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Ende einer Nationalmannschaftskarriere

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Als am 5. Oktober zeitgleich zwei Länderspiele in Skandinavien stattfanden – eines gegen Schweden und eines gegen Finnland –, entschloss sich Herberger dazu, für Stockholm Schön und für Helsinki, wo eher eine B-Elf auftrat, Willimowski zu nominieren. Ursprünglich sollte in Helsinki ein starker DSC-Block spielen, mit Miller, Pohl, Dzur und Schubert sowie Schön als Mannschaftskapitän. Doch als der für Stockholm eingeplante Conen mal wieder ausfiel, disponierte der Reichstrainer neu. Während Willimowski beim 6:0 gegen Finnland mit drei Treffern glänzte, erlebte Schön ein 2:4-Debakel gegen Schweden. Auch ein persönliches. Er selbst konnte sich seine schwache Leistung nicht recht erklären, »denn ich hatte vor dem Spiel geglaubt, dass ich in bester Verfassung wäre«. Auch der »Fußball« rätselte: »Mit Schöns schwächerem Spiel konnte nicht von vornherein gerechnet werden.«

Härter und tiefer ging Sepp Herberger mit seinen Spielern ins Gericht. Nach der Niederlage notierte er: »Einige unserer Spieler sind nicht in der Kondition, die notwendig ist, um solche Gegner zu bezwingen! Der Krieg und seine Begleitumstände, der Dienst bei der Wehrmacht, Wachdienst, Nachtwachen, Fliegeralarm usf. beeinträchtigen natürlich ungünstig die Kondition der Spieler.« Zugleich müsse er allerdings »feststellen, dass diese Dinge auch anfangen, ein Zufluchtsplätzchen für faule Ausreden unserer Spieler zu werden«, wofür er als Beispiel unter anderem Fritz Walter nannte. Helmut Schön kritisierte er heftig in anderer Hinsicht: »Die Stürmer sind zu weich! Keine Kämpfer!! Gegen Schweden gewinnt man nur durch Kraft und Kampf, Schnelligkeit und Härte!! Schön ist gegen Mannschaften aus Skandinavien hinfort nicht mehr tragbar!« Und an den Rand notierte Herberger (möglicherweise nachträglich): »Schön in denkbar schlechter körperlicher Verfassung, dabei vorher geradezu heilige Versicherung, dass ich mich auf ihn verlassen könnte.«

An Schön wie an andere »liebe Sportkameraden« schickte Herberger kurz darauf einen Brief, in dem er vermehrten Trainingsfleiß einforderte: »Stockholm ist wieder einmal mehr die Bestätigung einer alten Lehre: Voraussetzung für den Sieg im Länderkampf ist höchste körperliche Leistungsfähigkeit! Wo es an Schnelligkeit und Ausdauer mangelt, nützt auch die beste Technik nichts!«

Helmut Schön dürfte sich direkt angesprochen gefühlt haben und antwortete am 20. Oktober mit einem langen Brief, in dem er sich bemühte, aus dem schwachen Auftritt gegen Schweden die Lehren zu ziehen:

»Lieber Herr Herberger! Ich […] versichere Ihnen, daß Ihre Zeilen auf einen fruchtbaren Boden gefallen sind. Sie können sich natürlich denken, daß ich mir wie vielleicht kein anderer nach dem Spiel in Stockholm Gedanken gemacht habe. Sehr hart hat es mich allerdings getroffen, daß mir fast allein die Schuld an dem schwachen Spiel unseres Sturms und damit an der Niederlage gegeben wird. Ich kann Ihnen versichern, daß ich mich vor dem Spiele ernsthaft vorbereitet habe, aber eben vielleicht doch noch nicht so, wie es hätte nötig sein sollen. Ich habe sofort nach dem Schwedenspiel begonnen, mein Training anders aufzubauen, um so mehr, als mein Knie augenblicklich in allerbester Verfassung ist und jedes harte Training verträgt. Seit voriger Woche trainiere ich wöchentlich dreimal, und zwar zweimal nur auf Kondition und einmal mit dem Ball. Ich glaube, daß es so richtig ist. Beim Admiraspiel haben Sie wieder meinen Einsatz beim Kopfballspiel bemängelt; auch hierauf richte ich mein besonderes Augenmerk. Ich glaube, lieber Herr Herberger, daß somit die allerbeste Gewähr gegeben ist, daß in den nächsten Wochen und überhaupt zukünftig wieder meine körperliche Verfassung, besonders was den körperlichen Einsatz im Spiele entspricht, die allerbeste ist.«

