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Titelverteidigung statt Double

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Viele erwarteten nun vom Dresdner SC, dass er den Erfolg schaffte, der vor ihm nur dem FC Schalke 04 gelungen war: das Double aus Meisterschaft und Pokal. Beinahe wäre es dazu auch gekommen, die Dresdner gelangten im Pokal bis ins Halbfinale, das am 17. Oktober 1943 gegen den »Luftwaffensportverein« LSV Groß-Hamburg ausgetragen wurde. Der LSV hatte sich mehrere prominente Spieler gesichert, darunter den Ex-Dresdner und Ur-Paulianer Karl Miller, den 41-maligen Nationalspieler Reinhold Münzenberg, dessen Heimatverein eigentlich Alemannia Aachen war, sowie den sechsfachen Nationaltorhüter Willy Jürissen, der ansonsten für Rot-Weiß Oberhausen spielte.

Das Spiel fand in Hamburg statt, das durch alliierte Bombenangriffe bereits verheert war. Anfang August hatte die »Operation Gomorrha« einen Feuersturm ausgelöst, dem über 30.000 Menschen und ein Großteil des alten Häuserbestandes zum Opfer gefallen waren. Von einer Busrundfahrt durch die schwer getroffenen Stadtteile kehrten die Dresdner verstört in ihr Hotel zurück, der entsetzte Heiner Schaffer musste sich übergeben. Die Verwüstungen waren so enorm, dass Schön in seinen Erinnerungen später der Überzeugung war, der Bombenangriff habe wenige Tage vor dem Spiel stattgefunden – es lagen jedoch über zwei Monate dazwischen.

Das Halbfinale ging 1:2 verloren, das Double gab es nicht, doch ist anzunehmen, dass die meisten Spieler dem keine größere Bedeutung mehr zumaßen; zu sehr prägte der Krieg das Geschehen. In den »Feldpostbriefen«, die der Verein den an der Front stehenden DSC-Mitgliedern zuschickte, musste er schließlich auch den »Heldentod« des Herbert Pechan mitteilen, Mitglied der 1943er-Meisterelf.

Der Spielbetrieb wurde immer mehr zur absurden Lotterie. Spiele mussten abgesagt oder wegen eines Luftangriffs unterbrochen werden, an eine geordnete Aufstellung von Mannschaften war kaum noch zu denken. Wie stark der Zufall regierte, zeigen zwei Resultate aus der Gauliga Sachsen: Als der DSC im November 1943 beim Chemnitzer BC antrat, fehlte neben Schön die gesamte Läuferreihe Dzur, Pohl, Schubert. Das Spiel ging 1:3 verloren. Beim Rückspiel im Januar 1944 dagegen konnte der DSC mit den meisten Stammspielern antreten und gewann 7:0.

Für die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft 1944 qualifizierten sich Vereine, die zu regulären Zeiten nie dort gelandet wären – STC Hirschberg beispielsweise, der FC Mühlhausen oder Borussia Fulda. Eben diese Borussen wurden prompt zum Opfer der Dresdner, die mit 9:2 Toren siegten; sieben Treffer gingen auf Schöns Konto. Weitere Gegner des DSC auf dem Weg ins Finale waren der First Vienna FC sowie der Nürnberger »Club« mit dem jungen Max Morlock. Wieder einmal hoben die Zeitungskommentatoren hervor, dass die Siege vor allem Schöns Verdienst waren. »Als Sabeditsch Schön vernachlässigte, siegte DSC«, überschrieb der »Kicker/Fußball« seinen Spielbericht zum Viertelfinale gegen Vienna. Und über das Halbfinale gegen Nürnberg hieß es: »Schöns Regie macht das DSC.-Spiel. Seine ausgeklügelte, doch auch zögernde Spielweise prägt den Stil der Elf. Überraschende Kombinationen und explosive Einzelleistungen warten auf ihre Gelegenheit, und dass sie gelingen, zeigt eben den Deutschen Meister.«

Als Favorit für den 1944er-Meistertitel galt allerdings die Retortentruppe des LSV Groß-Hamburg, die ebenfalls das Endspiel erreichte. Gegen den LSV hatten die Dresdner nicht nur im Vorjahr das Pokal-Halbfinale verloren, sondern im Frühjahr zudem ein Freundschaftsspiel im Ostragehege mit einem frustrierenden 1:5. Nach der Begegnung hatten die Gäste ihre Gastgeber zum Abendessen eingeladen – aus ihren reichhaltigen Luftwaffenbeständen hatten sie eine üppige Auswahl mitgebracht.

»Uns allen«, so Schön, »war klar, dass diese Spielsaison die letzte vor dem Zusammenbruch sein würde«. Der Noch-immer-Zivilist setzte alles daran, seine Kameraden noch einmal für den gemeinsamen Erfolg zu motivieren: Raucher sollten den Tabakkonsum einschränken (»ab Donnerstag keine Zigarette mehr«), vor Punktspielen ausreichend geschlafen werden (»um halb elf ins Bett«).

Ob es an diesen Mahnungen lag oder doch eher an der Tatsache, dass der DSC noch einmal einen Großteil seiner Stammelf zusammenbringen konnte – jedenfalls wurde das Finale am 18. Juni 1944 in Berlin sportlich zu einer klaren und einseitigen Angelegenheit. Acht Spieler der Dresdner Finalmannschaft von 1943 waren auch dieses Mal dabei. Den an der Front gefallenen Verteidiger Pechan ersetzte Fritz Belger, seit zwei Spielzeiten beim DSC. Rudi Voigtmann, der ein Jahr zuvor vom Planitzer SC gekommen war, spielte für Heiner Kugler als Rechtsaußen. Und mit Fritz Machate war für den Wiener Erdl ein alter Dresdner in die Mannschaft zurückgekehrt.

