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Aus dem Leben schreiben

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Ein großes Thema in diesem Zusammenhang ist das »Schreiben aus dem Leben«.

Wieso Bücher anderer Menschen lesen, wenn Sie doch aus Ihrer eigenen Erfahrung genügend Geschichten erzählen können? Zumal doch das Leben die besten Geschichten schreibt. So will man meinen, doch auch hierbei handelt es sich um eine Autoren-Weisheit, die weiten Interpretationsspielraum bietet und weiterer Klärung bedarf.

Dazu ist es richtig, es gibt zahlreiche fantastische Bücher, die halb-autobiografischer Natur sind.

HALB. Denn wir sind Geschichtenerzähler, keine Biografen. Und auch Autoren, wie Dostojewski oder auch Charles Bukowski, wussten um diesen Unterschied und verarbeiteten Ihre Erfahrungen anhand fiktionaler Charaktere. Doch warum ist dies so?

Nun zum einen bietet dies dem Autor selbstverständlich mehr Spielraum. Zum anderen nimmt Ihnen Ihr Nachbar es eventuell übel, wenn Sie ihn in Ihrer Geschichte auftauchen lassen. Doch viel wichtiger ist folgender Punkt. Haben Sie schon einmal jemanden von einem Albtraum erzählt und mussten feststellen, dass Ihr Gegenüber Ihre nächtliche Angst nicht nachvollziehen konnte?

Ihre Erfahrung ist subjektiv, nicht objektiv. Dadurch sind Sie persönlich sehr nah an Ihrer Geschichte dran und verlieren die Übersicht, da Ihnen bestimmte Informationen oder Zusammenhänge offensichtlich sind, die jedoch einem Zuhörer erst erläutert werden müssen. Durch die Projektion auf einen Protagonisten treten diese fehlenden Informationen zutage, da Sie selbst eine Beobachter-Rolle einnehmen bzw. einnehmen sollten. Es geht sich nicht darum, sich selbst einfach einen anderen Namen zu geben, sondern einen Schritt zurückzutreten, um das gesamte Bild wahrnehmen zu können. Waren Sie beispielsweise mal in einer Situation in Ihrem Leben auf einen Menschen wütend? Warum waren Sie wütend? Was war Ihre Motivation, wütend zu sein? Denn diese sollte dem Leser zugänglich sein, um eine Identifikation oder auch Ablehnung (wie im letzten Kapitel erwähnt, muss ein Protagonist nicht sympathisch sein) hervorzurufen.

Dies führt zu einem zweiten Punkt. Wenn Sie aus Ihrem Leben schreiben, verbindet der Leser den Inhalt der Geschichte nicht mit einer Figur, sondern direkt mit Ihnen, dem der schreibt bzw. die nächsten Zeilen geschrieben hat. Gesetz den Fall, es findet eine Ablehnung statt, wie soll der Leser weiter lesen, wenn er den Autoren hasst. Warum das Buch einer Person lesen, die ich nicht leiden kann? Haben Sie schon einmal ein langes, intensives und aktives Gespräch mit einer Person geführt, die Sie nicht leiden konnten? Im Normalfall vermeidet der Mensch dieses. Jedoch ein Gespräch über eine Person, die Sie nicht leiden können, ist sehr viel interessanter. Aus selbigem Grund lästert der Mensch gerne.

Im Umkehrschluss, wenn der Leser den Autor mag, wird die Geschichte nebensächlich. Der Leser identifiziert sich nicht mit einem Protagonisten, sondern dem Autor und interessiert sich für den Menschen hinter der Geschichte und daher ergibt sich ein anderer Fokus und gleichermaßen ein höheres Risiko der Ablehnung oder Enttäuschung, wenn denn der gesamte Mensch nicht dem Ebenbild seiner Geschichte entspricht. Dementsprechend steht nicht die Geschichte im Vordergrund, sondern jegliches Handeln dieser Person in der Realität.

Selbstverständlich schreibt das Leben die besten Geschichten, denn woher sonst stammen Eindrücke & Erfahrungen des Autors. Jedoch halte ich es sowohl aus oben genannten Gründen nicht für sinnvoll direkt aus Ihrer Erfahrung zu schreiben, als auch dem Folgenden, der diesen Ansatz etwas verständlicher macht.

