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Die Jäger und Sammler werden Bauern

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Ganz anders lagen die Dinge im Vorderen Orient und in Nordafrika. Die Sonne strahlte vom blauen Himmel, zwischendurch schossen dunkle Wolkenberge in die Höhe und bildeten einen riesigen Amboss, der sich mit Blitz, Donner und Regengüssen entlud, sodass Flüsse fruchtbares Schwemmland bewässerten, aus dem die Pflanzen sprossen. Paradiesische Zustände also. Die Menschen überlegten sich, warum sie eigentlich die Mühsal des unsteten Herumziehens auf sich nahmen, und wurden sesshaft. Etwa zwischen 10 000 und 5000 v. Chr. schuf eine Klimaerwärmung zwischen dem Himalaja und dem Mittelmeer beste Lebensbedingungen. Vom westlichen Iran über das Land zwischen Euphrat und Tigris, Anatolien, Syrien bis nach Palästina erstreckte sich ein „Fruchtbarer Halbmond“ (den Ausdruck fertile crescent prägte 1938 der Ägyptologe James Henry Breasted). Die Gunst der Natur verleitete die Menschen geradezu dazu, Äcker zu bewirtschaften, Tiere zu domestizieren, Städte zu gründen und so nebenbei Architektur, Kunst, Literatur, Religion und Philosophie zu erfinden, kurzum: Kultur zu stiften.

Manche Gegenden waren ganz außerordentlich fruchtbar: der südliche Teil des Landes, das die beiden Flüsse Euphrat und Tigris einschlossen, oder das Mündungsdelta des Nils im nördlichen Ägypten, wo Papyruspflanzen wucherten und alles prächtig gedieh, was man anbaute. Später entstanden mit Blick auf dieses glückliche Szenario quer durch den Orient schöne Märchen vom Paradies, wo einem die Erde ohne viel eigene Anstrengung alle ihre Früchte schenkt. Der Ausdruck Paradies leitet sich von einem altpersischen Wort für Garten ab: pairidaida oder pairidaeza (umzäunt, ummauert), was griechisch zum paradeisos und lateinisch zum paradisus wurde. Paradies diente als Bezeichnung für die reichen Gärten der assyrischen Könige und schließlich für die Gartenkultur schlechthin, die im Orient einen hohen Stellenwert einnahm. Denn Gärten mit sprudelnden Brunnen waren Zeichen von Wohlstand und Lebensfreude. Was anders ist ein Garten denn auch? Manchmal pflanzt man dort ein Nachtschattengewächs, das im östlichen Teil Österreichs heute noch den schönen Namen Paradeiser (als Abkürzung für Paradiesapfel) trägt. In Italien nannte man das Gemüse Goldapfel (pomodoro) – gemeint ist die Tomate.

Doch ich habe mich im Paradies verloren und sollte zurückfinden zur demgegenüber nicht ganz so idyllischen Realität! Denn anfangs hatte die Sesshaftwerdung herzlich wenig mit einem Paradies zu tun – deshalb wohl die phantasievollen Wunschvorstellungen. Die ersten Siedlungen glichen eher dem Fegefeuer. Die Menschen starben früh, das enge Zusammenleben von Mensch und Tier führte zu immensen Hygieneproblemen.

