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Jahwes Aufstieg in den Himmel

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Auch Jahwe konnte zufrieden sein, denn nun sorgte man im wahrsten Sinn des Wortes für seine Himmelfahrt, seinen Aufstieg zu einem einzigen weltumspannenden himmlischen Gott, der sich weit über einen bloßen Nationalgott erhob. Er verdankte dies einer assyrischen Armee, die kurz vor Jerusalem in den Angriffsmodus schaltete, nur um dann kurzfristig wieder alles abzublasen. Bei Jesaja sitzt Jahwe auf dem Thron des Sonnengottes und wird durch ein dreifaches „heilig – heilig – heilig“ in den Himmel gehoben. Davon zeugt noch heute ein Gebet bei der katholischen Messfeier und dem evangelischen Abendmahl, nämlich das Sanctus: „Heilig, heilig, heilig, Gott, Herr aller Mächte und Gewalten. Erfüllt sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit. […]“. Dieser über 2500 Jahre alte Text – die christliche Liturgie ist ein Schatzkästchen uralter schöner Hymnen und Texte – ist nichts Geringeres als ein Protokoll der Solarisierung des chthonischen Gottes Jahwe.

Bemerkenswert ist auch, dass bei Jesaja über der Szene Seraphim postiert sind, die als geflügelte Mischwesen wie die Cherubim eine Kobrakonnotation trugen. In Ägypten begegnen Kobras (Uräusschlangen) als apotropäische, das heißt das Unheil abwehrende Wächter an allen möglichen Orten, sogar auf dem Kopfschmuck der Pharaonen. Diese Schutzgeister (denen auf ihrem Weg zum christlichen Engel bald Flügel wuchsen) also stimmten den auf Jahwe gemünzten Gesang an: qadosch – qadosch – qadosch. Das hebräische Wort, das wie der Zischlaut einer Kobra daherkommt, bedeutet eben „heilig – heilig – heilig“, und es meint: abgeschieden, abgesondert vom Irdischen. Die Botschaft dieses zischenden Gesangs hob Jahwe in den Himmel und machte ihn damit zu einem transzendenten Gott.

Das Ganze ist die schöne Geschichte, wie ein chthonischer Gott, der mit Wetter, Vulkan und Wasser zu tun hatte, zu einem Himmelsgott wurde und dabei zunehmend die Beziehung zur Natur und zur Erde verlor. Dass dies bei Jahwe so energisch geschah, hatte sicherlich mit den in Jerusalem kursierenden assyrischen Kulten zu tun. Es gab Tempelprostitution, vielleicht sogar Kinderopfer. Natürlich waren die Jahwe-Propheten bestrebt, den eigenen Gott aus diesen Verstrickungen mit Fruchtbarkeitskulten zu lösen. Das gelang, indem man ihn einerseits möglichst in den Sonnenkult einband und auf diese Weise transzendierte und andererseits aus ihm einen nationalen Geschichtsgott machte, der sich (zunächst) nur um das Wohlergehen seines Volkes kümmerte. Weil damit die Theologie rund um Jahwe buchstäblich ihre „Bodenhaftung“ verlor, lässt sich der Nähe zu den assyrischen Kultpraktiken vielleicht sogar etwas Positives abgewinnen. Othmar Keel etwa sah im Judentum noch „eine Sensibilität für die Geheimnisse, die Schönheit und Kraft der Schöpfung bewahrt, die dem Christentum bei seinem Weiterschreiten weg von der sichtbaren Welt verloren gegangen sind“.12 In der Tat hatte das Christentum eine offensichtliche Abneigung gegen die chthonischen Altlasten. Es dominierte ein weltflüchtiger Aspekt, der die Welt abwertete und den Blick praktisch ausschließlich nach oben richtete. Das utopische Christentum des Neuen Testaments feierte dann die Befreiung aus dem alten Geschick (moira) – wohl eine fortgeschrittene Form der Stetigkeit des Naturzyklus. Freiheit war der triumphierende Begriff der neutestamentlichen Schriften und diese Freiheit richtete sich auch gegen die alten Gehalte chthonischer Zwangsläufigkeiten. Dieses Angebot trug später zweifellos zur Attraktivität des jungen Christentums bei.

Als die assyrische Ära um 610 v. Chr. zu einem Ende gekommen war, purifizierten nationalistische Kreise postwendend die Religion von allem, was nur irgendwie mit fremden Kulten verbunden wurde. Theologen sprechen von einem großen Reformprojekt und einer neuen Theologie, die eine nationalistische und exklusive Bindung Jahwes an sein Volk betrieb. Die Schlüsselstellen dieser Theologie (Ex 13,1-16; Dtn 6,4-9; 11,13-21; Num 15,37-41) tragen heute noch orthodoxe Juden in kleinen Behältern (Tefillin) bei Gebetshandlungen auf der Stirn und an der Hand. Christoph Levin formuliert einen Satz, der nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat (und sich auch auf manche Politiker anwenden lässt): „Indem solche Propheten Unheil über die Feinde voraussagen, verkünden sie Heil für das eigene Volk.“13

