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Teil 1 Interdisziplinäre Grundlagen der Unternehmenskriminalität › C. „Unternehmenskriminalität“ – Konstruktion eines Begriffs

C. „Unternehmenskriminalität“ – Konstruktion eines Begriffs

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Der Begriff Unternehmenskriminalität tauchte Anfang der 1970er Jahren in der deutschen kriminologischen Diskussion auf und wird synonym mit seinem amerikanischen Korrelat Corporate Crime, der Kriminalität von Führungskräften, der „Verbandskriminalität“[1] und der „Betriebskriminalität“ verwendet.[2] Der Begriff lässt mehrere – grundverschiedene – Hypothesen zu, die je nach Forschungsansatz im Vordergrund stehen.

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Empirische Daten werden vorwiegend im Zusammenhang mit dem Unternehmen als Opfer erhoben.[3] In der kriminalpolitischen Diskussion hingegen wird ein gegenteiliger Eindruck vermittelt: dass nämlich Unternehmen „an sich“ als kriminogenes Phänomen anzusehen sind, da ein Großteil der Wirtschaftskriminalität „unter dem Mantel einer handelsrechtlichen Gesellschaft“ begangen würde.[4] Beide Hypothesen lenken den Blick auf wichtige Aspekte: die Abhängigkeit des Unternehmens von seinen Mitarbeitern und den Einfluss des Unternehmens auf die Mitarbeiter; beide Aspekte sind also anhand von Beobachtungen zu prüfen.[5]

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Dies setzt zunächst eine Auseinandersetzung mit den empirischen Grundlagen voraus. Das darin gesammelte Erfahrungswissen soll in einem nächsten Schritt mit theoretischen Positionen, insbesondere in wirtschaftskriminologischen Theorien, der Systemtheorie und neueren Ansätzen der Managementforschung, abgeglichen werden und nach kohärenten Schlüssen gesucht werden. Der Ertrag aus dieser Untersuchung soll keine Wahrheit[6] darstellen, denn bei der kriminologischen Herangehensweise gilt, dass die Beobachtung der Sozialwelt nicht von einem externen objektiven Standpunkt erfolgt. Die kriminologische Perspektive ist durch die Anknüpfung an das normative Programm des Strafrechts,[7] um abweichendes Verhalten beschreiben zu können, stets auch eine, die innerhalb der beobachteten Welt angesiedelt ist. Es geht im folgenden Kapitel also „nur“ um die begriffliche Frage, die doch von so zentraler Bedeutung ist, da es letztlich die Begriffe sind, die uns erlauben, die Welt aus einer bestimmten Perspektive wahrzunehmen.[8]

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Die besondere Schwierigkeit einer konsistenten Grenzziehung liegt nicht nur in den divergierenden erkenntnisleitenden Hypothesen, sondern auch in der hier wieder aktuell werdenden, „alten“ kriminologischen Frage der Unterscheidung zwischen delicta mala mere prohibita und delicta mala per se.[9] Der graue Bereich wirtschaftlicher Grenzmoral, in dem es „Unehrenhaftigkeiten“[10] und Unsicherheiten darüber gibt, „was für den einen noch legale Geschäftstüchtigkeit“ ist und „für den anderen bereits Betrug“,[11] bleibt schwer greifbar. Die begriffliche Fixierung von Konformität und abweichendem Verhalten enthält zwangsläufig einen relativen Aspekt.[12] Wie eingangs erwähnt: Unternehmenskriminalität ist ein Phänomen, das in besonderer Weise mit allgemeineren Elementen der Sozialstruktur verknüpft ist.[13] Zieht man Unternehmenskriminalität gar als Feld der Kriminalität der Mächtigen in Erwägung, stellt sich auch Sutherlands sozialkritische Frage nach der Einbeziehung strafloser, aber strafwürdiger Sachverhalte neu.[14] Dahinter steht letztlich der Gedanke, dass bestimmte Sachverhalte nicht pönalisiert werden, weil „die Mächtigen“ Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess nehmen.[15] Die Einbeziehung von „noch nicht Strafbarem“ – wie sie der kriminalsoziologischen Herangehensweise[16] eigen ist – kann also dazu beitragen die Zwischenschritte von illegitim über illegal zu pönalisiert transparent zu machen.[17] Dies ist auch deshalb wichtig, als Wells zu Recht bemerkt, dass auch eine neutralisierende Sprache dazu führt, dass etwas als „Unfall“, „Panne“ und nicht als Verbrechen bzw. „real crime“ bezeichnet wird; mit entsprechenden Konsequenzen für die strafrechtliche Haftung.[18]

Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?

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