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König David und der Gott Jahwe
ОглавлениеDie Entstehungsgeschichte Jahwes führt in die Untiefen sich historisch kaum lichtender Konstellationen. Namen wie Moses und David tauchen auf, aber wir wissen nicht, ob es die beiden überhaupt gegeben hat. Der Name Moses kommt in einem der vielen fiktiven Berichte über die wandernden Nomaden aus dem Süden ins Spiel, die Jahwe in ihrem Gepäck nach Jerusalem brachten. Moses soll israelitische Gruppen aus ägyptischer Fremdherrschaft befreit haben. Die Geschichte könnte immerhin einen historischen Kern haben. Vielleicht gingen Anhänger Echnatons in die Emigration, nachdem die neue monotheistische Religion einer damnatio memoriae, einer Auslöschung der Erinnerung, zum Opfer gefallen war. Diesem Auszug in ein Exil, wohin auch immer, könnte man dann einen Namen gegeben haben: Moses! Das wird von vielen Historikern so gesehen. Einer der Ersten, der darüber schrieb, war freilich kein Historiker, sondern der Erfinder der Psychoanalyse, Sigmund Freud. Demnach wäre Echnaton eine Figur der Geschichte, aber nicht der Erinnerung, Moses hingegen eine Figur der Erinnerung, aber nicht der Geschichte. Moses wäre ein Name, der eine kollektive Erinnerung an einen theatralisch inszenierten Auszug (Exodus) aus Knechtschaft und Unterdrückung zusammenfasst. Und was würde sich besser als Gründungs- und Stiftungserzählung eignen als eine solche Geschichte? Noch der von Utopien einer besseren Welt träumende Ernst Bloch war von dieser schönen Metaphorik fasziniert. Der atheistische Marxist wünschte sich einen Exodus-Gott als Symbol für den Auszug aus einer ungerechten Ausbeuter-Gesellschaft samt Erlösung in einer diesseitigen idealen Welt. Das wahre Christentum müsse daher ein atheistisches sein, meinte er, weil nur in einem solchen echte Befreiung (im Diesseits!) stattfinden könne. Die Vertreter der Theologie der Befreiung in Südamerika dachten ähnlich, weshalb die Konflikte mit der römischen Amtskirche wenig überraschen.
In die Geschichte um Moses verwoben sich viele andere. Neben der Exodus-Geschichte etwa die rührselige Story vom im Schilfkörbchen ausgesetzten Knaben. Das ist alter Stoff. Er stammt von Sargon, dem sagenumwobenen König von Akkad um 2340. Seine nomadische Herkunft scheint dem Aufsteiger auf den Herrscherthron peinlich gewesen zu sein. Daher brachte er die Legende in Umlauf, er sei der Flut ausgesetzt und durch göttliche Bestimmung errettet worden. Wir sollten jedenfalls bei diesen Geschichten nicht auf historische Plausibilitäten achten. Bemühungen, jedes verwitterte Hölzchen auf dem Berg Ararat umzudrehen und zu mutmaßen, ob es nicht vielleicht von der Arche Noah stammt, sind ziemlicher Unfug. Es geht hier nicht um historische Fakten, es geht um die Konstruktion von Geschichten, die wiederum andere Geschichten erzeugten, die sich letztlich zu einer identifizierbaren Kulturerzählung mit einigermaßen schlüssiger innerer Logik verdichteten.
Auch die Begegnung des Moses mit Jahwe ist eine undurchsichtige Geschichte. Moses lernte den Gott eigentlich am Sinai kennen. Erstaunlich daran ist, dass Jahwe über unwegsames Gebirge aus dem Süden nach Jerusalem kam und nicht die übliche Route der Handelskarawanen entlang des Mittelmeers nahm. Vielleicht hat das mit dem Charakter Jahwes als Berggott zu tun, wie ich gleich berichten werde.
