Читать книгу Die Herkunft Europas - Bernhard Braun - Страница 28
Viele Götter oder nur einer?
ОглавлениеDie Geschichte um den Gott des Alten Testaments, Jahwe, verarbeitete alle diese Bestandteile höchst originell. D er zentrale Gedanke dabei war natürlich der Monotheismus. Um diesen Gedanken zu entfalten, müssen wir nochmals kurz nach Ägypten blicken, denn es war in Ägypten, wo der erste Monotheismus der Geschichte entstand. Sein Erfinder war der ägyptische Pharao Amenophis IV., der sich nach seinem neuen Gott Echnaton nannte.
Wir sahen, dass die Umgangsformen polytheistischer Systeme untereinander von den Regeln der Diplomatie und der Kulturtechnik respektvoller Übersetzung geprägt waren. Um zu verstehen, warum Amenophis IV. den vorherrschenden Polytheismus so vehement bekämpfte, muss man die gesamte Geschichte um den Amun-Kult im Auge behalten. Nach der (wieder einmal) blutigen Wiedervereinigung des (wieder einmal) zerbrochenen Landes in der 11. Dynastie erfreute sich Ägypten einer friedlichen Zeit und zunehmender Prosperität. Dieses Glück wurde allerdings jäh unterbrochen. Das sich aufgrund der topologischen Gegebenheiten in Sicherheit wiegende Reich musste erleben, was als ausgeschlossen galt, nämlich den Einfall einer feindlichen Macht. Die Hyksos, ein asiatisches Mischvolk, sorgten 1674 v. Chr. für das 9/11-Syndrom des alten Ägypten. Ausgestattet mit neuester Waffentechnik wie dem Streitwagen, überrollten sie buchstäblich Ägyptens altertümlich aufgestellte Fußtruppen. Für ein Jahrhundert hielten sie das Land, ehe in der 17. Dynastie die Befreiung begann, die sich bis in die 18. Dynastie, also in das Neue Reich, hinzog. Wie manche schlimme Erfahrung hatte der Einbruch der Hyksos auch eine positive Seite. Das Ereignis beendete die Abschottung des Landes, katapultierte Ägypten als Mitspieler in den Reigen der umliegenden Reiche und führte zu einem wirtschaftlichen und kulturellen Aufstieg. Mit dem frischen Wind griff ein schüchterner Kosmopolitismus Platz. Wenn laut einem erklärenden Text im Luxor-Museum die bedeutendste Kunst Ägyptens aus „kosmopolitischer Zeit“ stammt, ist das mit Blick auf die Erfahrungen aus der Geschichte nicht weiter verwunderlich. Denn Kultur kann sich nicht in abgeschlossenen, womöglich auch noch autoritär regierten Räumen entfalten. Kunst und Kultur brauchen Freiheit des Geistes und Anregungen aus anderen Gedankenwelten.
Aber die Lehre, die die Ägypter aus dem Überfall der Hyksos zogen, der ihnen ihre Verwundbarkeit so brutal vor Augen geführt hatte, war: Wer sich öffnet, sollte sich auch schützen. Man begann, doch mehr auf eine ordentliche Armee als auf die Götter zu vertrauen, und im Neuen Reich wurde erstmals ein stehendes Heer aufgestellt. Mit dem guten Gefühl der Sicherheit durch eine solche Streitmacht konnte man nun drangehen, aus Ägypten einen Global Player zu machen. Dazu gehört selbstverständlich eine repräsentative Hauptstadt. Wie oben bereits berichtet, wählte man dafür Theben und baute als wirtschaftliches, religiöses und politisches Machtzentrum der Metropole den gewaltigen Karnak-Tempel aus. Seine Anlage umfasste neben Kulträumen auch Wirtschafts- und Verwaltungseinheiten, Bibliotheken, Schlachthöfe und Priesterwohnungen. Die umgebenden landwirtschaftlich genutzten Gebiete zahlten Tempelsteuer, die nach dem jeweiligen Stand des befruchtenden Hochwassers berechnet wurde.
