Читать книгу Auswahlband Schicksalsroman 8 Romane in einem Buch September 2018 - Cedric Balmore - Страница 26
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ОглавлениеSybille sah weder rechts noch links und rannte die Straße hinunter. Unten an der Ecke, wo die Schule war, stand der Wagen. Bob sah sie als Erster und machte die Wagentür für sie auf.
»Na, endlich!«, knurrte er. »Bisschen pünktlicher das nächste Mal, oder es setzt was ab!«
Sybille wusste ganz genau, was er mit diesen Worten ausdrücken wollte und duckte sich scheu in die Polster.
»Ich hab’ auf den Fahrstuhl gewartet!«
Fred drehte sich herum.
»Wo ist denn Anja? Braucht sie mal wieder eine Extraeinladung? Das Mädchen ist doch schrecklich. Ich kann sie noch so windelweich prügeln, Zicken macht sie immer noch.«
»Anja kann heute nicht kommen, soll ich ausrichten.«
»Was soll das heißen?« Die Augen des Zuhälters funkelten gefährlich. »Hat sie sich wieder etwas ausgedacht, um sich vor ihrer Arbeit zu drücken und mich zu schädigen?«
»Nein, ihr Mann ist gekommen. Sie kann nicht weg!«
»Das glaube ich nicht!«, sagte er hart.
»Doch, es ist so. Er kommt manchmal ganz überraschend. Sie wollte sich gerade umziehen, da kam er. Sie konnte mir noch schnell Bescheid sagen.«
»Du lügst!«
»Nein, nein.« Sybille legte die Hände vor das Gesicht. Sie erwartete den Schlag. Aber Fred starrte nur auf die Straße.
»Wenn es nicht stimmt, breche ich ihr alle Knochen im Leib, darauf kann sie sich verlassen. Ich lasse nicht mit mir spaßen.« Er stieg aus.
»Sie wollen doch nicht zu ihr gehen?«, rief Sybille angstvoll. »Das können Sie doch nicht, verstehen Sie denn nicht? Ihr Mann darf es doch nicht wissen. Bitte, gehen Sie nicht! Ich flehe Sie an, das können Sie doch nicht tun!«
»Was ich tue oder nicht, das geht dich einen Dreck an. Und du, Bob, du wartest mit der Schlampe hier so lange. Ich gehe kurz nachsehen. Sollte es aber etwas länger dauern, dann weißt du, dass ich eine kleine Arbeit zu erledigen habe.«
Bob grinste frech zurück und steckte sich eine Zigarette an. Sybille sah atemlos, wie der Mann den Weg zurückging, den sie gerade gekommen war. Ihr Herz klopfte wie rasend. So ein Schweinehund. Nicht nur, dass sie ihnen das ganze Geld abnahmen und sie durch Drohungen gefügig machten, nein, jetzt wollte er sogar alles verderben.
Fred war im Haus verschwunden. Er wusste ganz genau, wo Anja und Sybille wohnten. Bevor sie sich die beiden Mädchen vorgeknöpft hatten, hatten sie sie lange Zeit beobachtet und so alles erfahren, was sie wissen wollten.
Surrend hielt der Fahrstuhl, und er stieg aus. Im Treppenhaus war es schon ein wenig dämmrig. Hart legte er den Finger auf den Klingelknopf. Er musste eine Weile warten, bis ihm die Tür geöffnet wurde. Anja wurde aschfahl, als sie sah, wer dort stand. Für eine Sekunde legte sie ihre Hände auf das Herz. In ihren Augen flackerte die Angst.
»Hat Sybille Ihnen denn nicht gesagt, dass ich heute nicht kommen kann?«
»Ich möchte mich gern selbst davon überzeugen, ob es stimmt«, sagte er zynisch. »Und damit du es gleich weißt, ich glaube dir nicht. Los, ich geb’ dir drei Minuten, und dann bist du angezogen und kommst mit! Dann will ich noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen. Los, mach schon, ich hab’ es eilig!«
»Ich kann nicht, kann nicht«, stammelte sie heiser. »Ich kann doch wirklich nicht. Ich kann doch wirklich nicht!« Flüsternd wurde es ausgesprochen.
»Los, geh’ zur Seite! Ich will mich selbst davon überzeugen«, knurrte er gefährlich.
In diesem Augenblick kam Werner aus dem Wohnzimmer.
»Hat da nicht jemand geschellt, Anja? Ich meine, ich habe die Klingel gehört.«
Mit weichen Knien drehte sich Anja nach ihrem Mann um. Sie konnte nicht sprechen, die Stimme war gefroren. Zum Sterben elend fühlte sie sich. Jetzt erst sah Werner den Mann.