Die gewaltige Veränderung der Lebensweise fand allmählich statt: Jäger und Sammler wurden erst zu nomadisierenden Viehhaltern und schließlich zu sesshaften Ackerbauern und Viehzüchtern. So recht nach Revolution klingt das nicht, doch es hat sich dafür der Begriff Neolithische Revolution durchgesetzt. Der von marxistischen Geschichtstheorien beeinflusste australische Historiker Vere Gordon Childe hat ihn 1936 in Analogie zur Industriellen Revolution geprägt. Immerhin, ein gewaltiger Umsturz war das durchaus. Neben der Domestikation von Pflanzen und Tieren waren jede Menge Erfindungen nötig, um das neue Leben zu meistern: Pflug, Joch, Wagenrad, Fischernetz, Angelhaken, Boot, Töpferscheibe und Keramik (man brauchte nun Gefäße zum Speichern), Bewässerungstechnik, Maße, Gewichte und, um dies alles bürokratisch zu verwalten, um das Jahr 3200 die Schrift! Ungefähr zur selben Zeit begann die Metallverarbeitung, womit die Jungsteinzeit in die Kupferzeit überging. Dazu kamen die entsprechenden sozialen Umwälzungen: die Zentralisierung des wirtschaftlichen, politischen und religiösen Lebens, Differenzierung von Handel und Gewerbe mit den entsprechenden Innovationen, Bildungssysteme, bürokratische und politische Institutionen, zentrale religiöse Autoritäten. Kurzum: Was hier erfunden wurde, waren die ersten Bausteine der Stadt mit allen ihren kulturellen Errungenschaften. Diese Bausteine – in den frühen Hochkulturen verfeinert – waren letztlich die Bausteine, aus denen das spätere Europa entstand.

Manche wagemutigen Bauern verließen ihre Siedlungen im Orient und zogen in langen Trecks durch das Donautal nach Norden. Der Balkan bildete dabei das Bindeglied von Süd- nach Nordeuropa. Sie hatten unsere Haustiere dabei, die alle aus dem Vorderen Orient stammen: asiatische Ziegen und Schafe, Rinder und Schweine aus Anatolien, alle etwa um 8000 v. Chr. domestiziert. Vielleicht ritten sie auf ein paar um 4000 v. Chr. gezähmten, aus Zentralasien stammenden Pferden. Und natürlich hatten sie gebrannte Keramik im Gepäck, die im 7. Jahrtausend im Iran erfunden worden war, Töpferware vor allem, aber auch einige kunstvolle Figuren, wie bereits berichtet.

Vermutlich erschraken sie ziemlich heftig darüber, was sie im Norden vorfanden. Die Gegenden waren alles eher als einladend. Am Ende der Altsteinzeit, etwa um 10 000 v. Chr., endete mit der erwähnten Klimaerwärmung die letzte große Vereisung. Die gleiche Sonne, die aus der einst fruchtbaren Sahara eine Wüste machte, den Vorderen Orient aber verwöhnte, schmolz in Europa den Eispanzer ab. Es begann der bis heute andauernde Klimazyklus. Durch die gewaltigen Mengen an Schmelzwasser waren große Teile des Kontinents unwirtliche Sumpflandschaft. Die Jagd war schwierig, weshalb man sich zunächst an den Küsten niederließ und nolens volens mit dem Meer als Nahrungsquelle vorliebnahm. Das Ausmaß dieses stetigen Transfers vom Orient in den Okzident muss eindrucksvoll gewesen sein, denn an allen möglichen Orten Europas stoßen wir auf erstaunliche Funde. Am Bouldnor Cliff vor der Isle of Wight in Großbritannien fand man in elf Metern Tiefe ein Häuflein von Einkorn, das aus dem Fruchtbaren Halbmond stammte. Einkorn war eine der ersten von Menschen angebauten Getreidearten. Noch weiter im Norden des Kontinents, in der Nähe von Stonehenge, enthielt ein reich ausgestattetes Grab einen vornehmen Mann (genannt Bogenschütze von Amesbury). Er war ein Zugereister aus dem Alpenraum und hatte Geräte bei sich, die in Spanien gefertigt worden waren. So funktionierte Globalisierung in der Steinzeit!

Doch trotz solch feiner Stücke, die man da und dort aus der Erde holt, war es damals zu einem ersten Rückfall der Kultur gekommen. Die Kunst war spärlich geworden und hatte an Qualität verloren. Kaum hatte Europa (das es als politischen und geographischen Begriff natürlich noch gar nicht gab) mit der „Sixtinischen Kapelle der Urgeschichte“ (Henri Breuil über den „Bildersaal“ der Höhle von Altamira) ein erstes, eindrucksvolles Lebenszeichen in die noch ziemlich leere Welt gesandt, war es damit auch schon wieder vorbei.

Die Herkunft Europas

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