Mit einer Mannschaft, die sich im Ganzen ziemlich gut und lange kannte, überfuhren die Dresdner ihre Luftwaffen-Gegner mit einem klaren 4:0. In seinem Kommentar für den »Kicker/Fußball« hob Otto Nerz auch für dieses letzte große Spiel die Rolle von Helmut Schön hervor: »Technisch waren beide Mannschaften durchaus auf der Höhe und wohl auch beinahe gleichwertig. Wieder mit der Einschränkung, daß nur ein Schön auf dem Felde war. Schön war der Führer der DSC.-Mannschaft, von ihm ging die geistige Vorbereitung fast aller vier Tore aus.«

Dr. Friedebert Becker, inzwischen Redaktionschef der Fachzeitung, griff die neuerlichen Vorwürfe auf, der DSC habe von der großzügigen Freistellung seiner Spieler profitiert: »Das 4:0 im Schlußakt duldet kein Wenn und Aber. Wir hören das Wenn aus Schalke, das Aber aus Nürnberg, das Wenn aus Wien, das Aber von hier und dort: daß der DSC das Glück habe, nahezu mit einer Friedenself zu spielen, daß seine Spieler nicht in dem Maße wie Kameraden anderer Gebiete dem Luftterror zu trotzen haben, daß…« Becker setzte die klaren Ergebnisse des DSC in der Endrunde dagegen und schloss: »28 Tore in 5 Spielen! Solche Serie verwischt alle Wenns.«

Allerdings: Selbst die »Dresdner Zeitung«, kriegsbedingter gemeinsamer Nachfolger des »Anzeigers« und der »Neuesten Nachrichten« und ansonsten lokalpatriotisch gefärbt, konnte sich zu dieser Thematik einen kleinen ironischen Hieb nicht verkneifen: »Wie es die DSC.-Leitung fertiggebracht hat, diese Fülle von Spitzenkönnern auf den Rasen zu stellen, mag ihr Geheimnis bleiben, und wir wollen auch nicht neugierig sein.«

Die Titelverteidigung war sicherlich ein sportlicher Erfolg und auch verdient, denn der Dresdner SC hatte in den vergangenen sechs Saisons fast immer oben mitgespielt: 1939 Dritter in der Meisterschaft, 1940 Vizemeister und Pokalsieger, 1941 erneut Pokalsieger und Meisterschaftsdritter, 1943 Meister und Pokalhalbfinalist, 1944 erneut Meister.

Zugleich aber war der Triumph von 1944 die trostloseste aller Deutschen Meisterschaften. Nicht nur, weil alle Meisterschaftsrunden unter dem Hakenkreuz mit dem Makel behaftet waren, dass die NS-Diktatur einen Teil der Bevölkerung vom aktiven Sport ausschloss: Juden vor allem und politische Widerständler. Nun kamen auch noch die Umstände der letzten Kriegsphase hinzu. Aus Sorge vor Fliegerangriffen wohnten die Mannschaften außerhalb Berlins und hatte man den Spieltermin vorher nicht angekündigt. Das Olympiastadion bevölkerten dann vornehmlich Soldaten, Verwundete und Rüstungsarbeiter, ausverkauft war es dennoch nicht. Vom Stadion aus wurde ständig Kontakt zum Luftgaukommando Berlin gehalten, um notfalls evakuieren zu können. Laut Schöns Erinnerungen von 1970 hatten die Nazis das Gerücht gestreut, die englische Luftwaffe wolle das Stadion während des Spiels bombardieren. Die Spieler allerdings waren »der Meinung, daß die Engländer dem Fußballsport viel zu sehr verbunden wären, um ein gefülltes Stadion mit Bomben zu belegen«.

Die Schlagzeilen der Zeitungen am folgenden Tag gehörten nicht dem Spiel, sondern dem Kriegsgeschehen: »Harte Kämpfe in der Normandie«, »London-Bombardement fortgesetzt«, »Erbitterte Kämpfe in Italien«.

An einen großen Bahnhof in der Heimatstadt wie noch im Vorjahr war unter diesen Umständen nicht mehr zu denken. Die »Dresdner Zeitung« wusste: »Die Dresdner Fußballgemeinde beglückwünscht unseren Meister von ganzem Herzen, auch wenn sie sich diesmal (siehe Optik des Krieges) nicht mit Fahnen und Trompeten zum Empfang am Bahnhof einfinden wird.«

Immerhin gab es einen Empfang im Rathaus, auf dem Oberbürgermeister Nieland versprach, die zweifachen Deutschen Meister mit dem »neugeschaffenen Sportring« zu ehren. Einige Monate später musste er den Spielern mitteilen, »dass durch die kriegsbedingten Verhältnisse die Herstellung des Ehrenringes bislang nicht möglich gewesen ist«.

Nicht nur der Krieg entwertete die beiden Meistertitel des Dresdner SC. Alle anderen Klubs, die zwischen 1920 und 1944 die Meisterschaft errungen haben, bestehen heute noch als große Traditionsvereine: der Nürnberger »Club«, der Hamburger SV, Bayern München, Fortuna Düsseldorf, Hannover 96, die SpVgg Fürth, Hertha BSC, Rapid Wien und natürlich Schalke 04. Sie alle spielen aktuell zumindest in der 2. Bundesliga. Allein der Dresdner SC ist die große Ausnahme – eine Folge der DDR-Sportpolitik, die ein Wiederaufleben des Klubs nach dem Krieg nicht zuließ (wie im nächsten Kapitel zu lesen ist). Die großen Erfolge des DSC sind damit zu einer fast vergessenen historischen Episode geworden.

Helmut Schön

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