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Himmel – Hölle – Unterwelt

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Bevor wir uns von Ägypten aus endgültig Richtung Jerusalem auf den Weg machen, sei noch auf ein anderes Erbe aus dem Orient verwiesen: die gruseligen Geschichten von Unterwelt und Höllenqual. Sie spielten später im Christentum mit so feinfühligen Unterscheidungen wie der zwischen Fegefeuer und verzehrendem Höllenfeuer eine erhebliche Rolle.

Die Griechen hatten zu diesem Thema weniger zu bieten, denn sie bezogen die Unsterblichkeit nur auf Seele und Geist, nicht auf den Körper. Es war geradewegs so, dass ihrer Vorstellung nach erst das Absterben des Körpers die Befreiung der Seele ermöglichte. Was mit der Seele dann geschah, war weniger klar. Erst verstrickte sie sich in einen Zyklus ständiger Wiedergeburten, fiel also immer wieder in einen erdigen Körper, bis es zu einer „Erlösung“ aus diesem Ringelspiel zwischen Chthonischem und Geistigem kam, indem sie sich in einer diffusen Weltseele verlor, in den Himmel aufstieg oder auch eine Runde durch die Unterwelt machte. Letzteres propagierten vor allem die am Zyklus der Natur orientierten Mysterienkulte. Die Vorstellungen von der Himmelfahrt der Seele dürften im 5. Jahrhundert v. Chr. aus iranischen Quellen in die griechische Welt eingesickert sein. Die Iraner kannten einen stufenweisen Aufstieg der Seele nach dem Tod über Mond und Sonne zum absoluten Lichtreich Ahura Mazdas (weiser Herr), des Licht- und Schöpfergottes und Ordnungsstifters des Zoroastrismus.

Die Ägypter dagegen hielten an einer Rolle des Körpers bei der Neugeburt fest. Daraus schlossen sie konsequent, dass man ihn für das Leben danach präparieren und ihm alles mitgeben musste, was ein Körper so braucht, und das – so die Vermutung – konnte nicht viel anderes sein als im diesseitigen Leben. Daher gab es detaillierte Rituale der Vorbereitung des Körpers für das Jenseits samt einer ausgefeilten Technik der Mumifizierung. Nähere Details erspare ich Ihnen hier aus Geschmacksgründen. Angenehmer zu betrachten ist die Ausstattung der Gräber, die natürlich von der sozialen Stellung des Beigesetzten abhing. In Beni Hassan ließ der Gaufürst Chnumhotep in seinem Felsengrab um 1880 v. Chr. die Ankunft einer Karawane aus Asien festhalten, die ihm Augenschminke lieferte. Auch im Jenseits machte mann offenbar keine Kompromisse bei der Schönheit. Und vertraute im Übrigen voll und ganz darauf, dass der Körper makellos zur Neugeburt gelangte. Jenen Unglücklichen, bei deren Tod beispielsweise eines der vielen Nilkrokodile im Spiel war, blieb das jenseitige Leben freilich versagt. Zur Neugeburt benötigte man einen intakten Körper. Diese Vorbedingung schloss die Türe auf zu jeder Menge von phantasiereichen Bedrohungsszenarien für den Körper und damit für die Erlösung.

Für die Neugeburt war bei den Ägyptern Osiris zuständig. Osiris hatte im Pantheon zwar keine solch herausragende Stellung inne wie der Sonnengott, aber im Mittleren Reich verbreitete sich vom „Osiris-Wallfahrtsort“ Abydos aus ein mächtiger Kult. Osiris war kein ausdrücklicher Vegetationsgott. Aber da gab es diese Geschichte, nach der er von seinem Bruder Seth getötet und, als größter anzunehmender Unfall, zerstückelt wurde. Doch seine Gemahlin Isis konnte den Körper in anstrengender Puzzlearbeit wieder zusammensetzen. Die Sache scheint ziemlich gut gelungen zu sein, denn er vermochte posthum den Horus zu zeugen, der damit ein „Gottessohn“ war. Der Mythos fand weite Verbreitung und mit ihm der Gedanke des Gottessohns.