Der religiöse Aspekt des Tempels umfasste die Göttertriade Amun-Mut-Chons mit dem Stadt- und Hauptgott Amun-Re. Die ägyptische Religion war zwar polytheistisch, aber in seiner Theologie konnte Echnaton an eine auch in polytheistischen Systemen verbreitete Tendenz anknüpfen, die nach einem starken Führer oder einer Führerin im vielfältigen Götterpantheon verlangte. In Theben hatte diese Rolle Amun inne. Der Stadtgott, der den alten Gott Atum-Re aufgesogen hatte, wurde unversehens zu einer auch politisch leitenden Stimme. Denn die Priester beriefen sich bei allen ihren „Ratschlägen“, die weit in den politischen Bereich reichten, auf die machtvolle Stimme Amuns. Dagegen war naturgemäß schwer anzukommen. Kein Pharao wagte eine Politik gegen den Willen Amuns, sprich: gegen den Willen der Priester Thebens. Der politische Betrieb funktionierte nicht viel anders als in heutigen Theokratien, wo selbst einigermaßen demokratisch legitimierte Politiker schwer gegen den Willen der „Priester“ unter der Führung des obersten Ayatollahs ankommen. Diese Situation löste bei den Königen schon länger Unbehagen aus. Aber erst Amenophis IV. nahm sich ein Herz und versuchte, den Knoten zu durchschlagen. Er proklamierte einen neuen Gott und gründete eine neue Religion! Amenophis, der sich nach dem neuen Gott Aton, den er einführte, Achen-Aton (= Echnaton/der sich für Aton einsetzt) nannte, war einem liberalen Kosmopolitismus verpflichtet, und das vertrug sich überhaupt nicht mit der konservativen, auf Machterhalt ausgerichteten Priesterkaste.
Zunächst versuchte er in Theben selbst das Steuer umzulegen und gründete einen Aton-Tempel als Gegenheiligtum zur Anlage in Karnak. Wir wissen davon, weil Teile dieses Tempels später als Füllmaterial für die riesigen Pylonen des Karnak-Tempels dienten. Aber Echnaton biss sich am hinhaltenden Widerstand die Zähne aus. Daher entschloss er sich, Theben aufzugeben und eine neue Hauptstadt zu gründen. Er nannte sie Achet-Aton (Horizont des Aton). Sie kam in der kurzen Zeit freilich kaum über den Status einer Königsresidenz hinaus und wurde nach Echnatons Tod in Schutt und Asche gelegt. Wenn man heute über das Gelände von Tell el-Amarna wandert, stolpert man gerade noch über einige Grundmauern. Dies ist umso bedauerlicher, weil Echnaton ein außerordentlicher Förderer von Kunst und Architektur war. Seine wunderbaren Paläste waren mit berückenden Fresken ausgemalt, die weitgehend verloren sind. Besser bestellt ist es um die Gräber. Sie sind noch in passablem Zustand, nur die Symbole der neuen Religion wie die Sonne wurden ausgemeißelt.
Die Geschichte von Echnaton hilft uns bei der Beantwortung einer Frage: Geht es so einfach, am grünen Tisch eine neue Religion zu gründen und damit gleich auch noch die politischen Eliten zu stürzen? Im Fall Echnatons ging es jedenfalls nicht! Der erste Monotheismus der Geschichte war ein Flop und überlebte kaum eine Generation. Er war, was man eine Kopfgeburt nennt, eine Konstruktion von oben herab (oder, modern gesagt, top down). So etwas, heißt es immer, überfordere die Menschen. In diesem Fall war es tatsächlich so. Die Menschen waren es gewohnt, über die Priester und eingebettet in geheimnisvolle Rituale Austausch mit den Göttern zu pflegen und so die Antworten Gottes zu erfahren auf alles, was zwickt und zwackt. Ägypten war das Land der Prozessionen, Riten und Feste. Sie verliehen Stabilität und Sicherheit im schwierigen Fluss der Zeit. Die Religion mit den vertrauten Kulten war das Bollwerk des Eigenen gegen die Zumutungen einer unübersichtlichen, global werdenden Multikulti-Welt. Den Priestern, die dieses Bollwerk verwalteten, verzieh man daher auch so manche Machtanmutung.
Das alles hatte Echnaton infrage gestellt. Die Priester waren ausgebootet, ihre Götter abgeschafft. Es gab keine Götterbilder und -statuen mehr, die man sich ins Haus holen konnte, um mit ihnen handgreiflichen Kontakt zu pflegen. Der neue Gott Aton – der Ausdruck stand für die Sonnenscheibe – war demgegenüber abstrakt und abgehoben. Er verbarg sich nicht in Form seines Standbildes geheimnisumwittert im dunklen Sanktuar der Tempel, wo er sich im exklusiven priesterlichen Hokuspokus offenbarte. Nein, Aton war für alle sichtbar. Das war sein demokratischer Aspekt. Freilich behielt er auch seine Meinungen weitgehend für sich, niemand konnte sich so einfach auf ihn berufen. Echnatons Konstruktion führt ein zentrales religionsgeschichtliches Prinzip vor Augen: Je transzendenter und abstrakter ein Gottesbild ausfällt, je deutlicher man die Ambition aufgibt, Gott detailliert beschreiben und seinen Willen ablesen zu können, desto schwieriger wird in aller Regel seine Akzeptanz im Volk. Desto weniger gelingt es auch, politische Ansprüche mit religiösen zu vermischen. Was für Theologen als Fortschritt gilt, ist für viele Politiker eine schlechte Botschaft. Denn es war immer verführerisch, Programme und politische Praxis an die Religion zu koppeln, ein durchsichtiges Spiel, das namentlich bei autoritären Regimen bis heute verfängt.