Mit dem »Admiraspiel« war das Halbfinale im Tschammer-Pokal gemeint, dem Vorläufer des heutigen DFB-Pokals. Das hatte Schön mit seinem Dresdner SC zwar mit 4:2 gewonnen und einen Treffer selbst beigesteuert, doch wurde anschließend in der Presse vermerkt, dass ihm sein Knie augenscheinlich wieder zu schaffen machte. Auch im folgenden Finale – von dem noch die Rede sein wird – kritisierte ihn Kommentator F. Richard im »Fußball«: »Den Dresdner Schön fand ich im Pokalfinale zu weich, zu weit hinten, zu schwach geworden im Torschuss.« »Zu weich« – dieses Adjektiv, das auch Herberger verwendet hatte, sollte künftig an Helmut Schön kleben bleiben, am Spieler wie am Trainer. Übrigens glich er auch darin dem berühmten Sindelar, über den der österreichische Verbandskapitän Hugo Meisl nach einem wichtigen Länderspiel geschrieben hatte: »Sindelar spielte technisch hervorragend, war aber vor dem Tor ein wenig zu weich.«

Die Kritik des bekannten Journalisten F. Richard an Helmut Schön erschien kurz vor dem Länderspiel gegen Dänemark, das am 16. November 1941 stattfinden sollte – ausgerechnet in Schöns Heimatstadion, dem Dresdner Ostragehege. Die Stadt fieberte ihrem ersten Länderspiel seit über sechs Jahren entgegen; die Kapazität des Ostrageheges war durch Zusatztribünen auf 42.000 erhöht worden. Kein Wunder, dass Schön darauf brannte, in diesem Spiel dabei zu sein. Seinen Brief an Herberger ergänzte er daher: »Sie werden nun sicher denken, er schreibt mir alles nur wegen des Dänemarkspieles in Dresden. Das stimmt zu einem großen Teile, denn das wird ja jedem Spieler einleuchten, daß es vielleicht nichts Schöneres geben kann, als die Farben seiner Nation in seiner Heimatstadt vertreten zu dürfen; über diesen Satz werden Sie sicherlich lächeln, aber er stimmt doch. Es ist also mein höchster Ehrgeiz, gerade in diesem Kampfe mitwirken zu können und mitzuhelfen, gerade gegen diesen Gegner uns für die Schwedenniederlage zu rehabilitieren, wenigstens zu einem großen Teile.«

Ans Ende seines Briefes setzte Schön übrigens ein »mit herzlichem Grusse« und verkniff sich das übliche »Heil Hitler«, das Herberger anfügte.

Zweifellos war sein Schreiben taktisch klug verfasst, aber genutzt hat es nichts. Wenn Herberger weiter an seinem Urteil festhielt, dass Schön gegen skandinavische Mannschaften »hinfort nicht mehr tragbar« sei, konnte er ihn gegen Dänemark nicht aufstellen. Er hatte das auch nicht vor, obwohl er ihn ins Aufgebot holte. An DFB-Führer Felix Linnemann hatte er schon am 16. Oktober eine Mannschaftsaufstellung geschickt, in der Schön nicht vorkam. Den Spieler ließ er zunächst im Ungewissen. Erst als ein plötzlicher Kälteeinbruch den Rasen im Ostragehege steinhart frieren ließ, nahm der Reichstrainer dies zum Anlass, Schön auf dessen Nicht-Berücksichtigung vorzubereiten: Solche Platzverhältnisse seien dem lädierten Knie besonders abträglich. Schön hoffte weiter: »Als ehrgeiziger Spieler wollte ich das natürlich nicht wahrhaben.« Doch am Tag vor dem Spiel kam die Entscheidung: »Also, Helmut, wir lassen es lieber. Der Boden wird Ihnen nicht liegen.«

»Die gesamte Fußballwelt schien über mir zusammenzustürzen«, erinnerte sich Schön später an seine Gefühlslage. Mit einigem zeitlichem Abstand behauptete er: »Trotz meiner Enttäuschung war ich dem Reichstrainer nicht gram, denn nach und nach sah ich ein, daß er nur seiner Überzeugung treu geblieben war, auch auf die Gefahr hin, daß er eine unpopuläre Entscheidung getroffen hatte.« Herberger-Biograf Leinemann, der diese Feststellung auch zitierte, glaubte dennoch: »Spätestens mit diesem Spiel war der Grundstein für die Animositäten und Querelen gelegt, die jahrzehntelang das Verhältnis zwischen Sepp Herberger und Helmut Schön, seinem späteren Nachfolger als Bundestrainer, beeinträchtigten.«

Von diesen Querelen wird noch ausführlich zu lesen sein, doch es erscheint sehr zweifelhaft, dass sie tatsächlich im November 1941 ihren Anfang nahmen. Zu stark bildete Sepp Herberger für Helmut Schön eine Autorität, die er vor 1964 – bis er selbst Bundestrainer wurde – nicht infrage stellte. Zudem hat sich Herberger in der unmittelbaren Nachkriegszeit so intensiv für den Trainer-Neuling Schön eingesetzt, dass es verwunderlich wäre, wenn 1964 alte Narben noch immer eine Rolle gespielt hätten.

