Читать книгу Auswahlband Schicksalsroman 8 Romane in einem Buch September 2018 - Cedric Balmore - Страница 17
2
ОглавлениеDie Hitze hatte merklich nachgelassen. Angenehme Kühle strömte der Abend aus. Die beiden Mädchen gingen mit raschen Schritten durch die Straßen.
»Komm, wir nehmen ein Taxi! Bis zur Bar ist es weit, und ich habe keine Lust, mir die Füße krumm zu latschen«, meinte Sybille.
»Aber ich hab’ doch kein Geld«, sagte Anja.
»Ich werde es bezahlen, wir bekommen ja nachher welches.«
An der Straßenecke fanden sie ein Taxi. Anjas Herz klopfte zum Zerspringen. Alles schien ihr wie ein Traum, gar nicht wirklich. Sie war in ihrem ganzen Leben noch nicht in einer Bar gewesen und natürlich sehr neugierig. Die Hausfassade wirkte fast kalt und schmucklos, eine braune Tür und dahinter der Türsteher.
»Grüß dich, Sybille, auch wieder im Lande?«, sprach der ältere Mann die Freundin an.
»Klar, wie ist es, schon viel Betrieb?«
»Na, wie man es nimmt, aber du amüsierst dich auch, wenn nur einer vorhanden ist.«
Sie lachte nur ihr helles Lachen und stieg die Treppe hinauf.
»Die Bar liegt im ersten Stock«, sagte sie erklärend.
Teppichbelegter Boden, gedämpftes Licht. Von irgendwoher kam leise Musik, kleine, schummrige Ecken, seltsam geformte Vasen und Skulpturen standen an den Wänden.
Sybille ging auf eine bogenförmige Tür zu, schlüpfte hindurch und winkte der stummen Anja.
»Mensch, komm schon, oder willst du hier Wurzeln schlagen?«
Sie betraten die Bar. Ein Raum, unendlich lang und weit, schummrig erhellt, ganz in Gold und Braun gehalten. Barkeeper in roten Jacken hantierten an den Tischen. In der Mitte des Raumes befand sich die Tanzfläche. Sie schimmerte wie flüssiger Honig. Auf den kleinen Tischen standen jeweils Tischlämpchen. Sybille nahm an einem leeren Tisch Platz und zog Anja neben sich.
»Na, was sagste jetzt?«
Anja wusste gar nicht, wohin sie zuerst sehen sollte. Alles war für sie neu und verwirrend.
»Werden sie uns nicht rauswerfen? Ich dachte immer, Bars sind für reiche Leute da. Und wir haben doch kein Geld.«
»Natürlich verkehren hier nur reiche Leute. Was hast du denn gedacht, vielleicht Hafenarbeiter?«
Die Kapelle spielte einen schnellen Rhythmus, er ging ins Blut. Eine gazellenschlanke Negerin betrat die Tanzfläche und tanzte dazu. Es war faszinierend, ihr zuzusehen. Das Licht war im übrigen Raum erloschen, nur die Tänzerin wurde angestrahlt. So biegsam müsste man sein!
Sybille steckte sich eine Zigarette an und ließ ihre Augen durch den Raum spazieren. Sie suchte ihr Wild! An der Bar standen und hockten mehrere Männer. Sie schienen ohne Damenbegleitung zu sein. Einige noch sehr jung, die anderen älter. Die Jungen waren uninteressant. Bei denen hatte man wohl sein Vergnügen, konnte aber nichts verdienen. Anja hatte glänzende Augen. Das Licht flammte wieder auf, es wurde getanzt. Ein Prickeln lag in ihrem Blut. Einmal für kurze Stunden an dem großen Kuchen der Reichen naschen! Einmal nur so tun, als gehöre man dazu, sei es gewöhnt!
»Toll«, murmelte sie atemlos.
Sybille wollte schon verächtlich die Lippen hochziehen. Aber dann besann sie sich auf die Zeit, da sie zum ersten Male hier gewesen war und genauso gefühlt hatte. Für sie war das schon alles abgeschmackt und fade.
»Darf ich zu einem Tanz bitten?«
Als sie aufsah, bemerkte sie einen älteren Herrn, der sich vor ihr verbeugte. Sie setzte ihr verführerisches Lächeln auf und erhob sich graziös.
»Natürlich, mein Herr, ich tanze für mein Leben gern!«
Anja blieb allein zurück. Angstvoll sah sie der Freundin nach. Was sollte sie jetzt tun, wie sich, verhalten? Ein Schatten fiel über sie, und ein Mann nahm wortlos an ihrem Tisch Platz.
»So allein! Aber das ist doch nicht schön. Warum amüsieren Sie sich nicht?«
»Ich bin mit einer Freundin hier«, stotterte sie verlegen. »Dort drüben, sie tanzt gerade!«
»Ich weiß, kommen Sie, wir machen es Ihnen nach, wir amüsieren uns auch!«
»Aber ich kenne Sie doch gar nicht«, sagte sie erschrocken.
Der Mann hatte für einen Augenblick seine Hand auf ihre Schulter gelegt. Er sah in das ängstliche Gesicht und lächelte, runzelte aber zugleich ein wenig die Stirn. Wenn zwei Mädchen ohne Herrenbegleitung eine Bar betraten, wussten alle anwesenden Herren, was das zu bedeuten hatte. Sie waren sozusagen Freiwild. Anja konnte es nicht wissen. Ihr Gesicht und der Ausdruck ihrer Augen wirkten echt.
