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Der Abschied vom Alten Orient: von den Assyrern zu den Persern

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Durch das Interesse an den altorientalischen Palastbauten sind wir bei den Assyrern gelandet, was Gelegenheit bietet, kurz vom Ende der altorientalischen Zeit zu erzählen. Dieses Ende wurde besiegelt, als die Hethiter um 1600 v. Chr. Babylon eroberten. Wie bei solchen Gelegenheiten üblich entführten sie die Statue des Stadtgottes Marduk, denn auch die Könige der Hethiter verstanden sich als Stellvertreter des Sonnengottes. Die Verstärkung ihrer Legitimation mithilfe des babylonischen Marduk half freilich nicht lange. Die Hethiter saßen in ihrer Hauptstadt Hattuscha (nahe dem heutigen Boğazkale in Zentralanatolien) satte 1200 Kilometer weit von Babylon entfernt, was es schwierig machte, die Metropole langfristig zu sichern. Kassiten und wieder die aufmüpfigen Elamer balgten sich um das Erbe, das sie immerhin 400 Jahre lang mit großem Respekt behandelten. Um 1225 v. Chr. nahm schließlich der assyrische König Tukulti-Ninurta I. die Stadt ein. Die Assyrer tauchten erst am Beginn des 13. Jahrhunderts auf dem Radarschirm der Geschichte auf, obwohl sie da bereits auf nicht weniger als 116 Könige zurückblicken konnten. Das ist mehr, als jede andere Kultur der Zeit zu bieten hatte, blieb aber weitgehend unbemerkt, weil die meisten dieser Könige geduldige Vasallen anderer Reiche gewesen waren. Doch irgendwann beschlossen die Assyrer, aus dem Schatten der langen Geschichte zu treten und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Mit beharrlichem Machtanspruch und einem hohen Maß an Grausamkeit, für das der Alte Orient ohnehin zweifelhafte Berühmtheit erlangte, machten sie sich daran, ein Weltreich zu errichten. Die Grundlagen dafür hatte bereits Schamschi-Adad I. um 1800 v. Chr. mit der Eroberung von Mari geschaffen. Wenig bescheiden übernahm er den alten Titel „König der Gesamtheit“. Um 1400 v. Chr. dann baute Assuruballit I. Assyrien zur führenden Macht in Vorderasien auf.

Mit dem Ausgleich zwischen Hethitern und Ägyptern – nach der Schlacht in Kadesch von 1274 v. Chr. – wuchs die Ambition der Assyrer und fand in der Eroberung Babylons durch Tukulti-Ninurta I. ihren vorläufigen Höhepunkt. Auch der assyrische König ließ als Geste der neuen Herrschaft die Marduk-Statue entführen, die wie ein Wanderpokal durch die Gegend geschleppt wurde. Von Tukulti-Ninurta ist uns ein außergewöhnlicher Altar erhalten geblieben, auf dem der König zweifach, in stehender und kniender Haltung, vor einem leeren Thron dargestellt ist. Der Gott, dem er sich mit solcher Demutsgeste näherte, ließ sich – ein erstaunlicher Grad an Abstraktheit – offenbar nicht darstellen, er hatte nur eine anikonische (griech. bildlose) Präsenz. Der leere Thron wurde zu einem wichtigen Motiv, das in die ägyptische, griechische, römische und schließlich christliche Ikonographie Eingang fand. In der Letzteren symbolisierte er die Wiederkunft Christi (Hetoimasia) oder stand für einen Teil der Trinität (Thron = Vater, Lamm/Kreuz = Sohn, Taube = Hl. Geist).

Schließlich kam dem Aufstieg der Assyrer der Seevölkersturm zugute. Um 1200 schlug ein Haufen von Stämmen unklarer Herkunft eine Schneise der Verwüstung in den Raum um das Mittelmeer. Sie waren bestens organisiert und ausgerüstet mit modernen Eisenwaffen, die den Bronzeausrüstungen der Armeen vor Ort überlegen waren. Erst an den Grenzen Ägyptens konnten die Seevölker aufgehalten werden. Ramses III. ließ die entscheidende Schlacht von 1177 v. Chr. im Tempel von Medinet Habu darstellen. Die Geschehnisse kann man gar nicht hoch genug bewerten. Sie beendeten die Kultur der Bronzezeit, wobei eine Schrift (Linear B) sowie exquisite künstlerische und architektonische Preziosen verloren gingen, und krempelten die Verhältnisse im Vorderen Orient wie im gesamten Mittelmeergebiet grundlegend um. Eric H. Cline hat die Jahreszahl 1177 zum Titel eines schönen Buches gemacht, das die Bedeutung dieses Kulturbruchs würdigt.11

Auch das Hethiterreich, ohnehin durch Hungersnöte und widerstrebende Interessen konkurrierender Clans geschwächt, brach weitgehend zusammen. Seinen Platz nahmen in Teilen Anatoliens bis zur Küste die Phryger (die unter der sagenumwobenen Midas-Dynastie eine Blüte erlebten) und Lyder ein. Herodot gibt als Heimat der Phryger Makedonien an. Noch die Griechen schätzten ihre berühmte Ornamentik. Im Lateinischen gibt es den Ausdruck phrygionius, was so viel wie „mit Goldborte versehen“ bedeutete. Auch wir bewahren den Phrygern in unserem Lehnwort Fries ein Andenken. Ihre Kultur ist nicht zuletzt deshalb so interessant, weil sie eine Mittlerrolle vom Orient in die griechische Kultur erfüllte. Das Reich der Phryger war nach Pierre Amiet „ein reger Umschlagplatz zwischen Ost und West, zu einer Zeit, da die griechische Kunst gerade geboren wurde“.12 Kurz nach 700 v. Chr. ging Phrygien als selbstständige Macht unter und Lydien blieb übrig. Als dann die lydische Hauptstadt Sardes (östlich des türkischen Izmir) 547 durch den Perserkönig Kyros II. zerstört wurde, endete auch dieses Reich. Ob der berühmte lydische König Kroisos die Schlacht überlebte, wissen wir nicht.