Ohne Schön endete das Länderspiel gegen Dänemark mit einem 1:1. Ernst Willimowski hatte seinen Platz eingenommen, und als »local heroes« vom Dresdner SC spielten als linker Läufer Helmut Schubert sowie als Verteidiger Karl Miller. Deren Popularität reichte allerdings bei Weitem nicht an die Schöns heran: Schubert war erst ein Jahr zuvor vom Planitzer SC gekommen, während Miller nur infolge des Krieges beim DSC gelandet war; sein Heimatverein hieß FC St. Pauli.

So kann man ziemlich sicher sein, dass es unter den 42.000 Zuschauern im Ostragehege Unmutsäußerungen gab, trotz der Anwesenheit nationalsozialistischer Prominenz auf der Steintribüne, darunter Sportbereichsführer Kurt Gruber, der Schön einst in die NSDAP hatte drängen wollen. Jedenfalls weisen Presseberichte darauf hin: »Um die bestmögliche Aufstellung muß es ein ziemliches Hin und Her gegeben haben, denn erst gegen 23 Uhr wurden der Dresdner Presse unter tausend heiligen Schwüren der Verschwiegenheit die Namen der deutschen Nationalspieler gegen Dänemark verraten. Es braucht nicht vertuscht zu werden, daß diese für den Sportbereich Sachsen, für die Gaststadt und seinen Meister DSC. eine außerordentliche Enttäuschung bedeuteten. […] Eine solche Aufstellung hatte sich das fußballerische Dresden auf keinen Fall träumen lassen«, berichtete der »Fußball« etwas kryptisch.

Der örtliche »Dresdner Anzeiger« erwähnte den Namen Helmut Schön mit keinem Wort, deutete aber Proteste unter den Zuschauern an: »Murrend zog das Publikum davon. […] Tausende behaupteten, daß der komplette DSC. die Dänen geschlagen haben würde.« Eine direkte Kritik an der Nicht-Nominierung Schöns wagten die Zeitungen nicht, und auch der »Dresdner Anzeiger« relativierte brav die kritischen Stimmen: »Ob mit mehr DSC’lern das Ergebnis besser ausgefallen wäre? Zehntausende sind davon überzeugt, beweisen kann es keiner.« Und der »Kampf« wollte »ohne eigene Stellungnahme die Stimmung des abmarschierenden Publikums andeuten. Es hagelte nur so heftige Kritiken. Kein guter Fetzen blieb an den deutschen Fußballern. […] Ja mit dem DSC., da hätten wir selbstverständlich glatt gewonnen! Wir verzichten absichtlich auf Wiedergabe der nicht selten unparlamentarischen Aeußerungen, die herumschwirrten.«

Die Karriere des Nationalspielers Helmut Schön war damit zu Ende, fortan bevorzugte Sepp Herberger den robusteren Ernst Willimowski. Zwar hatte er seinen niedergeschlagenen Stürmer nach dem Dresden-Spiel noch getröstet: »Sie spielen noch viele Länderspiele!« Doch da hatte er entweder sich oder seinen Spieler getäuscht.

Ob Helmut Schön durch seine großen Erfolge als Vereinsspieler 1943 und 1944 wieder in die Nationalelf zurückgekehrt wäre? Man kann es nicht wissen. Im Herbst 1942 hatte Herbergers Mannschaft ihre letzten drei Auftritte, bevor die NS-Führung im Zuge der »totalen Kriegsführung« jeden internationalen Sportverkehr untersagte. In allen drei Spielen stand Ernst Willimowski neben Fritz Walter; gegen die Schweiz erzielte er vier Tore, gegen Kroatien zwei. Insgesamt brachte er es in nur acht Länderspielen auf 13 Treffer – eine Quote von sagenhaften 1,63 Toren pro Spiel. Fritz Walter juxte einmal, der Willimowski »schießt mehr Tore, als er Chancen hat«. Allerdings vollbrachte »Willi« diese Leistung kriegsbedingt vornehmlich gegen schwächere Gegner.

Betrachtet man nur Spieler, die über einen längeren Zeitraum in der Nationalmannschaft antraten, so gibt es dort bis zum heutigen Tag nur zwei, deren Quote über der »1« liegt, die also mehr Tore schossen, als sie Einsätze hatten: der unübertreffliche Gerd Müller mit 68 Treffern in 62 Einsätzen. Und Helmut Schön mit 17 Toren in 16 Länderspielen.

Helmut Schön

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