Doch die Freude über das Ende des Assyrischen Reichs währte nicht lange. An seine Stelle trat das Neubabylonische Reich und natürlich passte das kleine schwache Juda auch in dessen Beuteschema. Die Sache wiederholte sich, Propheten – diesmal Ezechiel und Jeremia – warnten, Nationalisten hämmerten sich auf die mit dem Stolz von 701 geschwellte Brust. Nur Jahwe hatte keine Lust, wieder den vermeintlichen Retter zu spielen. Es genügte vorerst ein Handstreich des Königs Nebukadnezar, der 597 v. Chr. die führende Schicht Jerusalems nach Babylon deportierte. 587 dann wurde Jerusalem samt Tempel dem Erdboden gleichgemacht und abermals eine Gruppe ins Exil gezwungen und vertrieben. Viele von ihnen gingen nach Ägypten, dessen Kultur sie gut kannten und wo sie ein ziemlich freies Leben führen konnten. Auf der Insel Elephantine bei Assuan baute die jüdische Gemeinde – entgegen der Tora, die nur einen einzigen Tempel in Jerusalem zulässt – einen Jahwe-Tempel (der 410 v. Chr. zerstört wurde), in dem ziemlich sicher neben Jahwe noch andere Gottheiten verehrt wurden.

Die Exilanten in Ägypten legten den Grundstein für die spätere Begegnung des Judentums mit der griechischen Kultur, deren Glanzpunkt die Übersetzung der alttestamentarischen Schriften in die Weltsprache Griechisch werden sollte. Als die Römer im Jahr 70 n. Chr. den Tempel zerstörten, gab es demnach zwei vorbereitete Fluchtgebiete der Juden: Im Osten pflegten die Aramäisch und Hebräisch sprechenden Juden die talmudische Tradition, während die griechischsprachigen Juden im Westen dichter an den alttestamentarischen Schriften selbst dran waren. Dieser Unterschied hat in der einschlägigen Wissenschaft eine Diskussion über zwei Diaspora-Erfahrungen ausgelöst.14

Zurück zu den Deportationen durch die Babylonier. Die Reaktionen auf diese Katastrophe reichten von der Verfluchung Babylons bis hin zu Klagen über das Versagen Jahwes, dem man die Schuld für die Misere gab: „Du schlugst uns in die Flucht vor dem Gegner, und unsere Hasser holten sich die Beute.“15 Bei den Zurückgebliebenen mischten sich alle möglichen (auch babylonischen) religiösen und magischen Praktiken mit den Riten des Jahwe-Kults. Ähnliches geschah bei den Exilanten, die in den überlegenen Kulturen relativ unbehelligt lebten. In Babylon begannen sie, den offenbar stärkeren Gott Marduk, der Jahwe besiegt hatte, zu verehren. Umgekehrt erlaubten die Babylonier (sie waren als Polytheisten ja tolerant) die Verehrung Jahwes, der das einigende Band vieler Judäer im Exil blieb. Auch wenn das Südreich Juda aufgehört hatte zu existieren, hatte sein Volk überlebt und besaß in der Jahwe-Religion auf der Basis der Tora sein Identität stiftendes Zentrum. Im Exil ersetzten religiöse Schulen, die Synagogen, den verlorenen Tempel. Sie ermöglichten eine einfache Kultpraxis, bei der die Tora-Lehrer den Ton angaben. Die Tora (hebr. Weisung) umfasst die fünf Bücher Mose (die Griechen nannten sie Pentateuch). Sie wurde zum Bindeglied und zum Symbol der Sicherheit in der Ausgesetztheit des Exils. Eine auf Pergament von Hand geschriebene Tora in Rollenform, aus der melodisch rezitiert wird, ist bis heute ein zentrales Element beim jüdischen Gottesdienst in der Synagoge.

Dort, wo man gegen das Fremde die Reihen schloss, tat man das, indem man die Gesetze verschärfte und engmaschig formulierte. Die Gesetze waren ein Grenzzaun und zugleich ein bergender Kosmos, der die eigene Identität sicherte und dem Einzelnen Heimat und Halt gewährte. Für viele Menschen ist ein Gesetzeswerk, das für alle Lebenslagen die passende Vorschrift liefert, eine praktische Hängematte, um gut durch das Leben zu kommen. Es entstand so etwas wie ein „portables Vaterland“ in Gestalt des Talmuds. Der Talmud (dessen abschließende Verschriftlichung erst zwischen 500 und 800 erfolgt sein dürfte) besteht aus der Mischna (dem von Gott am Sinai geoffenbarten Teil der Tora) und der Gemara, die Kommentare zur Mischna enthält. Das Judentum wurde zu einer reinen Buchreligion, die Bilder und Statuen und sogar den Tempel hinter sich ließ. Dieser Schachzug, vielleicht aus der Erfahrung der häufigen Vertreibungen geboren, machte es zu einer ortsunabhängigen Religion. Bilder kann man nur schwer, Tempel gar nicht transportieren, wohl aber Bücher und Gesetzeskodizes. Viele Historiker sehen in der Exilzeit und dem damit verbundenen Übergang vom Opferkult zu einer „schriftgestützten Form der Religion des antiken Israel und Juda, die diese auf die Tora und den Glauben an nur einen Gott verpflichtet“, den Beginn des eigentlichen Judentums. Konrad Schmid und Jens Schröter bezeichnen das Judentum deshalb als eine „sekundäre Religion“, die sich „aus der ‚primären Religion‘ des antiken Israel und Juda unter den Bedingungen der Diasporaexistenz und unter babylonischen, persischen und hellenistischen Einflüssen entwickelt hat“.16 Die hohen intellektuellen Ansprüche, die jetzt an die Texte angelegt wurden, haben viele babylonische Spuren im Alten Testament hinterlassen.