Die Sache war also zwiespältig. Überliefert sind sowohl Klagelieder über den Verlust des alten Gottes Amun als auch Jubelhymnen auf den neuen Gott Aton. Bereits damals dürfte ein medialer Krieg um die Meinungsführerschaft in Sachen Religion getobt haben. Es gab eine von dieser Modernisierung begeisterte Elite. Für die meisten Menschen indes war die Radikalität des Umsturzes bedrohlich und sie sehnten sich nach der alten Ordnung. Im Zweifel scheint der Mensch doch die Fürsorge durch die Institution zu wählen und nicht die eigene Anstrengung, die eine größere Freiheit von vorgekauten Sinnstiftungen zwangsläufig mit sich bringt.
Dazu kam der Ausfall des rund laufenden Wirtschaftsbetriebs des alten Amun-Tempels, was tiefe Rezessionsfurchen hinterließ. Die alten Eliten waren auch nicht untätig geblieben. Als Echnaton 1334 v. Chr. starb, wurde der möglicherweise sogar mit ihm verwandte Tutanchaton sein Nachfolger. Kaum war er inthronisiert, änderte er seinen Namen auf Tutanchamun und begann die alten Verhältnisse wiederherzustellen. Viel Zeit blieb dem Kindpharao, der im zarten Alter von etwa zehn Jahren den Thron bestieg, nicht, denn er erreichte nicht einmal das zwanzigste Lebensjahr. Man darf sich die Fäden ziehenden Eliten im Hintergrund lebhaft vorstellen. Alles, was an Echnaton erinnerte, wurde ausgemerzt. Ein Bildersturm tobte über das Land.
Auch wenn dieser erste monotheistische Ansatz der Geschichte scheiterte, ist er für Europa doch höchst spannend und bietet Erkenntnisgewinn. Der Polytheismus hatte bereits gezeigt, dass er zu weltläufiger Toleranz tendierte, aber durchaus für ein Machtsystem missbraucht werden konnte. Genau betrachtet war es freilich der jeweilige Hauptgott, an den sich die Macht der Priester klammerte. Was nun die monotheistische Aton-Religion anging, so brachte sie einerseits einen aufklärerischen Liberalisierungsschub gegenüber der theokratischen Priesterherrschaft. Andererseits wurde sie in dem Moment, in dem sie alle anderen Götter als falsche ausmerzte, intolerant. Gegenüber der Abstraktion und Unanschaulichkeit Atons entsprach das polytheistische System einer archaischen Logik der Ambivalenz und der Addition. Es ließen sich für alle Lebenslagen passende göttliche Mächte versammeln, sodass sich jeder im religiösen Bauchladen bedienen konnte. Auch das Christentum wusste später solche kommunikativen Vorteile zu nutzen. Der christliche Gott wurde zu einer Dreiheit entfaltet, die Muttergottes rückte beinahe in den Rang einer Göttin, eine unübersehbare Schar von Heiligen stand bei jedem Problem bereit und zu guter Letzt spendeten auch noch abstrakte Entitäten Trost, wie das kostbare Blut Jesu, sein Herz, die Sieben Schmerzen Marias und vieles andere mehr.
Mit der Abstraktheit des Gottesbildes hing häufig die Bilderlosigkeit einer Religion zusammen. Grundsätzlich macht die Ablehnung des Bildes jeder Religion ziemlich zu schaffen, denn Menschen wollen Gottheiten betrachten und handgreiflich verehren. Es war für das frühe Christentum im Wettbewerb mit dem reichen religiösen Angebot der Spätantike von Vorteil, dass es sich zum Bild von Gott durchringen konnte. Ich werde darauf zurückkommen. Das Judentum und der Islam verboten zwar ein Bild von Gott, das Judentum verfügte aber über ein engmaschiges Netz von Gesetzen und Vorschriften, in dem der Gläubige gut aufgehoben war, und der Islam entwickelte eine faszinierende Ornamentik und Kalligraphie; auch darüber werden wir noch reden. Anders in Ägypten. Die neue Religion dürfte auch deshalb so wenig Resonanz in der Bevölkerung gefunden haben, weil sie keine Abbildungen erlaubte, kein Geheimnis mehr kannte und keine Magie mehr zuließ.