Ein bisschen besser als mit Moses geht es den Historikerinnen mit König David. Immerhin ist auf einer Stele aus dem 9. Jahrhundert v. Chr. ein „Haus David“ (Bait David) bezeugt. David wurde König von Juda im Süden und nach dem Tode Sauls 990 auch von Israel im Norden. Der Überlieferung nach tat er genau das, was alle Herrscher dieser Zeit taten. Er versuchte, sein Herrschaftsgebiet zu erweitern, verleibte sich möglicherweise einige kanaanäische Gebiete ein und presste Nachbarn Tribut ab. Ob das ausreicht, um von einem „Großreich“ von Akaba bis zum Euphrat zu sprechen, ist doch deutlich zu bezweifeln. Zwar berichtet die Bibel aufschneiderisch von Krethi und Plethi in der Leibwache Davids,3 womit Kreter und Philister gemeint sind, aber das könnte auch eine spätere Mythenproduktion sein. Eigentlich ist da so ziemlich alles unklar, und die Historiker und Theologen gehen denn auch wenig zimperlich mit der großen Figur um. Der Alttestamentler Othmar Keel nennt David einen „Warlord“ eines Kleinviehzüchterclans.4 Simon Sebag Montefiore beschreibt ihn noch drastischer: „Der Schöpfer des heiligen Jerusalem war ein Poet, Eroberer, Mörder, Ehebrecher; […].“5
Jedenfalls scheint David kein Verächter eines guten Lebens gewesen zu sein. Er soll in Jerusalem einen mit Zedernholz gedeckten Palast errichtet und ein luxuriöses höfisches Leben im Sinne der altorientalischen Herrscher geführt haben. Zugleich mit ihm wird der Gott Jahwe in Jerusalem greifbar. Das Tetragramm, also die vier im Hebräischen geschriebenen Konsonanten JHWH, stand zuerst für einen Eigennamen. Zum einzigen Gott geworden, vermied man in Widerspruch zu Ex 3,15 den Namen und nannten ihn Herr (adonai, der griechische kyrios) oder Gott (da El, was eigentlich Gott bedeutet, auch der Name eines Vatergottes im kanaanäischen Pantheon war, setzte man El in den Plural und sprach von Elohim). Das Verbot des Namens hing mit der Einzigstellung des Gottes zusammen und sollte ihn aus dem polytheistischen Umfeld herausheben.
Die Erklärungsversuche der Form JHWH sind uferlos und äußerst ambitioniert. Man dachte an lautmalerische Relikte, die sich zum Beispiel auf Blitz und Donner beziehen, oder suchte den Ursprung des Tetragramms in verschiedenen Verben wie „preisen“ oder „wirken“. Othmar Keel leitet JHWH – und er trifft sich dabei mit vielen anderen – im Sinne einer Wettergott-Charakteristik von hawah ab: es weht. Psalm 29 ist ein eindrucksvoller Hymnus einer vom Wettergott auf Jahwe übertragenen Wettercharakteristik: „Der Gott der Herrlichkeit donnert, der Herr über gewaltige Wasser. […] Die Stimme des Herrn zerschmettert Zedern […]. Die Stimme des Herrn sprüht Feuerflammen.“6 Jahwe, so die von griechischen Texten nahegelegte Vokalisierung, war ein Sturmgott, Vulkandämon („Er berührt die Berge, und sie rauchen“)7 und Kriegsgott. Eine ausdrückliche Fruchtbarkeitskonnotation besaß er nicht, obwohl bei einem Wettergott die Fruchtbarkeit zwangsläufig nicht weit ist. Sein Ursprungsgebiet waren die nordwestlichen Bergregionen Arabiens. Die Verbindung zu Vulkanen und zum Wasser markiert ihn als chthonischen Gott. Wie Hadad-Baal bändigt auch Jahwe die Chaosmacht des Wassers und macht aus Schadensmächten Heil. Das erinnert an den neutestamentlichen Christus, der auf dem See Genezareth dem Sturmwind Einhalt gebot. Für Othmar Keel ist die Erzählung vom Ordnung schaffenden Gott ein zeitloses Muster, das er am Beispiel der Geschichte von der Flucht aus Ägypten festmacht: „Die Errettung am Schilfmeer wird zu einem Sieg über das Chaosungeheuer, das getötet, geteilt, gespalten und zerstückelt wird. […] Als Teil des zeitlosen Kampfes Jahwes gegen das Chaos ist das Geschehen zeitlos aktuell.“8
Bei der Beschreibung dieses Gottes lassen sich die Bruchstücke aus dem gesamten Alten Orient zusammentragen. Jahwe hatte Züge des übel beleumundeten ägyptischen Seth (der wiederum Hadad-Baal entspricht). Beide waren Junggesellen. Hatte Seth manchmal Nephtys als Begleiterin, fand sich bei Jahwe die Aschera. 622 v. Chr. nahm man sie ihm in einem Bildersturm weg.9 Dazu kamen Aspekte des ägyptischen Chnum, der den menschlichen Leib aus Ton knetet, und der Hathor, die dem Lehmklumpen den Lebensodem einhaucht. In der Übertragung der Sintflutgeschichte von der babylonischen Vorgabe in die biblische Version übernahm Jahwe die Rollen von zumindest vier beteiligten Göttern und Göttinnen (Enlil, Hadad, Ea, Ischtar). Der Gott Jerusalems entstand gleichsam aus der Versammlung anderer Gottheiten und Kräfte. Als integrativer Gott unterschied er sich deutlich vom exklusiven Monotheismus des Echnaton, dessen Aton eine eigenständige Konstruktion gewesen zu sein scheint. Dennoch gibt es erhebliche Parallelen zu Ägypten. Psalm 104 (entstanden um 500 v. Chr.) zeigt enge Übereinstimmungen mit Echnatons Aton-Hymnus (um 1350 v. Chr.), vielleicht über phönizische Kanäle. Er schildert einen Jahwe mit Zügen des Sturm-, Kriegs- und Sonnengottes.