Die Exodus-Geschichte könnte man demnach aus späterer Rückprojektion auch lesen als einen Auszug aus dem Bilderkult und aus der Schrift Ägyptens. Diese hielt man nämlich für eine Bilderschrift, obwohl das für die Hieroglyphen nicht im strengen Sinn gilt, weil die Zeichen auch einen lautlichen Anteil hatten (Tafel VII). Umgekehrt sahen damals manche in der Buchstabenschrift ein Instrument der Bilderfeinde.

Schließlich zerfiel auch das Neubabylonische Reich und 539 v. Chr. zog der Perserkönig Kyros als „von Gott gesandter König“ unter Jubel in Babylon ein. Der neue Herrscher schickte die Juden nach Hause und ließ sie ihre Heimat wieder aufbauen, die dann aber als Provinz zum Reich gehörte. Die meisten von ihnen nahmen das Angebot an. Diejenigen, die blieben, blieben lange. Noch heute gibt es im Iran jüdische Gemeinden, und es geht ihnen, gemessen an der martialischen antijüdischen Propaganda der politischen Führung, gar nicht einmal schlecht.

Mit dem Ende des Exils kam eine neue Generation von Propheten zum Zug, die stark eschatologisch ausgerichtet waren: Der erste war gegen Ende des Exils ein anonymer Prophet, genannt Deuterojesaja (griech. deú-teros/zweiter), weil er vielleicht Schüler des Jesaja war. Der Deuterojesaja universalisierte den Jahwe-Kult. Jahwe sollte ein Gott nicht nur eines Volkes sein, sondern ein universaler Gott, ein Kyrios (griech. Herr) und Messias (hebr. Gesalbter; griech. Christos). Der Titel Messias war ursprünglich ein Königstitel, der auf einen zukünftigen Messias, der Gottes Auftrag ausführen sollte, projiziert wurde. Außerdem wurde Jahwe jetzt zum Schöpfer des Himmels und der Erde. Wenn man dafür auf das Vorbild des Marduk im Enuma Elisch als Erschaffer von Himmel und Erde verweist, liegt man vermutlich nicht falsch. In der Exilzeit wurde das Wort „erschaffen“ (bara’) eingeführt, das – eine originelle Besonderheit des Hebräischen – exklusiv das Schaffen Gottes und nicht das eines Menschen benennt. Kam das Motiv des Erschaffens der Welt also doch tief aus dem Orient? Zudem wurde Jahwe durch den Terminus Gott (Elohim) ersetzt, weil schon der Anschein eines Eigennamens vermieden werden musste. Trotz dieser Bestärkung der Alleinstellung blieb der Monotheismus des jüdischen Gottes nie über jeden Zweifel erhaben. Peter Schäfer hat jüngst auf die Gleichsetzung von Weisheit (sophia) und Tora in Texten des Alten Testaments aufmerksam gemacht und darauf, dass Gott bei der Schöpfung in die Tora schaute wie in einen Bauplan.17 Das ist ein spektakulärer Hinweis, handelt es sich doch praktisch um die Übernahme eines Elements aus Platons Philosophie, nämlich des Motivs des Demiurgen, der sich beim Weltumbau an einem vorgegebenen Muster orientiert. Ganz allgemein unterstreicht die Forschung vor allem mit Blick auf das hellenistische Judentum, dass sein Gott nicht beziehungslos gedacht wurde, dass man also hinter einen vermeintlich strengen Monotheismus doch ein kleines Fragezeichen setzen muss.

So langsam haben wir nun den jüdischen Gott vor uns, den jene meinen, die von der jüdisch-christlichen Tradition Europas sprechen. Einmal abgesehen von der Kleinigkeit, dass von Europa noch weit und breit nichts zu sehen ist, war es ein langer Weg, bis alles, was der Orient an religiösen Vorstellungen bereithielt, in diese Geschichte möglichst nahtlos eingepasst war. Und dennoch fehlte immer noch etwas besonders Ambivalentes: Himmel und Hölle. Die Zutaten haben wir bereits in Ägypten kennengelernt, nun brauchen wir sie für die Geschichte des Alten Testaments.

Die Herkunft Europas

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