Читать книгу Auswahlband Schicksalsroman 8 Romane in einem Buch September 2018 - Cedric Balmore - Страница 25

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Anja stand unter der Dusche und berauschte sich an dem warmen Wasser. Sie wandte und drehte sich, und es rieselte weich von ihrem Körper herab. Die Tür öffnete sich, und Werner betrat das Badezimmer. Sie sah ihn im Spiegel hinter sich und lächelte ihm zu. Er gab dieses Lächeln herzlich zurück.

»Sag’ mal, willst du heute überhaupt nicht fertig werden? Ich warte die ganze Zeit auf dich. Dachte schon, du seist ertrunken.«

»Ich komme sofort, ich bin gleich fertig. Jetzt beeile ich mich wirklich. Bitte entschuldige, aber ich habe ganz die Zeit vergessen.«

»Ich habe den Frühstückstisch schon gedeckt. Beeil dich, sonst werden Kaffee und Eier kalt!«

»Ja, ja!« Und da drehte sie auch schon den Wasserstrahl ab.

Werner wollte den Baderaum schon wieder verlassen, doch plötzlich drehte er sich wieder um und sah seine Frau aufmerksam an. Der Dampf war verflogen. Seine Augen wurden groß.

»Du, was ist denn mit dir passiert? Du siehst ja grün und blau am ganzen Körper aus. Als hätte man dich windelweich geschlagen. Du liebe Güte, was hast du denn angestellt? Das habe ich ja noch gar nicht gesehen!«

Anja hüllte sich schnell in das Badetuch und bedeckte so ihre Blöße. Nun konnte er die wunden Stellen nicht mehr sehen. Sie wurde langsam rot. Es kroch ihr in den Nacken hinauf und dann ins Gesicht. Sie bückte sich und tat so, als rubbele sie sich eifrig trocken.

»Du, Anja, ich habe dich etwas gefragt, was ist mit dir los?«

»Och!« Sie sah kurz auf und tat sehr gedankenlos. »Habe ich dir das tatsächlich noch nicht gesagt? Kann man mal sehen, wie vergesslich man ist. Ich habe es schon längst wieder vergessen.«

»Wie bist du denn jetzt zu diesen Wunden gekommen? Sie müssen doch ganz schön wehgetan haben!«

»Ich, ach, ich habe mich so dumm angestellt, weißt du. Ich wollte die Gardinen im Wohnzimmer abnehmen und waschen. Aber ich war zu faul, mir die Küchenleiter aus dem Keller zu holen. Ja, und da bin ich auf den Stuhl gestiegen, und als das noch nicht reichte, habe ich den kleinen Hocker draufgestellt. Anfangs ging das alles auch ganz gut, aber ich weiß auch nicht, jedenfalls lag ich plötzlich unten und sah nur noch lauter Sterne.«

»Himmel, Anja, ich möchte bloß mal wissen, warum wir die Leiter angeschafft haben. Du hättest dir das Genick brechen können, weißt du das auch? Man kann dich bald nicht mehr allein lassen, wirklich. Manchmal benimmst du dich wie ein Kind.«

»Es tut mir leid, Werner, ich hab’ mir selbst schon geschworen, das nicht noch einmal zu wiederholen.«

Der Mann kam, nahm seine Frau in die Arme und zog sie an sich.

»Du hättest ja auf mich warten können. Ich hätte dir doch die Gardinen heruntergenommen. Du weißt doch, dass ich dir gern im Haushalt zur Hand gehe. Früher habe ich es doch auch getan. Warum hast du diesmal nicht damit gewartet, bis ich nach Hause kam?«

Sie schluckte und legte für einen Augenblick ihren Kopf an seine Schulter. Manchmal konnte sie seine Zärtlichkeit nicht ertragen, ohne in Tränen ausbrechen zu müssen. Immer musste sie dabei an die schrecklichen Männer denken, denen sie sich hingeben musste. Es war alles so qualvoll. Immer musste sie lügen, lügen ohne Ende, und sie wollte es doch nicht mehr!

»Und ich hab’ im ersten Moment schon gedacht, du hättest mit jemandem eine Prügelei gehabt. Da können wir ja Sonntag gar nicht schwimmen gehen. Wenn die Leute in der Badeanstalt dich sehen, glauben sie womöglich noch, ich hätte dich so geschlagen, Liebes!« Er lachte bei diesen Gedanken herzlich auf, gab ihr dann einen Klaps auf den Po und sagte: »Nun, mach’ aber wirklich schnell, ich warte auf dich!« Seine Augen glänzten hell.

