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Endlich Deutscher Meister

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Helmut Schöns sportliche Karriere als Spieler stand größtenteils im Schatten des Weltkrieges, und für seinen größten Erfolg, den zweifachen Gewinn der Deutschen Meisterschaft, gilt dies ganz besonders. In der Mannschaft, die 1943 das Finale bestritt, standen fünf Obergefreite, drei Unteroffiziere und drei Zivilisten: der 37-jährige Richard Hofmann, der mit Knieproblemen ausgemusterte 32-jährige Heiner Kugler sowie der 28-jährige Helmut Schön.

Außenläufer Herbert Pohl spielte einarmig, er hatte Anfang des Jahres an der Ostfront den linken Arm verloren, durch die eigenen Leute, nämlich beim Angriff deutscher Sturzkampfbomber. Das Programmheft fürs Endspiel nannte ihn einen »vorbildlichen Fußballkämpfer«, und das war er in besonderer Hinsicht: Pohl stammte laut Wikipedia aus einer kommunistisch geprägten Familie und hatte mit der Kickerei im linken Arbeitersportverein Freital begonnen. Mit 15 Jahren stieg er dort bereits in die erste Mannschaft auf, doch zwei Jahre später verboten die Nazis den Verein. Der junge Pohl ging zunächst zur kleinen Sportvereinigung Dresden-Löbtau, 1937 dann zum DSC. Sepp Herberger berief den ehemaligen Arbeitersportler 1941 zweimal in die Nationalelf. Zusammen mit Walter Dzur und Helmut Schubert bildete Pohl bei den Dresdnern die seinerzeit wohl stärkste Läuferreihe einer deutschen Vereinsmannschaft, die es insbesondere verstand, schnell aus der Abwehr heraus auf Angriff umzuschalten. Nachdem er trotz der Amputation wieder Fußball spielen konnte, gestattete ihm der DFB per Ausnahmeregelung, mit nur einer Hand einzuwerfen. Die Presse attestierte ihm trotz des Handicaps eine »überlegene Ballführung«.

Zivilist Schön machte sich unterdessen an der Heimatfront nützlich. Seine vielfältigen Kontakte führten ihn manches Mal in die Zigarettenfabrik Greiling, jenes Werk, vor dem er als Kind einst um Sammelbildchen gebettelt hatte. Nun organisierte er dort stangenweise Zigaretten. Die Glimmstängel wurden gegen Lebensmittel eingetauscht, die dann der Mannschaft zugutekamen.

1942/43 hatte der DSC souverän die Sachsen-Meisterschaft erspielt, mit 36:0 Punkten und einem sagenhaften Torverhältnis von 136:4. Allein Helmut Schön hatte 50-mal ins Netz getroffen. Allerdings waren diese Ergebnisse stark von den Kriegsverhältnissen verzerrt und zweistellige Resultate keine Seltenheit. Sportlust Zittau beispielsweise wurde mit 12:0 aus dem Ostragehege gefegt; Schön traf sechsmal, Hofmann fünfmal.

Dabei musste Helmut Schön immer wieder mit den üblichen Knieproblemen kämpfen, dies galt auch fürs Achtelfinale in der Endrunde gegen Eintracht Braunschweig: »Schön ging schon als verletzter Mann ins Rennen«, meldete die mittlerweile »gemeinsame Kriegsausgabe« von »Kicker/Fußball«. Nach dem Zusammenprall mit einem Gegenspieler hinkte Schön mühsam zur Seitenlinie, um sich behandeln zu lassen. Er spielte dann vorsichtig als Rechtsaußen weiter. Im folgenden Viertelfinale gegen den SV Neufahrwasser fehlte er ganz. Beide K.o.-Spiele wurden dennoch souverän mit jeweils 4:0 gewonnen.

Mittlerweile hatte die 6. Armee in Stalingrad kapituliert und Propagandaminister Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast den »totalen Krieg« ausgerufen. Noch aber schien es der NS-Führung opportun, den Fußballbetrieb zur Ablenkung vom Kriegselend weiterzuführen. Über die insgesamt 100.000 Zuschauer, die zu den Achtelfinalspielen gekommen waren, urteilte »Kicker/Fußball«, nun »Amtliches Organ des Reichsfachamtes Fußball im NS-Reichsbund für Leibesübungen«: »Sport-Festtage lähmen nicht den totalen Kriegseinsatz. Sie liefern ihm vielmehr unabschätzbare Energien.«

