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Der König – Kämpfer gegen das Böse, Gesetzgeber und Gott

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Die vornehmste Rolle für den König im Alten Orient war, Geschäftsträger der Stadtgottheit zu sein. In ihrem Auftrag leistete er die Sicherung des Stadtstaates gegen äußere Feinde. Damals wie heute wurde diese Aufgabe propagandistisch ausgeschlachtet. Zunächst galt es, den Herrscher in eine herausgehobene Rolle zu rücken. Dazu diente damals die Idee der Gottessohnschaft, die besonders in Ägypten verbreitet war. Ägyptologen glauben zu wissen, dass um 2580 Djedefre, Sohn des Cheops, den Sonnengott Re an die Spitze des Pantheons (von griech. pan/alle + theos/Gott) gestellt und sich als Erster „Sohn des Re“ genannt hat. In Mesopotamien war es vielleicht Naram-Sin, von 2250 bis 2213 Herrscher von Akkad, der sich zuerst mit dem Gottestitel „König der vier Weltufer“ schmückte. Hier wurde der König nicht automatisch mit einem Gott gleichgestellt. Aber die Herrscher ließen sich gern mit göttlichen Attributen darstellen und den Betrachter dann rätseln, wie das gemeint war. Statuen von Gudea, der um 2100 die Herrschaft über Mari innehatte, tragen manchmal einen Behälter, aus dem Leben spendendes Wasser auf die Erde fließt. Das ist ein Motiv, das ikonographisch in aller Regel einem Gott vorbehalten war. Denn nur dieser hatte das Vorrecht, die Erde zu befruchten. Auch Schulgi, König in Ur, ließ sich etwa zur gleichen Zeit ohne Hemmungen als Gott ansprechen.

Die ägyptische Gewohnheit, die Pharaonen als Götter oder Gottessöhne zu verehren, kam auch jenen Eroberern des Landes zugute, die sich den begehrten Pharaonentitel zulegten. Alexander der Große etwa zog extra in die Oase von Siwah, betrat ehrfürchtig das Allerheiligste im Tempel und befragte das Kultbild. Die Antwort erfolgte prompt und pressewirksam durch den Mund des Oberpriesters: Er war ein Sohn des Amun. Der römische Kaiser Augustus tat es ihm später in der Gottessohn-Ambition gleich und viele andere folgten. Auch hier spannt sich der Bogen bis in die Neuzeit, wo sich Kaiser und König in ihrer Rolle von Gottes Gnaden verstanden. Und noch heute wird um den Gottesbezug in den Präambeln von Verfassungen und den Formeln bei Eidesleistungen gestritten. Solchen Resten der Sakralisierung konnte nicht einmal die Aufklärung ein Ende setzen. Die Utensilien zum Ausdruck von Würde und Herrschaft wurden übrigens allesamt auch gleich im Orient erfunden: Thron, Krone, Zepter, Stab.

Ein derart upgegradeter König fungierte als Hüter des Staates und als Kämpfer gegen das Böse, das stets von außen die Identität der Stadt bedroht. Die propagandistische Überhöhung besorgten die Künstler, indem sie in Sumer wie auch in Ägypten geradezu ein Logo für diesen Sachverhalt entwickelten: Um 2250 zeigte eine Sandsteinstele den gerade erwähnten König von Akkad, Naram-Sin, wie er mit Keule und Pfeil über die besiegten Feinde einen Berg emporsteigt, auf dem der Sonnengott thront.

Das entsprechende Sujet in Ägypten stammt vielleicht noch aus einer frühen Zeit vor der offiziellen Zählung nach Dynastien. Pate stand vermutlich eine Schlacht im Zuge einer (von vielen) blutigen Vereinigung Ägyptens. Die ägyptische Geschichte spielte sich in erheblichem Maß im Bereich der Bruchkante ab, wo das südliche, lang gestreckte Ober- und das nördliche, deltaförmige Unterägypten zusammenstießen, also etwa dort, wo die erste Hauptstadt Memphis gegründet wurde, etwas südlich vom heutigen Kairo. Die Reichseinheit war ein so hohes und hart erkämpftes Gut, dass sich die erste Einigung fast zwangsläufig im flexibel gestaltbaren Nebel des Mythischen verliert. Sie wird auf einen legendären König Menes zurückgeführt oder auch mit dem Namen Narmer verbunden, der angeblich um 3000 v. Chr. König in der ersten Dynastie war. Diese unsicheren Berichte stützen sich auf eine praktisch unversehrte Schiefertafel, die man in Abydos, der ersten königlichen Grabstätte, fand. Sie zeigt ebendiesen Narmer, wie er die „Papyrusleute“ (Papyrus steht symbolisch für das feuchte und fruchtbare Delta) unterwirft. Die sogenannte Narmer-Palette aus einer Zeit, die als Übergang von der Herrschaft der Götter zu jener der Könige (!) gilt, diente in der Folge als Vorlage und wurde zum Symbol für die Schutz- und Ordnungsfunktion des Königs. Dem Ägyptenreisenden begegnet dieses Motiv des „Erschlagens der Feinde“ auf den Pylonen praktisch eines jeden Tempels: Der König packt die Feinde am Schopf und zieht ihnen mit der Keule eins über. Es wurde buchstäblich zu einem Chaos abwehrenden (also apotropäischen) Zeichen, womit der Sinn von Logos in der Geschichte getroffen ist. Sie dienen der schnellen Wiedererkennung und der Abwehr von Feinden und Konkurrenten. Das gilt für Firmenlogos, das gilt (vermutlich!) auch für kunstvoll gestaltete Initialen in Handschriften, und es gilt letztlich auch für Präambeln von Verträgen und Verfassungen, in denen gerne Gott angerufen wird.