Doch zurück zu den Assyrern. Weil an ihnen der Sturm der Seevölker haarscharf vorbeigezogen war, konnten sie relativ mühelos die zerstörten Teile rundum einsammeln. Die Expansion des Assyrischen Reichs erreichte Theben und Memphis in Ägypten. Die dazwischen liegenden kleineren Gebiete, darunter Israel und Judäa, wurden zum Spielball der beiden Großmächte. Der für seine Grausamkeit berüchtigte Assurnasirpal II. – Texte der Zeit beschreiben ihn als einen, der „auf den Nacken seiner Widersacher tritt und all seine Feinde überwältigt“ – kam 883 v. Chr. auf den Thron. Er verlegte die Residenz von Assur nach Kalhu/Nimrud, das er zu einem Verwaltungszentrum mit einem mächtigen, mit reliefierten Steinplatten geschmückten Palast (Nord-West-Palast) ausbaute. Für die Einweihungsfeier ließ er sich nicht lumpen und bewirtete 70 000 Gäste zehn Tage lang auf Staatskosten.

Die Geschichte Assyriens brandete hin und her und endete schließlich um 610 v. Chr. durch die Babylonier und Meder unter Nabopolassar. Der ehemalige Feldherr eines assyrischen Königs war 626 auf den Thron gekommen und wurde zum Gründer des Neubabylonischen Reichs. Er nannte sich „König von Sumer und Akkad“ und beschwor damit eine bereits damals ferne, lichte Vergangenheit. Für eine neubabylonische Restauration der alten Größe grub man in den Bibliotheken Hymnen und Ritualanweisungen aus, die bereits ein ehrwürdiges Alter von tausend Jahren aufwiesen. Das ist so, als würden heute Politiker die „goldenen Zeiten“ der Ottonen beschwören, noch ein gutes Stück vor der Scholastik des Hochmittelalters. Die lange Zeit der Assyrer wurde als kulturlos denunziert, Babylon sollte in altem Geist wiedererstehen. Und in der Tat brachte es noch einmal klingende Namen hervor, wie jenen von Nebukadnezar II., der von 605 bis 562 regierte, zu einer Zeit, als in der griechischen Kolonie Milet die ersten Philosophen das Weltbild revolutionierten. Nebukadnezar war ein ambitionierter Bauherr. In seinem Babylon – für den griechischen Historiker Herodot so prächtig „wie keine andere Stadt der Welt“ – entstanden möglicherweise an die fünfzig Tempelbauten. Dazu kamen ein gigantischer Palast als Residenz- und Verwaltungszentrum sowie eine neue Prozessionsstraße mit einem der Ischtar geweihten Tor. Die Wände des Straßenzugs und das Tor waren zuletzt mit einem prächtigen Fries aus blauen Glasurziegeln geschmückt. Darunter fand sich prominent das Löwenmotiv, das Symbol der Göttin. Den erhebenden Moment, durch dieses Tor zu schreiten, kann man sich noch heute gönnen. Man muss dazu nicht einmal in den Irak reisen, es genügt ein Abstecher nach Berlin in das dortige Pergamonmuseum.

Im Zentrum Babylons ragte neben dem Heiligtum Marduks die siebenstöckige Zikkurat Etemenanki (Haus der Fundamente von Himmel und Erde) mit einer Grundfläche von 90 mal 90 Metern und einer ebensolchen Höhe in den Himmel. Unter den Baujuwelen befanden sich auch die legendären, bis heute unentdeckten, der Semiramis (vermutlich Schammuramat, die für ihren noch minderjährigen Sohn Adad-nirari III. um 806 v. Chr. vier Jahre lang erfolgreich die Herrschaft ausübte) zugeschriebenen Hängenden Gärten. In Wirklichkeit dürften auch sie ein Werk Nebukadnezars gewesen sein. Babylon war im Alten Orient ein Symbol für den Glanz der Stadtkultur und der religiösen Identität schlechthin. In einer Bauinschrift heißt es: „Marduk, Herr, Weisester der Götter, stolzer Fürst! […] Herrlicher als Deine Stadt Babylon werde ich unter allen Orten keine Stadt ausgestalten.“13 Gerade deshalb bildete Babylon die Folie für eine erste literarisch fixierte Stadtkritik, eine Kritik an den Intellektuellen, der Aufklärung und der Moderne: Die Stadt wird im Alten Testament als „Mutter der Huren“14 beschimpft.


Löwe als Symbol für Ischtar, Istanbul Arkeoloji Müzesi, Istanbul

Nebukadnezar war es auch, der 597 und 587 Jerusalem eroberte, es zerstörte und die jüdische Oberschicht ins Exil nach Babylon zwang, was nun gleich berichtet wird. Im Jahr 539 endete das Neubabylonische Reich. Die Perser unter Kyros II. standen in der Stadt. Der letzte König Babylons, Nabonid, hatte die Priester gegen sich aufgebracht, und die hatten Kyros zu Hilfe gerufen, der sich nicht zweimal bitten ließ. Damit sind die Perser auf dem Platz der Weltgeschichte angekommen, auf dem wir sie brauchen. Wir werden sie allerdings aus der Perspektive der Griechen in den Blick nehmen, denn wir wollen nun unserem Europa doch ein gewaltiges Stück näherrücken.


König David auf einem Mosaik aus Gaza (508 n. Chr.), Israel Muesum, Jerusalem

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