Für das Blatt schrieb mittlerweile Dr. Otto Nerz, der ehemalige Reichstrainer. Er amtierte inzwischen als Professor und Direktor an der Deutschen Hochschule für Leibeskultur. Neben Fachaufsätzen verfasste er auch Zeitungsartikel, zuweilen mit antisemitischem Einschlag. Auch das Halbfinale, das der Dresdner SC gegen Holstein Kiel mit 3:1 gewann, beobachtete er und überschrieb den Beitrag mit: »Schön wieder Drehpunkt der Dresdner Elf«. Im Text hieß es: »Schön ist wieder der große Stürmer. Nur schade, daß Schön nicht ganz fest in den Knien ist. Er ist ein überragender Spieler, der fast alle Eigenschaften des großen Stürmers in sich vereinigt: Ballführung, Kopfspiel, Schuß, Zusammenspiel und Führereigenschaften sind gleichmäßig entwickelt. Dabei ist er immer ritterlich.«

Zum Endspiel gegen den FV Saarbrücken konnten die Dresdner eine starke Elf aufbieten, mit Kreß im Tor, Pechan und Hempel in der Verteidigung sowie der bewährten Läuferreihe Pohl, Dzur und Schubert. Im Sturm stellten Kugler, Schaffer, Hofmann und Schön bewährte und eingespielte Kräfte dar. Auch der ehemalige Stammspieler Fritz Machate wäre dank Fronturlaub einsetzbar gewesen, doch als Linksaußen tauchte an seiner Stelle ein ungewohnter Name auf: Franz Erdl. Der Gastspieler aus Wien, ein dreifacher österreichischer Nationalspieler, war der einzige Neuzugang in der Dresdner Stammelf dieser Saison. Der Soldat war nach einem Jahr Ostfront nach Dresden versetzt worden, und sein Stammverein Vienna Wien hatte Helmut Schön brieflich darum gebeten, sich um ihn zu kümmern. Nun brachte Erdl das Kunststück fertig, zwei Meisterschaftsendspiele hintereinander für verschiedene Vereine zu bestreiten: 1942 für Vienna, 1943 für den DSC.

Der Wiener Stürmer war es auch, der in der 55. Minute die Dresdner in Führung brachte, nach einer Vorlage von Schön. Danach hatten die Saarbrücker der klaren Überlegenheit des DSC nichts anderes entgegenzusetzen als extreme Härte, die sie beim Publikum Sympathien kostete. Schubert und Kugler erzielten die weiteren Tore, und »das Ergebnis hätte schließlich noch höher ausfallen können«, wie Beobachter Nerz urteilte. Die knapp 90.000 Zuschauer pfiffen nur einmal empört: als der Schiedsrichter gegen Pohl auf »Handspiel« entschied. Den kriegsversehrten Spieler hatte der Lederball am verbliebenen Armstumpf getroffen.

Von den Kriegsumständen ist in den Zeitungsberichten über das Spiel ansonsten nicht die Rede. Doch das Frontgeschehen war auch im Stadion präsent, als vor dem Anpfiff des verstorbenen Reichssportführers Hans von Tschammer und Osten sowie der gefallenen Soldaten gedacht wurde. »90.000 erheben den Arm zum stummen Gruß, während das Musikkorps das Lied vom guten Kameraden spielt«, berichtete der »Dresdner Anzeiger«.

Zu Hause in Dresden gab es einen großen Empfang für die siegreiche Mannschaft mit ihrer Meistertrophäe, der großen »Viktoria«. »Eine erwartungsvolle, nicht zu übersehende Menschenmenge« (so der »Dresdner Anzeiger«) drängte sich erst vor dem Bahnhof und später vor dem Rathaus; dazwischen marschierten die Spieler »unter Vorantritt eines SA.-Musikzuges« durch die Prager Straße. »Vereinsführer« Weinhold, Oberbürgermeister Dr. Nieland sowie diverse SS-und SA-Größen hatten sich eingefunden, Reichsstatthalter Martin Mutschmann ließ Glückwünsche übermitteln. Viel war die Rede von »eisernem Willen« und einer »in sehr schweren Kämpfen zusammengeschmiedeten Einheit«.

Die Fachzeitschrift »Kicker/Fußball« sah wiederum den »klugen Taktiker« Schön als Kopf der Meisterelf: »Wir freuen uns, Helmut Schön und seine Kameraden zum wundervollen, so lange ersehnten Erfolg beglückwünschen zu können.« Schön selbst betonte später, »daß wir diesen großen Triumph besonders einem Manne schuldeten: Richard Hofmann«, den er als »spielerisches und moralisches Rückgrat« der Dresdner Mannschaft ansah. »König Richard«, nunmehr seit 15 Jahren in den Diensten des DSC, galt auch immer noch als dessen populärster Spieler; ihn feierten die Zuschauer am lautesten, er (und nicht Kapitän Hempel) bekam den mächtigen Meisterkranz umgehängt, und ihm war es vorbehalten, in den wichtigsten Momenten die »Viktoria« durch die Gegend zu schleppen.

Helmut Schön

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