Es ist Sommer. 30° Celsius. Sie werden als Autor gereizt sein, eine Geschichte zu schreiben, die an einem heißen Sommertag spielt.

Sie waren gerade Zeuge eines Unfalls. Sie werden als Autor dazu neigen, dies direkt in Ihrer Geschichte zu verarbeiten.

Sie haben sich gerade aus einer Beziehung getrennt. Sie werden als Autor inspiriert, eine Geschichte über die Liebe zu schreiben.

Nur was machen Sie, wenn Sie an der Geschichte des heißen Sommers schreiben und es am nächsten Tag in Strömen regnet. Die Stimmung des Sommers vom Vortag hat Sie bereits verloren.

Jetzt würden Sie lieber eine Geschichte über einen regnerischen Sommer schreiben. Das Ergebnis, die Einführung in eine Geschichte in Ihrer Schublade.

Bei dem Unfall werden Sie schnell feststellen, dass es Ihnen schwerfällt, Ihre Eindrücke innerhalb dieses kurzen Zeitraumes auch nach Stunden noch akkurat wieder zu geben. So funktioniert die menschliche Erinnerung leider und andererseits Gott sei Dank, da es sich um einen Schutzmechanismus handelt. Doch führt dies dazu, dass Sie zweifeln und es im Endeffekt für eine schlechte Idee halten, die es nicht zwangsläufig war, doch dazu kommen wir gleich.

Im letzten Fall, während Sie ihren Protagonisten in Liebeskummer versinken lassen, werden Sie selbst den Schmerz überwinden oder sogar eine neue Beziehung finden. Und was machen Sie dann mit Ihrem todtraurigen Protagonisten. Lassen Sie ihn dann auch wieder eine neue Liebe finden?

Wie Sie sehen, ist der direkte Eindruck schwer literarisch zu verarbeiten und führt schnell zu überfüllten Schubladen mit Ideen & Ansätzen, jedoch nicht zu Ihrer fertigen Geschichte.

Ein Ansatz aus der Schauspielkunst scheint daher sinnvoller. Ein Schauspieler muss nicht direkt vor einer Szene, in der er verlassen wird, von einer Person verlassen worden sein. Er greift auf die emotionale Erfahrung des Verlassenwerdens zurück und wenn er tatsächlich noch nie in seinem Leben verlassen wurde, so hat er doch schon einmal in seinem Leben irgendetwas verloren und kann dieses Gefühl adaptieren. Gleiches gilt für den Autor und das Schreiben aus dem Leben. Reflektieren Sie Eindrücke aus ihrem Leben, verarbeiten Sie diese jedoch nicht unmittelbar.

Denn mit etwas Distanz können Sie darauf zurückgreifen und diese für Ihren Protagonisten adaptieren. Erst dann werden Sie in der Lage sein einen Eindruck so zu schildern, dass er dem Leser zugänglich ist.

Ermunter Sie sich, im tiefsten Winter eine Geschichte über den heißesten Sommer zu schreiben. Denn erst dann beginnen Sie in Ihrer Erinnerung zu wühlen, welche Sensationen Sie über Ihre Sinne an einem heißen Sommertag wahrnahmen, etwas, dass Sie an einem heißen Sommertag für selbstverständlich und zugehörig zu dem Begriff »Sommertag« empfinden und es dadurch dem Leser nicht näher bringen können, der ja Ihre Geschichte auch im Winter lesen könnte.

Übertragen Sie darüber hinaus nicht einfach Ihre Vorlieben auf den Protagonisten, denn auf diese Art & Weise werden Sie ihn nicht kennenlernen und sich selbst kennen Sie ja bereits.

Doch bedienen Sie sich natürlich an dem, was Sie sehen und erfahren, in Ihrem Bekanntenkreis, Zeitungsartikeln etc.

In diesem Sinne schreiben Sie ruhig aus Ihrem Leben, aber vermeiden Sie Subjektivität, was selbstverständlich nicht ausschließt, die erste Person Singular zu verwenden.

Doch Sie sind nicht der Protagonist! Wenn Sie nicht eine Biografie oder ein Tagebuch schreiben.

Dementsprechend ist es von enormer Wichtigkeit, als Autor auch zu lesen, um sich damit zu beschäftigen, wie andere Autoren diese Hürde gemeistert haben und schlussendlich von ihnen zu lernen wie der Maler von den Altmeistern.

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