Als die Zeit des bloßen Hauens und Stechens weitgehend überwunden war, zeigte uns unsere Kinderstube auch die zivilisierte Seite der Medaille. Die Abwehr des Bösen nach außen ist ja in Wahrheit nur die halbe Miete. Zwar mögen Säbelrasseln und Beschimpfung dunkler fremder Mächte, denen man alles in die Schuhe schiebt, was zuhause schiefläuft, relativ einfach, kostengünstig und gut funktionieren. Im Inneren eine gute Ordnung aufzubauen, ist schon erheblich anspruchsvoller – und für viele Autokraten und Diktatoren bis heute das weitaus größere Problem. Die „gute Herrschaft“ (wir würden von Good Governance oder Compliance sprechen) war besonders bei den Renaissance-Humanisten ein verbreiteter Topos in der Kunst, wie ich noch berichten werde. Der orientalische Herrscher jedenfalls nahm diese Herausforderung an. Einer der berühmtesten Gesetzgeber war Hammurapi I., der von 1792 bis 1750 v. Chr. König in Babylon war. Er ließ die Gesetze buchstäblich in Stein meißeln. Archäologen fanden in der Hauptstadt der Elamer, Susa, eine über zwei Meter hohe Stele aus dem harten Diorit mit knapp 300 in akkadischer Sprache eingravierten Gesetzen. Natürlich waren diese Gesetze im Verständnis der Babylonier keine Erfindungen von Menschen, sondern stammten von Gott. Daher endet der Text mit einer Verfluchung jener, die die Gesetze nicht einhalten. Über dem Text ist Hammurapi höchstpersönlich abgebildet, wie ihm der Gott der Sonne und Gerechtigkeit, Schamasch, die königlichen Insignien übergibt und ihn damit als Gesetzgeber legitimiert. Bei Moses, der „von Angesicht zu Angesicht“9 mit seinem Gott sprach, war es Gott selbst, der ihm die Gesetzestafeln überreichte. Zum Schluss seines Gesetzestextes bekennt sich der vermutlich hochgebildete Hammurapi zu seinem Herrscheramt, das er als Dienst an den Menschen versteht. Man kann dieses Bemühen unter Umständen so schön idealisieren, wie es Wolfram von Soden tat: „Trotz des stark aufgetragenen Selbstruhms findet in diesen Worten ein Herrscherideal einen schönen Ausdruck, das die Fürsorge des Landesvaters höher stellt als den Kriegsruhm.“10

Dass dieser König, Gottessohn und Gesetzgeber auch eine adäquate Verehrung seiner Untertanen einforderte, wird nicht überraschen. Dazu entstand im Alten Orient ein Ritual, das über die byzantinischen Kaiser den Weg sowohl in die katholische Kirche (dort heute noch bei der Weihe von Priestern vollzogen) wie auch zu den islamischen Kalifen fand. Nur die stolzen Griechen verweigerten dieses Ritual, was den Gottessohn Alexander, der gerne auf solche Weise verehrt werden wollte, einigermaßen verärgerte. Die Rede ist von der Proskynese, dem Sich-Niederwerfen. Der Alttestamentler Otmar Keel vermutete die Wurzeln der Proskynese im Erschrecken: „Vor dem übermächtigen Erlebnis des Heiligen flieht der Mensch in den Tod. Das Niederfallen entspricht, so betrachtet, dem aus der Verhaltensforschung bekannten Totstellreflex.“ In der Tat spielte hier die orientalische Bildmagie eine große Rolle. Spuren davon finden wir auch in der Bibel: „Kein Mensch kann Gott schauen und am Leben bleiben.“11


Arsuz-Stele, Sturmgott mit König (?) und geflügelter Sonnenscheibe auf einem Stier (10. Jh. v. Chr.), Hatay Arkeoloji Müzesi, Antakya

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