings erzielte Helmut Schön: Der ungarische Torhüter wehrte eine Ecke ab, Kobierski auf linksaußen hob den Ball halbhoch zu Schön, der mit dem Rücken zum 16 Meter entfernten Tor stand. Schön erwischte das Leder mit einem perfekten Fallrückzieher; als er am Boden liegend Jubel aufbranden hörte, wusste er, dass er getroffen hatte. Später war es für ihn »mein schönster Treffer« der Karriere; Becker nannte das Tor »phantastisch«, Fritz Walter »das schönste aller schönen Tore dieses Tages«.

Dem deutschen Angriffswirbel hatten die Ungarn schon bald nichts mehr entgegenzusetzen; ihr wenig erprobtes System fiel vor allem in der Defensive auseinander. Am Ende verloren sie mit 0:7; neben dem geschilderten fünften Treffer hatte Schön auch noch den siebten erzielt. Sowohl beim »Kicker« wie beim »Fußball« zierte anschließend ein Foto des Dresdners die Titelseite. Fritz Walter bezeichnete die Begegnung in seinen Erinnerungen als »Spiel der Superlative«, und Helmut Schön verglich sie in seiner Autobiografie mit jenem legendären 3:1, das Beckenbauer, Netzer und Co. 1972 auf den Rasen des Wembley-Stadions zauberten. Er ergänzte den Vergleich mit einem vielsagenden Hinweis darauf, dass »damals Günter Netzer seinen größten Tag hatte«. Zwischen den Zeilen mochte stehen: »so wie ich gegen Ungarn«.

Deutlicher hat sein einstiger Nationalmannschaftskollege Hans Fiederer, als er drei Jahrzehnte später für den »Kicker« arbeitete, die Verbindung zwischen den Spielertypen Netzer und Schön hergestellt. Er schrieb über Netzers Wirken auf dem Platz: »In der ganzen Anlage, im Aufbau seines Spiels, ist er mit dem jungen Helmut Schön zu vergleichen.« Zumindest trug Netzer jene »10« auf dem Rücken, die auch Schöns Position als halblinker Stürmer markierte, doch ein »Zehner« spielte 1972 im 4-3-3 natürlich eine andere Rolle als im W-M-System von 1941. Schön wie Netzer agierten am Ball technisch stark und besaßen große taktische Übersicht, doch weitere Ähnlichkeiten wirken etwas konstruiert. Angebrachter erscheint, von der Statur wie von der Spielweise her, der bereits zitierte Vergleich mit Matthias Sindelar, dem Genie des österreichischen Fußballs.

Mit den Siegen gegen die Schweiz und Ungarn schien sich in Herbergers Team eine neue feste Sturmreihe herausgebildet zu haben: mit dem Innentrio Hahnemann, Walter und Schön, mit Kobierski als Linksaußen sowie dem Wiener Franz Hahnreiter auf dem rechten Flügel. Doch schon im »Rückspiel« gegen die Schweizer gab es für diese Formation einen ersten Rückschlag; die Eidgenossen konnten sich für die 2:4-Niederlage vom März mit einem 2:1-Erfolg in Bern revanchieren. Ausschlaggebend war laut »Fußball« das »eiserne Abwehrspiel« der Schweizer, während die deutsche Offensive Kritik erntete, inklusive Schön, »der langsam war«.

In seinen privaten Notizen bemängelte Sepp Herberger geradezu wütend »Helmut Schöns fehlende innere Härte gegenüber schweren Aufgaben. […] Schön ist ein Nervenbündel!! Nicht einmal das Ballstoppen gelingt ihm in solchen Augenblicken höchster Aufregung.«

Die Niederlage ereignete sich ausgerechnet an Hitlers Geburtstag, dem 20. April. Kurz darauf belehrte Propagandaminister Joseph Goebbels seinen Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten, es dürfe »vor allem kein Sportaustausch gemacht werden, wenn das Ergebnis im Geringsten zweifelhaft sei«. Niederlagen stellten die Funktion der Länderspiele infrage, der Bevölkerung eine positive Ablenkung vom Kriegsgeschehen zu bieten.

Neben der neutralen Schweiz, Spanien und Schweden fanden sich als Länderspielgegner ohnehin nur noch Staaten, die mit Deutschland verbündet oder von ihm abhängig waren. Im Juni 1941 waren dies Rumänien und Kroatien. In beiden Spielen fehlte Helmut Schön, der durch die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft, die er mit dem Dresdner SC bestritt, stark belastet war. Wieder machte ihm sein Knie zu schaffen; das Halbfinale hatte er nur stark bandagiert und im Schongang durchstehen können, zwischendurch wurde er minutenlang behandelt.

Sein Ausfall bot Ernst Willimowski die Chance zum Debüt im reichsdeutschen Trikot. Der 22-fache polnische Nationalspieler und gebürtige Oberschlesier hatte nach der Besetzung Polens die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten und war zum Polizei SV Chemnitz gewechselt. Zugleich trat er eine Stelle bei der Polizei an – laut Sporthistoriker Diethelm Blecking »auch ein Versuch, der drohenden Einberufung in die Wehrmacht zu entgehen«. Mit 24 Jahren konnte der Ausnahmestürmer gegen Rumänien sein erstes Länderspiel für Deutschland absolvieren und schoss an der Seite von Fritz Walter gleich zwei Tore. Auch zwei Wochen später gegen Kroatien war er mit einem Treffer erfolgreich.

Helmut Schön

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