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»Eine herrliche Fußballzeit«

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Angesichts solcher tragischer Erfahrungen wirkt es irritierend, wenn Helmut Schön in seinen Erinnerungen von 1970 formulierte: »Trotz des sinnlosen Krieges, der das Leben immer mehr beeinflusste, war es für uns Sportler eine herrliche Fußballzeit.« Die Gewaltherrschaft der Nazis thematisierte er 1970 – anders als in seiner Autobiografie von 1978 – überhaupt nicht. Von einer »herrlichen Zeit« konnte man wohl nur sprechen, wenn man die Welt des Fußballs von der Realität abkoppelte. Oder ihn als einen Fluchtraum vor den bitteren Geschehnissen betrachtete.

Tatsächlich bot der Fußball gerade einem Spitzenspieler wie Helmut Schön auch in schweren Zeiten positive Erlebnisse: Reisen zu großen internationalen oder Meisterschaftsspielen, sportliche Erfolgsmomente, Gruppenreisen mit dem Verein. DSC-Exkursionen führten Schön beispielsweise an den Wörthersee, in die Alpen oder nach Wien, Gastspieltourneen sogar bis Skandinavien.

Auch vor dem Kriegsdienst bewahrte ihn vorerst seine sportliche Prominenz. Sein Arbeitgeber, die Firma Madaus, besaß da so ihre Möglichkeiten, wie der Sohn des Firmengründers, Dr. Udo Madaus, 2015 in einer MDR-Dokumentation erzählte: »Als Arzneimittelfirma hatten wir eine große Bedeutung und konnten Mitarbeiter als ›u.k.‹ beantragen, ›unabkömmlich‹. Das haben wir am Anfang des Krieges getan, für Helmut Schön und für sechs andere DSC-Spieler.«

Udo Madaus, Jahrgang 1925, erlebte diese Zeit als Jugendlicher; seine Erinnerung mag auf Hörensagen beruhen, doch sie erscheint für die ersten Kriegsjahre plausibel, zumal sie in Schöns Erinnerungen zumindest für die eigene Person bestätigt wurde. Dessen Arbeitskollegen im Außendienst genossen keineswegs alle das »u.k.«-Privileg, etliche mussten an die Front, wovon Schön ungewollt profitierte: Durch Veränderung der Vertretungsgebiete stiegen seine Tantiemen erheblich; sein jährliches Grundgehalt von mittlerweile rund 8.600 Mark erhöhte sich 1942 dadurch um 50 Prozent. Allerdings wurde die Regelung nach einem Jahr wieder abgeschafft.

Offenbar verfügte Schön mittlerweile über ein vergleichsweise passables Gesamteinkommen, wenn man seine neue Wohnsituation zum Maßstab nimmt. Nach der Hochzeit hatte das Paar eine 92-Quadratmeter-Wohnung am Münchner Platz 16 bezogen, einem Eckhaus der Gründerzeit, im zweiten Stock und in gutbürgerlicher Umgebung. Als Vormieter der Schöns weist das Adressbuch einen Oberregierungsrat aus. Die Befreiung vom Waffendienst dürfte für Schön allerdings der wesentlichere Aspekt seiner Tätigkeit bei Madaus gewesen sein.

Wichtige Unterstützung im Bemühen, seine Mannschaft im Krieg zusammenzuhalten, erhielt der DSC vermutlich auch von Generalleutnant Karl Mehnert, dem Stadtkommandanten von Dresden. Der zweifache DSC-Nationalspieler Herbert Pohl berichtete in der ARD-Dokumentation »Stürmen für Deutschland«: Mehnert »hat das so gemanagt, dass wir immer schön zurückgehalten wurden, wenn es abging an die Front. Aber leider hat sich dann wohl die Bevölkerung geärgert oder beschwert über diese Bevorzugung von uns Sportlern, und dann kam ein Befehl vom Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Keitel. Da wurden viele Sportler namentlich aufgelistet, um sie zur kämpfenden Truppe zu versetzen.«

Tatsächlich entsprach es nicht unbedingt dem Willen der NS-Zentrale, prominente Sportler vom Kriegsdienst auszunehmen. Vielmehr sollten sie an der Front mit »Heldentaten« zum Vorbild werden. Herbergers Aktion »Heldenklau« wurde nachträglich so legendär, weil sie genau das Gegenteil bewirken sollte: nämlich Nationalspieler vor einem Fronteinsatz zu bewahren und sie für Länderspiele freizustellen. Auch auf lokaler Ebene arbeitete man oft in diesem Sinn. Helmut Schön erinnerte sich an die guten Beziehungen, die der DSC zu Wehrmachtsoffizieren unterhielt: »So konnten wir unseren Nationaltorwart Willibald Kreß immer wieder loseisen, wenn es um die Wurst ging.«

Zumindest in den ersten Kriegsjahren konnten DSC-Stammspieler also auf gewisse Vergünstigungen bei Einberufungen und Militärdienst hoffen. Helmut Schön selbst brauchte bis kurz vor Kriegsende keine Wehrmacht-Uniform anzuziehen. Davor bewahrte ihn auf eine eher kuriose Weise erneut der Fußball. Schöns Knie, das er so oft zu stark belastet und zu wenig geschont hatte, veranlasste die Musterungskommission dazu, ihn als »kriegsverwendungsunfähig« einzustufen. Dabei war der zuständige Arzt laut Schön kein Mann des Fußballs, im Gegenteil: Er kannte den Nationalspieler nicht einmal. Als er hörte, welch Prominenz er vor sich hatte, empfahl er Schön, mit der Kickerei aufzuhören: »Sonst kommen Sie nie zur Wehrmacht.« Ironisch kommentierte Schön in seinen Erinnerungen: »Wenn der Brave gewusst hätte, wie leid mir das tat …«

Mit einem Wackelknie fußballerische Triumphe zu feiern und zugleich dank dieses Knies vom Kriegsdienst befreit zu sein – solche Umstände mögen es erklären, warum Helmut Schön jene Jahre als »eine herrliche Fußballzeit« erlebte. Und warum er an gleicher Stelle die Formulierung fand: »Trotz der Unbilden des Krieges ging es im Fußball munter weiter.«

Helmut Schön

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