»Kommen Sie, ein Tänzchen in Ehren!«
Anja biss sich auf die Lippen. Jetzt, in diesen Sekunden fiel ihr wieder ein, weswegen sie nach hier gekommen waren. Sie stand auf, ihre Knie fühlten sich hölzern an, die Handflächen waren heiß und feucht. Sie spürte Angst in sich hochsteigen, ein Kloß saß in ihrer Kehle. Sie hatte das Gefühl, alle würden ihr nachsehen, während sie zwischen den Tischchen zur Tanzfläche ging. Wie nackt kam sie sich vor.
Er tanzte gut. Mittelgroß, von gewinnendem Äußeren, irgendwie sympathisch war er. Ein fast väterlicher Typ. Ja, ihr Vater hätte er sein können. Sie sprachen fast nichts miteinander. Das Mädchen musste sich konzentrieren, um nicht aus dem Takt zu kommen.
»Sie sind zum ersten Mal hier?«
Sie sah ihn kurz an, überlegte schnell und schüttelte den Kopf.
»Ach wo«, sagte sie möglichst gleichgültig.
»Na, ich dachte es zu Anfang, aber wenn das so ist, dann werden wir bestimmt noch zusammen einen vergnüglichen Abend verbringen. Sie erlauben doch, dass ich mich ein wenig um Sie kümmere?«
Anja sah ihn von unten herauf an. Bevor sie eine Antwort geben konnte, war der Tanz zu Ende. Sie gingen zum Tisch zurück. Sybille saß mit ihrem Tänzer schon dort. Und auch der andere nahm Platz. Sie stellten sich vor, aber sie behielten nur die Vornamen Peter und Klaus. Einfachheitshalber blieben sie auch gleich dabei. Es waren Geschäftsfreunde, die sich von ihrer Arbeit erholen wollten.
Der Kellner kam, und die Herren bestellten. Als Anja einen Blick auf die Karte warf, wäre sie bald zusammengezuckt. Aber Sybille trat ihr noch rechtzeitig auf den Fuß.
Der Sekt prickelte wie flüssiges Feuer durch ihre Adern. Sie kam in eine ausgelassene Stimmung. Alles hinter sich lassend, alles vergessend. Den grauen Alltag! Sie sah nur die Lichtpunkte im Dunkeln. Sie tanzte ausgelassen, es war einfach toll. Die Männer lachten nur. Sybille war wie ausgewechselt. Anja kannte ihre Nachbarin nicht mehr wieder. Wie ein schillernder Schmetterling schwebte sie durch den Raum. Sie hatte viele Tänzer, und sie rissen sich um das Mädchen. Aber zwischendurch kam sie immer wieder an ihren Tisch zurück, goss den Sekt wie Wasser in sich hinein und lachte aus vollem Hals.
Einmal befanden sie sich zufällig zusammen im Waschraum. Sybille schminkte sich nach, und Anja wusch sich die Hände.
»Na, was habe ich dir gesagt, ist ein Spaß oder nicht?«
»Toll, ja, wenn man reich ist, dann kann man sich das alles leisten!«
»Wieso? Wir sind es nicht und leben auch so, zumindest heute Abend. Wir sind hübsch und lustig, und das gefällt den Männern. Also, verkaufen wir unsere Schönheit! Jeder verkauft irgendetwas, man muss nur den rechten Ort und die richtigen Menschen treffen.«
Klaus, ihr Partner, wartete schon ungeduldig auf sie. Sie gingen zur Bar, und er hob sie auf den Hocker. Er legte den Arm um ihre Schultern und streichelte ihre runden Knie.
»Was möchte mein Mäuschen denn jetzt trinken?«
Anja lehnte sich für einen Augenblick an ihn. Die Regale begannen vor ihren Augen zu tanzen und zu kreisen. Ich darf nichts mehr trinken, dachte sie.
»Ich weiß nicht!«, murmelte sie.
Klaus gab eine Bestellung auf. Kurze Zeit später stand ein winziges Glas mit einer giftgrünen Flüssigkeit vor ihr.
Als sie es in sich hineingoß, glaubte sie zu verbrennen. Wenn Klaus sie nicht gehalten hätte, wäre sie glatt von dem Hocker gekippt. Sie hustete und bekam kaum noch Luft.
»Was war denn das?«, keuchte sie nach geraumer Zeit.
»Teufelswasser, eine Spezialität des Hauses«, lachte Klaus. »Ich dachte, du würdest es schon kennen?«
»Igitt, igitt, ich bin wie ausgehöhlt. Komm, lass uns zum Tisch zurückgehen! Ich halte es hier nicht mehr aus!«
Sofort war er an ihrer Seite. Er legte beschützend den Arm um sie und führte sie. Anja glaubte, wie eine Elfe durch den Raum zu schweben. Aber sie hatte arge Last mit ihren Füßen. Sie kamen sich immer in die Quere.
»Du bist ja betrunken«, sagte Sybille streng.
»Nein, bloß mein Kopf wackelt so schrecklich.«
»Ich glaube, wir sollten das Lokal wechseln«, meinte Peter und zog Sybille an sich. »Na, was hältst du von einem kleinen Ruhestündchen? Das dürfte auch deiner Freundin guttun.«
Sybille verstand, das waren die Worte zum eigentlichen Geschäft! Sie krümmte ihren kleinen Finger und drohte ihm neckisch.
»Du kannst es wohl nicht abwarten, wie?«
»Warum sollte ich! So hübsche Mädchen wie euch findet man bei uns nicht! Wie hoch ist der Kurs?«
»Wie üblich für einen Abend.«
»Also wieviel?«, fragte Klaus.
»Meine Herren, ich sehe, Sie kommen selten in die Kreisstadt und kennen unsere Taxe nicht. Hundert für jede.«
»In Ordnung!«, kam es ohne Zögern zurück.
Sie standen alle auf.