Читать книгу Helmut Schön - Bernd-M. Beyer - Страница 32
Fußball und Frontdienst
ОглавлениеTrotz der verpassten Meisterschaft und noch vor der Pokalverteidigung blickten die Dresdner im Sommer 1941 auf die erfolgreichste Saison ihrer Geschichte zurück. Insgesamt hatten sie 43 Spiele ausgetragen, davon 40 gewonnen und nur eines – das gegen Rapid – verloren. Neun Spieler hatten an mindestens 30 Partien mitgewirkt, was angesichts der Kriegsumstände beachtlich war. Erfolgreichster Torschütze war Fritz Machate, der 1940/41 in 35 Spielen 56 Tore erzielt hatte. Helmut Schön hatte in 27 Begegnungen mitgespielt und 22-mal getroffen. »Ihm sieht man die Strapazen dieses für den DSC so erfolgreichen Jahres vielleicht am meisten an«, bemerkte der »Fußball«.
Fritz Machates Einsatzzahl ist umso bemerkenswerter, als er zu jenen Spielern aus der »friedensmäßigen Besetzung« (»Fußball«) gehörte, die im Sommer 1941 an der Front standen. Allerdings war er der einzige der sieben aufgeführten »Frontsoldaten«, der regelmäßig zum Einsatz kam. Hans König beispielsweise lief nur noch ganz selten auf, und der zur Marine versetzte Hans Kreische lag verletzt im Lazarett.
Solche Zahlen sind allerdings schwer zu bewerten, weil die Angaben unterschiedlich ausfielen und nicht immer klar ist, ob mit »Frontsoldaten« alle zum Kriegsdienst eingezogenen Spieler gemeint waren oder nur die tatsächlich an der Front stehenden. Bereits im März 1940 hatte der Verein selbst in seinem Rundbrief »an alle feldgrauen DSCer!« berichtet, zehn Spieler des Ligakaders seien »zur Wehrmacht einberufen« worden und »Mannschaftsführer Georg Köhler steht ebenfalls an der Front«. Ein knappes Jahr später, im Januar 1941, meldete der »Kicker«, nahezu alle Spieler der ersten DSC-Mannschaft trügen die Uniform. Vom Spiel einer »Dresdner Wehrmachtself« berichtete er: »Es war beinahe die richtige DSC.-Elf, nur Helmut Schön fehlte, er war der einzige Zivilist in der Mannschaft.« Letzteres galt aber auch für Richard Hofmann, mit seinem vorgerückten Alter und der fehlenden Ohrmuschel. Als Einkäufer einer Maschinenfabrik, deren Besitzer aktives DSC-Mitglied war, genoss er die rettende Einstufung als »unabkömmlich«.
Als sich Anfang Januar 1942 der frisch gekürte Pokalsieger mit dem amtierenden Deutschen Meister maß – Dresdner SC gegen Rapid Wien, eine Art früher Supercup –, fehlten laut »Fußball« von 22 Stammspielern beider Mannschaften 14, also mehr als die Hälfte. Für die DSC-Elf muss man diese Aussage relativieren. Hier konnten die gesamte Verteidigung sowie die Läuferreihe in Bestbesetzung antreten, lediglich im fünfköpfigen Sturm mussten vier Spieler ersetzt werden. Dazu zählten allerdings auch Hofmann und Schön, die wie erwähnt keine Soldaten waren; Hofmann war gesperrt, Schön verletzt. Letztendlich reduzierte sich bei diesem Spiel der kriegsbedingte Ausfall auf lediglich zwei DSC-Akteure.
Insofern ist die folgende Aussage des »Fußball« lediglich eingeschränkt korrekt: Rapid und dem DSC sei »nur widerfahren, was Hunderten von deutschen Fußballvereinen vor ihnen schon passiert war, und wovon künftig wohl keine deutsche Sportgemeinschaft verschont bleiben wird. Die Forderungen der Front gehen allem anderen voran, ihnen hat auch unser Sport seinen Tribut zu zollen.« Die nachfolgende Passage demonstriert den propagandistischen Zweck dieser Aussage sowie des Spiels selbst: »Nun erst recht! Rapid und der DSC. haben soeben ein leuchtendes Beispiel gegeben: Sie haben ihre beiden Begegnungen nicht etwa abgesagt, sondern auch unter den erschwerenden Bedingungen durchgeführt.«
Schön selber schrieb in seinen Erinnerungen von 1970 über die Situation der Mannschaft in den späteren Kriegsjahren, es habe auch bei wichtigen Spielen manchmal Aufstellungsschwierigkeiten gegeben. »Zum Glück hatten wir es aber im Lauf der Zeit verstanden, zu den militärischen Dienststellen und den unmittelbaren Vorgesetzten unserer Spieler einen guten Kontakt herzustellen, so daß es manchmal gelang, den einen oder anderen wenigstens kurzfristig beurlauben zu lassen. Wir sind damals darob beneidet worden, und es gab viele ›Querschüsse‹. So griff man besonders den Freund unserer Mannschaft, den Dresdner Stadtkommandanten General Mehnert an und warf ihm vor, daß er uns zu viele Vorteile gewährt hätte. Das stimmte aber nicht.«
Letztendlich sah sich der neue »Vereinsführer« des Dresdner SC, Alwin Weinhold, im Februar 1942 zu einer ausführlichen Stellungnahme genötigt, dass die Spieler von Spitzenvereinen keineswegs bevorzugt behandelt würden: »Genannt wird vielfach als Beispiel die Bombenbesetzung bei Schalke 04, die fast in friedensmäßiger Besetzung spielen. […] Den DSC. kümmert dies nicht, er ist stolz, dass seine Tschammerpokalsieger jetzt den Ruf zur Front erhalten haben.« Nach Weinholds Zusammenstellung standen sechs Stammspieler seit Kriegsbeginn an der Front, und seit November 1941 weitere fünf. Nur Helmut Schön, Heinz Hempel, Heiner Kugler und Hans Kreische waren demnach als Stammspieler voll verfügbar; der gesperrte Hofmann wurde unterschlagen. Insgesamt waren zu diesem Zeitpunkt 700 DSC-Mitglieder zum Frontdienst eingezogen worden, 26 von ihnen »auf dem Feld der Ehre geblieben«, wie der »Vereinsführer« sich ausdrückte.