Nach Davids Tod stritt man sich blutig um das Erbe. Eine Gruppe um Batseba und ihren Sohn Salomon gewann den Familienzwist. Es ist die Batseba, der David beim Baden zusah, was seine Hormone so in Wallung brachte, dass er ihr bei dieser Gelegenheit einen Sohn zeugte. Die Geschichte wurde unzählige Male in der Kunst dargestellt. Unglückseligerweise stand ein Ehemann im Weg (noch dazu Offizier einer Elite-Einheit Davids), den David kurzerhand umbringen ließ, um Batseba zur achten Frau in seinem Harem zu machen – nach Ablauf der vorgeschriebenen Trauerzeit übrigens, wie uns das Alte Testament versichert. Solche schaurigen Geschichten stehen viele im Alten Testament. Ob sie irgendetwas mit der historischen Realität zu tun haben, wissen wir nicht.
Über Salomon wird immerhin nur Gutes berichtet. Er zog mit Handelsverträgen Kapital nach Jerusalem, brachte den Handel in Schwung und legte so die Grundlage für Prosperität und ein daraus folgendes kulturelles Mäzenatentum. Er wurde ein großer Bauherr und krönte dies mit dem Bau des ersten Tempels, den bereits sein Vater David geplant hatte. Seine Form dürfte sich an syrischen, ägyptischen und hethitischen Vorbildern orientiert haben. Vor dem Tor ragten zwei Säulen aus Bronze in den Himmel. Sie trugen Namen, nämlich Jachin (Gott wird aufrichten) und Boas (In Gott ist Stärke). Vielleicht waren sie heiligen Bäumen nachempfunden. Das Motiv solcher Säulen faszinierte noch lange. Eine neuere Version davon steht heute vor der Karlskirche in Wien. Vermutlich stand der Salomonische Tempel an der Stelle, an der später die Muslime den Felsendom errichteten. Mit dem Tempel wurde Jerusalem zu einer heiligen Stadt und trat in den Wettbewerb mit anderen religiösen Zentren ein.
Der Tempel war ziemlich sicher dem Sonnengott geweiht. Jahwe erhielt nach dem Bericht aus dem Alten Testament auf seinen eigenen Wunsch hin ein dunkles Gastzimmer: „Im Dunkel wolle er wohnen, sagte der Herr. So baute ich einen Herrscherpalast für dich als Stätte, an der du weilst auf ewig.“10 Möglicherweise war dieser Wunsch Jahwes sogar der Grund für den Tempelbau, denn andere vorderasiatische Sonnengottheiten kamen ohne Gebäude aus. Das Kultsymbol des Sonnengottes war ein leerer Thron. Jahwes Kultsymbol war eine Holzkiste (Bundeslade), die zwei anikonische Steine enthalten haben soll, vielleicht Zeichen für Jahwe und seine Partnerin. Diese Lade wurde unter den Thron geschoben. Möglicherweise war dies der sichtbare Ausdruck einer zunehmenden Vereinigung der beiden Gottheiten.11 Die Verschmelzung Jahwes mit dem Sonnengott hatte letztlich die Solarisierung des chthonischen Jahwe zur Folge, also eine wachsende Transzendenz und Entrücktheit. Solche Verschmelzungen aller möglichen Gottheiten mit dem Sonnengott waren etwa in Ägypten gang und gäbe. Selbst der mit erdigem Lehm hantierende Töpfergott wurde als Chnum-Re solarisiert.
Nach dem Tod Salomons führten die wirtschaftlichen und kulturellen Unterschiede der beiden Reiche Juda und Israel 931 v. Chr. zum Bruch. Im Nordreich Israel, das aus zehn der zwölf Stämme Israels bestand, wurde Jerobeam I. König, im Südreich Juda der Sohn Salomons, Rehabeam. Jerusalem verlor seine dominierende Stellung und musste sich die religiöse Kompetenz mit anderen Kultstätten teilen, etwa mit Bet-El (Haus Gottes) im Nordreich, mit dem Jerobeam einen kultischen Gegenpol zu setzen versuchte. Um sich gegen Jerusalem zu profilieren, wurde die chthonische Seite Jahwes herausgekehrt. Dazu wärmte man einen alten Stierkult auf und stellte Jahwe als Stier dar. In den biblischen Schriften wird das später heftig bekämpft und als Baalskult desavouiert.