Читать книгу Die Herkunft Europas - Bernhard Braun - Страница 10

Die Alpen aus Afrika

Оглавление

Nun könnte man sich fragen, von welchem Belang all diese mythischen Erzählungen sind. Natürlich sind Mythen phantasievoll, unhistorisch und logisch ziemlich inkonsistent, aber ihnen kommt doch auch eine eigene Rationalität zu. Mythen verarbeiten in ihrer eigenwilligen Logik Fakten und historisch Erlebtes in phantasievoller Form. Wenn die frühen Griechen Ereignisse aus ferner Vergangenheit erzählten, verfolgten sie damit keine historische, sondern eine literarische Ambition. Insofern hat der Mythos immer einen doppelten Boden. Es dauerte einige Zeit, bis sich so etwas wie ein auf Fakten gestütztes Geschichtsverständnis herausbildete. Die griechischen Historiker Herodot und Thukydides waren die Ersten, die sich darum bemühten. Damit war es dann freilich weitgehend vorbei mit der literarischen und dichterischen Brillanz, und die Historie wurde ein trockenes Geschäft.

Nun möchte ich tunlichst vermeiden, dass es in diesem Buch trocken wird, aber es hilft nichts, wir müssen uns langsam den historischen Fakten zuwenden. Doch auch diese Geschichten kann man mit einem „Es war einmal …“ beginnen lassen und ich fange nun also ganz von vorne an.

Es war einmal vor ziemlich langer Zeit, dass auf diesem die Sonne umkreisenden Planeten an der Oberfläche eines riesigen Ozeans eine große Platte schwamm. Man nennt diesen Urkontinent Pangaea (von griech. pan/ganz + gaia/Erde). Es war ungemütlich damals. Hunderttausende Jahre lang spien Vulkane Asche und Lava in den Himmel und verursachten ein Massensterben unter den ersten Lebewesen. Vor etwa 200 Millionen Jahren brach diese Platte – vielleicht mit großem Krach – in mehrere Stücke, die im Laufe von 50 Millionen Jahren auf dem Ur-Ozean auseinanderdrifteten und im Groben die Form der heutigen Kontinente annahmen. Der Norden des europäischen Kontinents lag noch unter dem Meer. Plankton, Muschel- und Schneckenschalen, die auf den Meeresboden sanken und versteinerten, finden sich heute etwa in dem Solnhofener Kalkstein der Fränkischen Alb (mit etwas Glück auch Reste des Archaeopteryx, des Dinosaurier-Urvogels, der gerne über dem Altmühltal seine Kreise zog).

Den Raum zwischen den sich langsam voneinander entfernenden afrikanischen und europäischen Platten füllte der Ozean Tethys (das ist ein Ausdruck für Ozean, der uns bereits als Name für die Mutter der Europa begegnet ist). Vor etwa 130 Millionen Jahren kehrte sich die Bewegung um und die beiden Platten schwammen etwa 80 Millionen Jahre lang aufeinander zu, bis sie schließlich – vielleicht wieder mit großem Getöse – zusammenstießen. Die afrikanische Platte verschlang dabei das zwischen den Kontinenten liegende Meer samt seinen Gesteinsformationen und drückte die Massen in die europäische Platte hinein. Diese Stauchung schiebt bis heute ein Gebirge in die Höhe. Wir reden von den Alpen, die durch den Druck der afrikanischen Platte um etwa zwei Zentimeter pro Jahr in die Höhe wachsen. Das ist natürlich bescheiden und die ständige Erosion gleicht das aus, sodass netto nur etwa ein Millimeter Wachstum pro Jahr übrig bleibt. Auf lange Sicht hat die Erosion die Alpen sehr verkleinert. Geologen gehen von ursprünglich einem Mehrfachen der derzeitigen Berghöhen aus. Hätten wir diesen Zustand heute noch, wären die Alpen eine unüberwindliche Barriere zwischen dem nördlichen Europa und dem südlichen Teil, der dem Orient so nahe ist.


Mosaik mit Okeanos und Tethys (2.–3. Jh.), Zeugma Mozaik Müzesi, Gaziantep

Die Alpen ziehen sich über 1200 Kilometer zwischen Ligurischem Meer und Pannonischem Becken, zwischen deutschem Alpenvorland und italienischer Poebene quer durch Europa. Der Terminus Alpen (alp ist vielleicht eine von Kelten übernommene römische Bezeichnung für hoher Berg; das meinte jedenfalls der in solchen Dingen nicht allzu verlässliche Isidor von Sevilla im Mittelalter) wurde zu einem universal verwendeten Wort: Alpin heißt einfach bergig, egal ob in den Alpen oder bei einer „alpinistischen“ Tour in Feuerland.

Die zwischen 130 und 30 Millionen Jahren entstandenen und damit erdgeschichtlich eher jungen Alpen sind also eine afrikanische Falte, ein Gemisch aus europäischem und afrikanischem Boden. Trotzdem fühlen sich die knorrigen Tiroler ganz wohl auf diesen Resten afrikanischer Schnecken- und Muschelschalen und auch die steirischen Äpfel und Kürbisse gedeihen gut in diesem Boden. Man könnte sogar sagen: Als unsere Vorfahren nach Europa gezogen sind, denn in der Tat stammt kein Europäer aus diesem Kontinent, zogen sie auch gleich wieder auf heimatliche Erde.

Die Herkunft Europas

Подняться наверх