»Sie wünschen?«, fragte er verbindlich.
Fred verbeugte sich ein wenig, zauberte ein Lächeln auf seine brutalen Züge und sagte gewinnend: »Entschuldigen Sie bitte die Störung! Ich habe gerade Ihre Frau gefragt, ob sie mir sagen könne, ob hier eine Familie Meyer mit Y wohne. Leider kenne ich mich in dieser Stadt nicht aus, und man gab mir diese Adresse an.«
»Ich wüsste nicht«, sagte Werner. »Aber das Haus ist so groß, und ständig kommen und gehen die Mieter. Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen. Du, Anja, weißt du vielleicht, ob so eine Familie hier wohnt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Schade«, sagte Fred. »Aber da kann man halt nichts machen. Entschuldigen Sie bitte die Störung!«
»Das macht doch nichts, mein Herr. Aber fragen Sie doch mal beim Hausmeister nach. Er muss es doch bestimmt wissen.«
»Das hätte ich auch gleich getan, aber leider traf ich ihn nicht an.«
»Ja, er ist viel unterwegs.«
Noch mal ein leichtes Lächeln, eine kleine Verbeugung, und Fred wandte sich ab, aber vorher warf er noch einen durchdringenden Blick auf die Frau.
Werner schloss die Tür. Anja rannte ins Badezimmer, setzte sich auf den Toilettendeckel und stöhnte qualvoll vor sich hin. Sie musste sich erst mal wieder beruhigen. Langsam ging es über ihre Kraft. Sie war ausgelaugt und erschöpft. Konnte ein Mensch so lange unter solcher Spannung leben?
»Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr!«
Am liebsten hätte sie es hinausgeschrien, aber sie biss sich in die Fäuste und stöhnte. Niemand war da, der ihr helfen konnte, niemand, dem sie sich anvertrauen konnte. Sie musste die Last alleine tragen.
Wie lange sie so gesessen hatte, wusste sie nicht mehr. Vor Fred würde sie sich nie schützen können, es sei denn, sie würden weit fortziehen. Irgendwohin, wo er sie nicht finden konnte. Sie musste sich vor ihm verkriechen. Weg, fort! Das war die einzige Rettung!
Langsam ging sie ins Wohnzimmer zurück. Werner saß vor dem Fernseher, eine Flasche Bier vor sich. Sie ließ sich in den Sessel gleiten und starrte das flimmernde Bild an.
»Werner, ich möchte fort!«, sagte sie langsam.
Er sah verwundert auf.
»Heute Abend? Wohin möchtest du?«
»Nein, ich möchte ganz fort, weit fort, in eine andere Stadt. Ich hasse diese Stadt. Ich kann sie nicht mehr ertragen, sie ist schrecklich. Bitte, Werner!«
»Mädchen, du hast seltsame Bitten. Bis jetzt hast du dich hier wohlgefühlt. Warum auf einmal nicht mehr?«
»Du bist immer fort, du brauchst hier nicht zu leben. Mich macht diese Stadt ganz krank und elend.«
Betroffen blickte der Mann sie an.
»Ich habe schon gemerkt, dass du seit einiger Zeit ganz anders bist. Aber Anja, so einfach ist das nicht. Ich habe mir jetzt hier eine Existenz aufgebaut. Ein Umzug kostet sehr viel Geld, und das haben wir im Augenblick nicht. Und ich müsste auch ganz von vorn beginnen. Ich dachte, du wärst glücklich hier. Ist nicht jede Stadt im Grunde genommen egal?«
Nein, wollte sie schreien, nein, denn dort gibt es keinen Peiniger, keinen Kerl wie Fred. Doch sie schwieg. Es war alles so zwecklos. Sie kam aus diesem Teufelskreis nicht mehr heraus. Nie mehr, sie würde daran zugrunde gehen.
»Du hast recht, verzeih mir, ich dachte es nur so. Ich habe nicht an dich und deine Arbeit gedacht. Entschuldige, ich bin schon wieder still!«
»Ach, Anja, ich kann dich nicht leiden sehen. Wenn du mir nur sagen würdest, was du wirklich hast! Sind das nicht alles nur Ausflüchte? Warum hast du kein Vertrauen zu mir?«
Sie sah ihn nur stumm an. Vertrauen! Wie weit lag das zurück.
»Ich glaube, ich bin schrecklich müde, das wird es wohl sein. Letzte Zeit bin ich immer müde!«
»Du solltest wirklich zum Arzt gehen. Vielleicht brütest du eine Krankheit aus und findest deshalb alles so unausstehlich.«
»Vielleicht hast du recht«, sagte sie müde.