Anja sah ihm nach, und ein dicker Kloß stak in ihrer Kehle, sie schluckte und schluckte. Wie nah er doch der Lösung war. Sie war ja wirklich verprügelt worden, nicht einmal, sondern noch ein paarmal. Immer, wenn sie sich sträubte, zu einem Freier in den Wagen zu steigen, war Fred zur Stelle, nahm sie beiseite und prügelte sie. Sybille war abgehärteter. Sie muckte nicht mehr auf, sie tat alles, was ihr geheißen wurde. Aber nie, nie würde sie freiwillig den Männern zu Gefallen sein. Immer musste der Zuhälter ihr drohen, erst dann wurde sie wieder für eine Weile gefügig.

Endlich war sie fix und fertig angezogen und kam ins Wohnzimmer. In einer Ecke hatten sie eine lauschige Frühstücksnische eingerichtet. Werner wartete, und als er sie kommen sah, stand er auf und schenkte ihr den Kaffee ein. Seine Fürsorge und Liebe machten sie ganz schwach.

Als sie sich setzte, bemerkte sie einen weißen Umschlag neben ihrem Teller. Verwundert blickte sie darauf und dann auf ihren Mann. Er lächelte sie an und sagte zärtlich: »So öffne ihn doch!«

»Ist der für mich?«

»Steht doch ganz deutlich drauf: Für Anja!«

Ihre Hände zitterten, als sie den Umschlag öffnete. Warum, das wusste sie auch nicht. Und dann starrte sie und konnte für einen Moment nicht mehr klar denken. In der Hand hielt sie Geld. Zwei Hundertmarkscheine. Mit großen Augen blickte sie ihren Mann an. Sie verstand nicht.

»Was soll das? Warum das Geld? Wofür?«

Werner lächelte leicht verlegen.

»Es sollte eine Überraschung für dich sein. Hab’ in der letzten Woche gut verdient und auch eine kleine Erhöhung erhalten. Und ich dachte mir, du musst auf so vieles verzichten, und sicher gibt es Wünsche, die du dir gern erfüllen möchtest. Ich musste immerzu an deine Worte denken, vor Tagen, weißt du, du fühltest dich so einsam. Ich möchte doch so sehr, dass du glücklich mit mir bist. Du kannst das Geld ausgeben, für was du willst. Ganz egal. Aber gib es wirklich für dich aus, nur für dich und nicht für den Haushalt und so.«

Zweihundert Mark!

Ausgerechnet solch eine Summe! War es nun Ironie des Schicksals? Zwei Tage früher, und alles wäre ganz anders ausgegangen.

Bitter und salzig rannen ihr die Tränen über das Gesicht. Sie konnte nicht anders, sie wollte nicht weinen, aber sie liefen und liefen, unaufhörlich. Sie waren wie eine Erlösung, und doch war es keine. In der rechten Hand hielt sie noch immer das Geld. Werner sah sie fassungslos an.

»Liebling, Liebling, was ist dir? Ist dir nicht gut?«

Sie konnte nur weinen, immerzu weinen. Jetzt zu ihm laufen, sich in seine Arme werfen und alles beichten können. Alles, alles!

»Anja«, rief er hilflos. Er konnte ihre Tränen nicht mehr ertragen.

»Verzeih mir!«, stammelte sie.

»Anja, du erschreckst mich. Was ist los? Ich denke, du freust dich. Warum weinst du?«

»Ich ... ich war so überrascht. Ich hab’ damit nicht gerechnet, bitte entschuldige. Gleich bin ich wieder normal. Du hast mir noch nie so aus der Reihe ein Geschenk gemacht, und es ist so wundervoll, wirklich. Ich danke dir von Herzen.«

Sie sprang auf und lief aus dem Zimmer. Jetzt konnte sie seine Blicke nicht ertragen. Das war zu viel für sie. Sie lief ins Schlafzimmer. Für einen kurzen Augenblick legte sie ihre heiße Stirn an die kühle Fensterscheibe und stöhnte wild auf. Ihr Herz war aufgewühlt und zerrissen.

»O mein Gott!«, stöhnte sie. »O mein Gott!«

Werner war ihr leise gefolgt. Er nahm sie in die Arme.

»Du, was ich dich fragen wollte, du bist in letzter Zeit so anders. Sag mal, du erwartest doch nicht etwa ein Baby?«

Wäre nicht alles so schrecklich, so hätte sie über ihn und seine fürsorglichen Gedanken lachen müssen. Aber sie würde nie mehr in ihrem Leben lachen können.

»Ach, Werner!« Sie streichelte sein Gesicht. »Du Guter, du Guter!«

Auswahlband Schicksalsroman 8 Romane in einem Buch September 2018

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