Читать книгу Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht? - Charlotte Schmitt-Leonardy - Страница 43
aa) Kriminalitätsbarometer Berlin-Brandenburg
Оглавление66
Diese von der Industrie- und Handelskammer (IHK) und dem Arbeitskreis für Unternehmenssicherheit (AKUS) herausgegebene Studie stellt ebenfalls Wirtschaftskriminalität in den Mittelpunkt ihrer empirischen Forschung, meint damit allerdings Kriminalität in der Wirtschaft, sprich Kriminalität, der Unternehmen zum Opfer fallen; nicht – oder nur periphär – Kriminalität, die Unternehmen auf die Täterseite stellt. Dennoch kann diese Studie zu einem Erkenntnisgewinn führen, weil sie eine der wenigen empirischen Studien zum Thema Wirtschaftskriminalität – wenn auch mit eben genanntem Fokus – darstellt und mit 1407 von den Unternehmen zurückgesandten Fragebögen[1] einen Einblick in die Selbsteinschätzung der Unternehmen in diesem Bereich gibt.[2] Hauptanliegen der Studie war, die tatsächliche Belastung und das diesbezügliche Anzeigeverhalten der Unternehmen festzustellen und – in einem zweiten Schritt – die Forderungen der Unternehmer mit Blick auf die Sicherheitspolitik des Staates nachzuvollziehen. Für den vorliegenden Kontext von Bedeutung erscheint, dass die Unternehmer bei der Frage nach ihrer Einschätzung, welche Problemlagen der Gesellschaft von ihnen – in Bezug auf die Kriminalität in der Wirtschaft – als bedrohlich einzustufen seien, neben Arbeitslosigkeit, Bürokratie und Zahlungsmoral den Werteverfall als „bedrohlich“ einstuften.[3]
67
Die tatsächliche Belastung der Unternehmen mit Kriminalität ist seit 2004 konstant geblieben. Etwa zwei Drittel der Unternehmen mussten sich mit Kriminalität auseinandersetzen, welche sich aus ihrer Sicht v. a. in den Delikten Vandalismus/Sachbeschädigung (30,1%), Einbruchsdiebstahl (26,9%) und Betrug (18,2%) manifestierte.[4] Die Erkenntnisse hinsichtlich des Täterkreises sind nur wenig erhellend: zwar wird festgestellt, dass in etwa 15% der Fälle Täter aus dem unmittelbaren Unternehmensumfeld kamen, allerdings beziehen sich die 85% (unternehmensfremde) Täter auf Delikte wie Einbruchsdiebstahl und Sachbeschädigung sowie Produktpiraterie, die typischerweise aus dem Umfeld eines anderen Unternehmens heraus begangen wird. Insofern ist der Anteil von 85% unternehmensfremder Täter nicht repräsentativ für die Struktur der Wirtschaftskriminalität. Dies räumen auch die Autoren ein, die davon ausgehen, dass bei „Straftaten der typischen Wirtschaftskriminalität“ – wie Subventionsbetrug, Insolvenzdelikten oder Umweltstraftaten – die Täterstruktur anders aussieht und regelmäßig nur Täter infrage kommen, die aus den Unternehmen selbst kommen und leitende Positionen einnehmen.[5] Hinsichtlich des Anzeigeverhaltens wird lediglich festgestellt, dass eine Abhängigkeit zum jeweiligen Delikt und der Schadenshöhe,[6] Ermittlungsmöglichkeit und -wahrscheinlichkeit, Vertrauen in die Behörden und Angst vor möglichen Imageschäden besteht. Im Bereich der Wirtschaftskriminalität (Wettbewerbsdelikte, Produktpiraterie) werden lediglich ein Viertel der Fälle angezeigt, sodass von einem großen Dunkelfeld auszugehen ist.[7] Dies könnte zumindest ein Hinweis auf eine „parallele Werteordnung“[8] sein, denn auf der einen Seite wird für Einbruchsdiebstahl, Vandalismus und Sachbeschädigung auf die staatlichen Strafverfolgungsorgane zurückgegriffen,[9] geht es jedoch um Wirtschaftskriminalität im engeren Sinne, erinnern Unternehmen an eine gesellschaftliche Subkultur, der zu einem immer „undurchsichtigeren Fleck“ auf dem Strafverfolgungsfeld geworden ist.[10]
68
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass diese Studie keine signifikanten Erkenntnisse zum Thema Wirtschaftskriminalität im Allgemeinen oder Unternehmenskriminalität im Speziellen liefert, obwohl sie es in Einleitung und Schlussteil[11] propagiert. Dennoch macht sie einen Aspekt des Problems nochmals deutlich: die Schwierigkeit, die Rolle des Unternehmens innerhalb dieser Kriminalität zu definieren. Die Studie setzt sämtliche Ergebnisse, die sie zu den vermengten Bereichen Wirtschaftskriminalität und klassische Kriminalität gewinnt, in Beziehung zu dem „Unternehmen als Opfer“. Dies scheint schon aus viktimodogmatischen Gesichtspunkten fragwürdig und hilft erst recht bei der Erfassung der Wirtschaftskriminalität nicht weiter.