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Wie kamen die Götter in den Himmel?
ОглавлениеEs war auf den vergangenen Seiten die Rede von erdgebundenen (oder chthonischen) und von himmlischen (oder solaren) Gottheiten. Doch hinter dieser Paarung liegt ein erheblicher Aufwand kultureller Diversifikation. Wie sehr die schwierige Balance zwischen Erdverbundenheit und Himmelsbereich die Menschen damals umgetrieben hat, zeigen die mythischen Erzählungen von der Trennung von Himmel und Erde, die in aller Regel gewaltsam vollzogen wurde.
Mythische Geschichten erzählen etwa von einer erotischen Verbindung zwischen Himmel/Himmelsgott und Erde/Erdgöttin und sodann, um überhaupt Raum für eine Entfaltung der Götter und der Welt zu schaffen – von ihrer Trennung. Es kann der Luft- oder Windgott sein, der sich zwischen Himmel und Erde drängelt und die beiden auseinanderpustet – so erzählt es eine Geschichte aus Ägypten. Meist stellte man sich den Vorgang allerdings robuster vor. Der babylonische Götterspross Marduk spaltete mit phantasievollen Waffen den Körper der Tiamat, die eine Göttin des Salzwassers war und für zerstörerisches Chaos stand, in Himmel und Erde. Nach dem orphischen Mythos in Griechenland hieb Kronos (Zeit) mit einer Sichel das erigierte Glied seines Vaters Uranos (Himmel) ab, der in immerwährendem Beischlaf fest mit Gaia (Erde) verbunden war. Bei dieser Kastration des Himmelsgottes kam es zu einem bemerkenswerten Kollateralgewinn. Sein erigiertes Glied fiel in das Meer, und dem Schaum des Ejakulats, der an die Küste Zyperns getrieben wurde, entstieg Aphrodite. In ihr verband sich also die Himmelsorientierung des indogermanischen Himmelsgottes in einem ziemlich gerechten Ausgleich mit der chthonischen Seite des Wassers. Solche Polaritäten zeigen sich häufig in den frühen Göttergestalten. Die Göttin Uruks, Inanna, war eine Göttin der Fruchtbarkeit, also chthonisch, aber zugleich auch Abend- und Morgenstern, womit ihr ein astraler Aspekt zukam.
Schritt für Schritt wurden alle Gottheiten „solarisiert“, sprich: in den Himmelsbereich der Sonne gehoben. Die damit verbundene Vergeistigung und Abstraktion bewirkte, dass man über dem real vollzogenen Kult eine Theologie (griech. theos + logos/„Wissenschaft“ von Gott) zu formulieren begann. Der Aufstieg Marduks, des Stadtgottes Babylons, zum Chef des gesamten babylonischen Pantheons war so eine Geschichte. Er eroberte diesen Posten mit Ellbogentechnik im Kampf gegen Tiamat und dank einer gewonnenen Wahl unter Kollegen. Er übernahm damit die Funktionen etlicher anderer Gottheiten. Dargestellt wurde das als eine frühe Version des Kampfes gegen den Terrorismus, indem er als Bezwinger des Chaos und Stifter der Ordnung auftrat. Für diese Leistung, die durch fünfzig Ehrennamen dokumentiert wurde, konnte er sich als Schöpfergott die Welt erschaffen, frei nach seinem Gusto. Diese Erfolgsstory, von der der erste Weltschöpfungsmythos, Enuma Elisch, berichtet, ist bereits ziemlich elaborierte Theologie! Ausläufer finden sich im Alten Testament, wo Gott aus dem Ur-Chaos (im Text steht das hebräische tehom, meist mit Urwasser übersetzt; es heißt genauer Abgrund, Kluft und leitet sich wahrscheinlich von Tiamat ab) Himmel, Erde und gleich auch noch den Zwischenraum erschafft.
Solche Erzählungen waren letztlich Leitfäden für das Zusammenleben von Göttern und Menschen. Bemerkenswerterweise sparten sie auch die Krisen in jeder Beziehung, zumal in einer solch speziellen, nicht aus. Die Beziehung zwischen Menschen und Göttern lief häufig auf ein Konkurrenzverhältnis hinaus, was angesichts der doch sehr anthropomorphen Göttervorstellungen kaum verwundert. Seit der Antike bemühten sich Theologen darum, allzu menschliche Vorstellungen bei den Götterbildern zu bekämpfen und eine klare Trennlinie zu ziehen. Das erreichten sie mit der Vorstellung der Transzendenz Gottes, also der Auslagerung Gottes in eine eigene, von der Welt völlig getrennte Sphäre, was man als radikalste Konsequenz der Solarisierung eines Gottes bezeichnen kann. Das Problem, das dann auftaucht, ist freilich, wie man erklären kann, dass ein transzendenter Gott ständig in das reale Leben von Menschen eingreift.
Stehen Menschen hingegen „auf Augenhöhe“ mit den Göttern, testen sie zwangsläufig die von den Göttern vorgegebenen Regeln – nicht anders als aufwachsende Kinder dies mit ihren genervten Eltern machen. Das hat Folgen. Die Menschen werden aus dem Paradies vertrieben, es werden ihnen Seuchen und Plagen geschickt, der Sonnengott vernichtet die einer unmoralischen Lebensweise Verfallenen mit Feuer und Schwefel. Schließlich greifen Götter zur radikalsten Strafe, zur Sintflut (von althochdt. allumfassende Flut). Die große Flut war schon deshalb als Strafe beliebt, weil dem Wasser ambivalent zur zerstörerischen Dimension auch jene der Reinigung und Erneuerung zukam. Eine solche Bestrafung der Menschen und Erneuerung der Welt kennen wir aus sumerischen Berichten, aus dem babylonischen Atramhasis-Mythos, dem babylonischen Schöpfungsmythos Enuma Elisch und natürlich aus dem Alten Testament. Glücklicherweise kannte man immer schon auch das rettende Hausboot für die wenigen aufrichtigen Menschen und die unschuldigen Tiere. Diesen tugendhaften Vorfahren ist es zu verdanken, dass es uns noch gibt – und man wundert sich angesichts dieser damals getroffenen Auswahl, dass immer noch so viele schlechte Menschen die Erde bevölkern.