Mit dem Interesse an der Neugeburt wuchs auch die Neugierde darauf, was sich auf der Nachtseite der Sonne tat, im Niemandsland zwischen Tod und Wiedergeburt. Die Fahrt der Sonne auf ihrer Barke durch die Unterwelt war ja nichts weniger als das Vorbild für die Fahrt des Verstorbenen zur Neugeburt am Morgen. In den gigantischen Königsgräbern war tief in den langen Gängen die Fahrt der Sonne bildlich dargestellt und diese Fahrt war deutlich ungemütlicher als die sichtbare Reise über den Tageshimmel. Die Sonne hatte nämlich bis zur Wiedergeburt am Morgen einen komplizierten Hindernisparcours zu bewältigen. Weil die Sache so heikel war, gab es spezielle Ratgeber, die sogenannten Unterweltsbücher. Diese hilfreichen Gebrauchsanweisungen für die hürdenreiche Fahrt waren prall gefüllt mit phantastischen Geschichten und Warnhinweisen auf die destruktiven Kräfte, die sich dem Verstorbenen entgegenstellten. Das verzehrende Feuer ist deren schrecklichste Variante, weil es den Körper auslöscht und damit seine Neugeburt unmöglich macht. Man begegnet Feuerseen, feurigen Messern, Feuer speienden Schlangen, siedenden Höllenkesseln, in denen Körper schmorten. Hier erfand man das Repertoire des Bösen, mit dem später die Hölle möbliert wurde. Es bahnte sich den Weg bis in das christliche Mittelalter und darüber hinaus und diente nicht zuletzt dazu, den Gläubigen möglichst großen Schrecken vor der ewigen Verdammung einzujagen und sie auf diese Weise gefügig zu halten. Während der Islam wenig mit der Hölle anfangen konnte, dafür aber das Paradies phantasievoll beschrieb, erfand man im Christentum die Erbsünde. Damit waren die Menschen schon schuldig, bevor sie überhaupt zu ersten Handlungen fähig waren.

Wir haben oben ausführlich die Vorstellung von der Ambivalenz der Naturmächte betrachtet. Wenn bei der Bestrafung von Menschen Feuer und Wasser eine große Rolle spielten, trat deren destruktive Seite in den Vordergrund. Der eigentliche Sinn der Zerstörung war aber Reinigung und Erneuerung. Diese Idee fand in nahezu allen Religionen in irgendeiner Form einen Niederschlag: Flutstrafen, Taufriten, Feuerstrafen, Fegefeuer, österliches Feuer, sie alle dienten der Herstellung der Reinheit, die wiederum eine Voraussetzung war, um in den Himmel zu gelangen. Mit Feuer und Wasser ließ sich auch der „Körper“ einer Gesellschaft reinigen, etwa von Ketzern, Hexen und allen „Unreinen“, seien es Homosexuelle, Juden oder andere „Verschmutzer“ des eigenen Volkskörpers.

Dass diese Mechanismen bis heute funktionieren, ist unübersehbar. Allerdings fällt auf, dass sich die Rollen des involvierten Personals geändert haben. Kämpften früher Aufklärer und säkulare Politiker gegen Gruselgeschichten an, die von kirchlichen, monarchischen oder diktatorischen Institutionen verwaltet wurden, laufen heute viele Politiker wie Hassprediger des Mittelalters herum. Sie sind diejenigen, die den Menschen Angst und Schrecken einjagen vor vermeintlich vermummten Antichristen und bevorstehenden Invasionen ausländischer Halsabschneider, während die heutigen Geistlichen in aller Regel Versöhnung, Toleranz, Menschenliebe und Hilfe für die Verfolgten und Ausgegrenzten einmahnen.

Die damals erfundenen dramatischen Geschichten waren jedenfalls ein Fest für die Künstler. Die unterirdischen Königsgräber mit ihren riesigen Malflächen eigneten sich bestens zur bildlichen Ausgestaltung. Genau dort, in der Unterwelt, auf der Nachtseite des Lebens, spielten sich die Szenen ja auch ab. Wie oben bereits gesagt, sind die Malereien wegen der Komplexität der Geschichten schwierig zu entziffern. Es geht einem bei der Betrachtung wie mit einer fremden Sprache, von der man bloß ein paar Wörter und Wendungen kennt. Man kann die Himmelsgöttin Nut entziffern, die die Sonne am Abend mit dem Mund in ihren langen Körper aufnimmt und am Morgen aus dem Schoß neu gebärt. Meist ist dabei auch das Urwasser in Form von blauen Wellenlinien abgebildet. Ebenso erkennt man die drei wichtigen Göttergestalten für den Kult des Todes: Osiris, den schakalköpfigen Anubis (der Schakal macht sich in der Wüste an Kadavern zu schaffen), der für die Riten bei der Balsamierung des Körpers zuständig war, und die kuhgestaltige Hathor, die (wie die Wasserbüffel) aus dem Nil auftauchte und (neben Amun selbst) für Regeneration und neues Leben sorgte. Dies zeigt die Sonnenscheibe zwischen den Kuhhörnern, die sie zu einer Tochter des Sonnengottes machte. Sie erhielt später Konkurrenz durch die mit den Titeln „Gottesmutter“ und „Jungfrau“ gekennzeichnete Isis, die häufig bis zur Ununterscheidbarkeit als Hathor auftrat. Beide Göttinnen waren im gesamten Mittelmeerraum außerordentlich populär. Es blitzen also da und dort bekannte Bilder auf; die gesamte bildliche Erzählung zu entziffern, ist freilich ein ambitioniertes Unternehmen.

Die Herkunft Europas

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