Читать книгу Auswahlband Schicksalsroman 8 Romane in einem Buch September 2018 - Cedric Balmore - Страница 21
6
ОглавлениеDraußen regnete es in Strömen. Unaufhaltsam schon seit Stunden.
Anja hatte geglaubt, bei diesem Wetter würde niemand in die Bar gehen. Aber Sybille hatte sie eines Besseren belehrt. Gerade bei einem Hundewetter suchten die auswärtigen Gäste eine Bar auf. Was sollten sie denn auch anderes machen? Sich vielleicht stupide in ihrem Hotelzimmer aufhalten und sich langweilen? Wenn sie schon mal von zu Hause fort waren, dann wollten sie sich auch amüsieren, und das taten sie gründlich.
Und es war wirklich so, wie Sybille erwartet hatte. Diese zeigte glänzende Augen und strahlte jeden an. Was für eine Betriebsamkeit herrschte doch heute hier. Selbst die Musiker schienen sich darüber zu freuen. Sie spielten wie verrückt, und vor lauter Lärm konnte man bald kaum sein eigenes Wort verstehen.
Selbst Anja wurde von dieser Fröhlichkeit angesteckt. Schon deshalb, weil sie wusste, heute würde sie den letzten Hundertmarkschein verdienen, und dann war sie aller Sorgen ledig. Heute war jedoch wieder das Kribbeln und Beben in ihren Gliedern. Die letzte Begegnung mit dem schrecklichen Kerl hatte sie längst vergessen. Das war so praktisch im Leben. Was man vergessen wollte, das vergaß man auch sehr schnell. Man dachte an morgen, übermorgen.
Sie tanzte und trank und fühlte sich leicht wie eine Feder. Verschiedene Männer umwarben die beiden lustigen Mädchen. Aber keiner versuchte, sich ihnen intensiv zu nähern. Anja war es für den Augenblick egal. Die Nacht war noch lang, sie wollte tanzen und sich amüsieren. Und wie sie sah, tat es Sybille ebenfalls gründlich. Das grüne Kleid schillerte und gleißte in dem hellen Licht der Lampen.
Geräuschlos wurden die Getränke serviert. Für einen kurzen Augenblick dachte sie an die hohen Preise, zuckte aber dann die Schultern, und tanzte weiter. Dann ging sie mit ihrem Tänzer zur Theke, da dieser sie dazu aufgefordert hatte.
»Was darf ich Ihnen bestellen?«
Sie dachte an das Giftzeug, das sie mit Klaus getrunken hatte. Diesmal wählte sie ein leichteres Getränk. Nun kannte sie sich ja schon ein wenig aus. Von hinten wurde sie leicht angetippt. Als sie sich umdrehte, gewahrte sie Sybille.
»Schau mal, wir haben alte Freunde hier, willst du sie nicht begrüßen? Ich glaube, sie wünschen es sehr!«
Es durchzuckte sie, als sie an Klaus denken musste. Seltsam, warum vergaß sie diesen Mann nicht? Weil er der erste gewesen, oder weil er so gut zu ihr war? Aber ihre Sorge war unberechtigt. Als sie um die Säule ging, entdeckte sie die beiden jungen Männer, die sie schon mal hier in der Bar und den einen später in dem Hotel getroffen hatten. Der mit den eiskalten Augen verbeugte sich und hatte ein Lächeln um seine Lippen. Aber Anja fand, dass trotz des Lächeln diese Lippen schmal und grausam wirkten. Aber sie dachte nicht weiter darüber nach.
»Habe ich nicht gesagt, wir treffen uns wieder?«, sagte er einschmeichelnd.
»Ja, ich glaube, so etwas Ähnliches haben Sie angedeutet. Sind Sie oft hier?«, fragte sie ihn.
»Wie man es nimmt!«, war die Antwort.
Warum immer so hintergründig? Es fiel ihr direkt auf. Überhaupt, er war so anders, sie konnte es sich nicht erklären. Sybille war mit dem anderen beschäftigt.
»Wie ich sehe, haben Sie für heute Abend noch keinen Begleiter?«
Sie sah ihn mit ihren ausdrucksvollen Augen an.
»Wie meinen Sie das?«
Er lachte. »Tun Sie doch nicht so, meine Liebe, natürlich suchen Sie Begleitung! Vielleicht nehmen Sie für heute Abend mit mir vorlieb?«
Anja biss sich auf die Lippen. Er war ihr nicht sympathisch. Sie mochte ihn nicht. Aber warum eigentlich nicht? Für einen Abend! War es nicht schöner, sich mit einem jungen Mann abzugeben, als mit diesen wabbeligen, alten Kerls? Und nach der Kleidung zu schließen, musste er auch wohl eine Menge Geld besitzen.
