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Wasser – Erde – Sonne

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Wenn man durch die steinige Wüste Ägyptens fährt, sieht man, wie in der gleißenden Hitze der Sonne die weite Landschaft zu flimmern beginnt. Das erzeugt die Illusion einer riesigen Wasserfläche, aus der sich pyramidenförmige Hügel erheben, und lässt einen unmittelbar den ägyptischen Mythos über die Entstehung des Landes verstehen.

Am Anfang, so lautet das Narrativ, bedeckte das Urmeer alles Land. Damit ist ein Urzustand beschrieben, der eine Vielfalt aller erdenklichen Formen in sich birgt. Dann hebt ein differenzierender Ordnungsvorgang an. Das Wasser sinkt und es taucht ein Orientierungspunkt in Gestalt eines Erdhügels auf. Dieser Erdhügel, dessen Spitze in der Sonne glänzt, ist der Erste Ort, wie die alten Ägypter sagten, Ort der Erde und des Lichts. Immer wieder wird dieser Urhügel zitiert und mit Atum, dem Schöpfergott, gleichgesetzt, dann auch mit der Stadt, mit dem Tempel und mit der Pyramide.

Die Erzählung greift nicht nur den Blick in die Landschaft auf, sondern noch eine andere Urerfahrung der Ägypter. Das Land wurde Jahr für Jahr durch den anschwellenden Nil überschwemmt. Das Erste, was dabei augenscheinlich passierte, war Zerstörung. Doch nach dem Sinken des Wassers schenkte der fruchtbare Schlamm, der auf den Feldern liegen blieb und in den man die Saat einbrachte, dem ausgetrockneten Land neues Leben. Von dem griechischen Historiker Herodot stammt das berühmte Wort, dass Ägypten ein Geschenk des Nils sei. Wir haben hier ein schönes Beispiel vor uns, wie sich große Erzählungen von der Ambivalenz von Mächten, hier des Wassers mit seiner zerstörenden (Stichwort Sintflut) und seiner reinigenden und lebenspendenden Funktion (Stichwort Taufe), aus dem real Erlebten ableiteten. Und man sieht hier auch eindrucksvoll, wie sich Menschen mithilfe kultureller Erzählungen ein Naturgeschehen aneignen und es dadurch in seiner (entmächtigenden) Fremdheit entschärfen konnten. Dazu kam der zusätzliche Mehrwert einer bewundernswerten kreativen Kraft. Denn die Erzählung sendet eine existenzielle und nachhaltige Botschaft: Aus Zerstörung und Tod erwächst neues Leben! Weitergesponnen heißt das, dass man in diesem Zyklus der Natur die Geborgenheit einer ständigen verlässlichen Wiedergeburt erwarten darf – wenn alles mit rechten Dingen zugeht. Das ist freilich der springende Punkt dabei, denn nur ein störungsfreier harmonischer Zyklus kann eine solch existenzielle Bedeutung erlangen. Fällt – um beim erwähnten Beispiel zu bleiben – die Überschwemmung zu stark oder zu schwach aus, siegt der Fluchaspekt über den Heilsaspekt.

An diesen einfachen Mythos schlossen sich weitere Erzählungen an, die in dem von der Flut freigegebenen Urhügel beispielsweise jenen Ort sahen, wo sich der Tod in neues Leben verwandelte. Es ist daher nur konsequent, dass er zum Bestattungshügel (ägypt. mastaba) wurde. Die Mastabas waren die ersten Grabbauten Ägyptens. Sie erhielten innere Räume für Sarg und Grabbeigaben und wurden schon in der ersten Dynastie in Abydos und Sakkara zu immer aufwendigeren, monumentalen Königsgräbern ausgebaut. Ganz offensichtlich stand hier die Erde als Ort der Neugeburt im Vordergrund, das Heil hatte eine chthonische Orientierung. Wie sehr im Weiteren die Tendenz zum Solaren und zur Abstraktion zunahm, zeigt sich in einer ungewöhnlichen Wendung in der Architektur. Man begann, Mastabas übereinanderzustapeln. Mit dieser Idee, die vielleicht vom Blick auf die Stufentempel im fernen Mesopotamien inspiriert war, begann der Bau der Pyramiden – ich werde darauf gleich zurückkommen.

Bleiben wir noch kurz bei der Spannung von Chthonischem und Solarem. Das Wasser des Nils und der erscheinende Erdhügel waren die chthonische Seite. Sie wurde von dem den Rhythmus vorgebenden Lauf der Sonne ergänzt. Der Sonnengott garantierte als harmonischer Taktgeber die Stabilität des zyklischen Prozesses. Nach Vorstellung der Ägypter entsteht die Sonne täglich am Morgen „aus sich selbst“ (ägypt. cheper), thront mittags als Re am Zenit und geht abends als Atum unter. Für das Werden aus sich selbst heraus fanden die Ägypter ein Logo, das sich bis heute als Souvenir größter Beliebtheit erfreut: das Bild des Mistkäfers (Skarabäus). Nach alter Vorstellung entsteht er aus sich selbst und rollt ein kleines Mistbällchen vor sich her, das in den Darstellungen die Rolle der Sonne symbolisierte.

Auch die Erzählung des „aus sich selbst“ thematisierte letztlich die Erfahrung des Menschen, der ungefragt in einen Zyklus der Natur hineingeboren wird, in dessen Stabilität er sich bergen kann. Nach Ursache und Wirkung zu fragen, ist eine relativ späte, so richtig erst mit der griechischen Rationalisierung aufgetretene Weise, mit der Realität umzugehen. Niemand kam damals etwa auf die Idee, eine Expedition in den Süden zu schicken, um nach den Ursachen für das jährliche Hochwasser des Nils zu forschen und die Sache anschließend womöglich technisch zu manipulieren.

Bei der Deutung dieser Mythen lassen sich zwei Aspekte festmachen: zum einen der Zyklus der Natur, der ohne Anfang (wo soll ein Kreis auch anfangen?) und Ende durch das stetige kreisförmige Prozessieren einen Ort des Bestandes schafft. Zum anderen der harmonische Rhythmus dieses Prozessierens. Er ist die Voraussetzung für die Stabilität. Das wussten die Ägypter nur zu gut und überlieferten uns – mit einem Wort aus der digitalen Welt – den Quelltext dieser Mythen von der Stabilisierung des Lebens. Sein Code-Name lautet Ma’at.

Die Herkunft Europas

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