Welche Lücken der Krieg zeitweise in die Reihen der DSC-Spieler schlug, zeigte sich ebenfalls im Februar 1942 bei einem Ligaspiel: Zum VfB Leipzig konnten lediglich noch zwei Spieler der Pokalsiegerelf vom November 1941 mitreisen. Die Dresdner Fußballanhänger selber hatten ohnehin eine klare Wahrnehmung der Verhältnisse. Der »Fußball« zitierte sie seinerzeit so: »Im Ostragehege sagt man: Überall hat man die Wolljacken für unsere Soldaten abgegeben. Wir gaben die Kerle, die drin stecken, dazu.«
Geschwächt wurde der Dresdner SC nicht nur durch die zunehmenden Fronteinsätze seiner Stammspieler. Hart traf ihn auch die Entscheidung des NSRL, dass die starken Hamburger »Gastspieler« Karl Miller und Gustav Carstens nicht mehr für den DSC auflaufen durften. Ebenso legte die Luftwaffe zunehmend Wert darauf, dass »ihre« Soldaten nicht bei den Heimatvereinen, sondern bei den neu gegründeten Luftwaffensportvereinen aktiv wurden. Ihren einstigen Mitspieler Miller sahen die Dresdner auf dem Rasen bald als Gegner wieder.
Die zahlreichen Ausfälle kosteten den Verein in der Saison 1941/42 die Gaumeisterschaft in Sachsen, die dieses Mal der SC Planitz einfuhr. Im Tschammer-Pokal war sogar schon in der ersten Regionalrunde Schluss; im April 1942 verlor eine Art B-Mannschaft überraschend beim unterklassigen SV Bischofswerda. Die Tatsache, dass der DSC als Titelverteidiger nicht für die Hauptrunde gesetzt war, bietet bis heute zu Verschwörungstheorien Anlass. Im offiziellen »Jahrbuch 2007« des neu gegründeten Dresdner SC verweist der Autor auf die Weigerung einiger Spieler, in die NSDAP einzutreten, um dann fortzufahren: »Und dies sollte kurzfristige Folgen haben. Die Fußballwelt schaute staunend und ungläubig auf Bischofswerda. Als Titelverteidiger wurde dem DSC doch tatsächlich auferlegt, sich für den Pokal über eine eigens vorgeschaltete Zwischenrunde erst qualifizieren zu müssen.«
Ähnlich argumentierte ein »Oldie 88«, Jahrgang 1928, im Mai 2015 in einem Kommentar auf der Internetseite der »Sächsischen Zeitung«: »Für den Pokal 1942 wurde der DSC als Titelverteidiger auf Befehl von ›oben‹ nicht gesetzt. Grund: Die Spieler hatten die Beitrittserklärungen zur sog. NSDAP nicht unterschrieben, ohne Stellung dazu zu nehmen. Damals der Öffentlichkeit verschwiegen. Auch Mutschmann schwieg wutentbrannt. Als der einmal ein Spiel besuchte, sollte die Mannschaft Haltung annehmen und einen berüchtigten ›Gruss‹ zeigen. Man nahm ihn jedoch ›nicht wahr‹.«
Festzuhalten bleibt: Die Tatsache, dass mit Schön und Hofmann zwei ganz wichtige Stützen der DSC-Mannschaft vom Stress des Militärdienstes und der Fronterlebnisse befreit waren, bildete zweifellos einen sportlichen Vorteil. Ebenso der glückliche Umstand, dass ihre Heimatstadt Dresden bis in den Herbst 1944 hinein von Luftangriffen verschont blieb. Ansonsten gilt: Zwischen Mutmaßungen um großzügig freigestellte Spieler und der Behauptung, im Pokalwettbewerb aus politischen Gründen benachteiligt worden zu sein, öffnet sich bis heute ein weites Feld widersprüchlicher Spekulationen.