Er hatte sie die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen.
»Na, habe ich Gnade gefunden?«, fragte er spöttisch.
»Kommen Sie, ich möchte tanzen!«, erwiderte sie kurz. Seine Art, sie zu behandeln, machte sie langsam wütend.
»Übrigens, mein Name ist Fred Walter. Vielleicht interessiert Sie das?«
»Wollen Sie den meinen auch wissen?«, fragte sie spitz.
»Nicht nötig, den kenne ich bereits!«
Anja war verwirrt. Aber bevor sie noch etwas sagen konnte, hatte er sie schon untergehakt und führte sie zur Tanzfläche. Er tanzte hervorragend, das musste sie ihm lassen. Aber in seiner Art lag etwas Herrisches, Besitzergreifendes. Sie fühlte seine festen Hände auf ihren Hüften. Fast brutal zog er sie in seine Arme und zwang sie förmlich, das zu tun, was er wollte.
Sie tanzten die ganze Nacht miteinander. Und niemand forderte sie von den anderen anwesenden Herren mehr auf. Ja, sie hatte das Gefühl, als sei Fred hier in der Bar kein Unbekannter. Verstohlene Blicke von den Hausmädchen an der Theke. Auch der Barmann musterte sie manchmal von der Seite. Das machte sie ärgerlich. Warum taten sie das? Gönnten sie ihr den gut aussehenden Mann etwa nicht? Dass er gut aussah, das war eine Frage für sich. Nur die Art, wie er sie behandelte, gefiel ihr nicht so recht. Aber jeder hatte nun mal seine Mucken. Sicher wurde man so herrisch, wenn man reich war und alle nach der eigenen Pfeife sprangen.
Sybille schien sich restlos glücklich zu fühlen mit ihrem Freier. Es ging schon auf zwei Uhr, als endlich die unvermeidliche Frage gestellt wurde. Sybille nickte nur. Sie war es immer, die den geschäftlichen Teil abmachte. Anja konnte das nicht, sich an die Männer verkaufen.
Draußen auf der Straße warteten sie, bis Fred seinen Wagen holte. Es war ein amerikanischer Typ, schick und bestimmt sehr teuer. Sybille seufzte auf, als sie ihn sah.
»Den müsste man haben, wie?«, murmelte sie.
Sie stiegen ein. Erst jetzt fiel ihr auf, dass Fred und auch der Freund den ganzen Abend über fast nichts getrunken hatten.
»Wohin fahren wir?«, fragte Sybille und kuschelte sich in die Polster.
»Das wirst du früh genug sehen, Schätzchen«, sagte ihr Begleiter.
Übrigens hatte er neben dem Fahrer Platz genommen und nicht hinten bei den Mädchen. Anja sah aus dem Fenster, und sie stellte fest, dass sie die Stadt verlassen hatten. Sie befanden sich auf der Landstraße. Ein unruhiges Gefühl machte sich bei ihr bemerkbar.
»Ich möchte nach Hause«, sagte sie plötzlich, hellwach werdend.
Fred lachte. »Du bist gut. Glaubst du, ich habe dich umsonst das teure Zeug trinken lassen? Jetzt kommen wir zum geschäftlichen Teil. Ihr habt bis jetzt euren Spaß gehabt, nun wollen wir den unseren, das ist doch klar, oder? «
»Aber Sie fahren ja aus der Stadt. Wo befinden wir uns eigentlich? Ich kenne mich hier gar nicht mehr aus!«
»Macht nichts, wir bringen euch schon nach Hause. Keine Bange!«
Sybille gähnte ungeniert und räkelte sich hin und her.
»Lass doch, Anja, lass sie doch! Hauptsache, wir brauchen das Stück später nicht zurückzulaufen. Von mir aus könnten wir uns im Walde amüsieren, aber ich glaube, das wird heute ziemlich nass dort sein.«
Dann stoppte der Wagen, und sie befanden sich vor einem unscheinbaren Gasthaus weitab von der Stadt. Nur eine Lampe brannte trübe vor dem Eingang. Es machte wirklich einen trostlosen Eindruck, mussten sie feststellen.
»Wir sind da«, sagte Fred und ließ sie aussteigen.
Als die Mädchen auf der Straße standen, sagte Sybille leise: »Vielleicht wollen sie von den anderen nicht erkannt werden, darum hier draußen. Hab mal so einen Freier gehabt, hatte Angst, alle Welt würde ihn bei seinem Seitensprung ertappen, und dann hätte es Trabbel zu Hause gegeben. Das war einer, kann ich dir flüstern!«
»Kommt!«, rief Fred und wandte sich zur Tür der Schenke.