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Borchardt quälte ein tierischer Hunger. Sein Magen war leer, verkrampft und trocken. Er konnte aber nichts essen. Stattdessen lag der Anblick der Leiche direkt vor ihm auf dem Tisch. Er bestellte sich einen Kaffee, der ihm gebracht wurde, als Tomas - so blass, wie er ihn nie zuvor gesehen hatte – hereingeplatzt kam, ebenfalls einen Kaffee bestellte, sich aufgebracht zu ihm setzte, hustete und schwer ausatmete. „Scheiße, so langsam fange ich an, den Job, den ich liebe, zu hassen.“ Er griff nach Borchardts Kaffee und trank. „Bis dato können wir nicht bestätigen, ob es sich um ein Tötungsdelikt handelt. Natalie wird sie gleich noch obduzieren.“

„Der Anblick war ekelerregend“, flüsterte Borchardt.

„Hast du irgendetwas wahrgenommen?“

„Denke schon.“

„Und?“

„Zuvor würde mich interessieren, was du für einen Eindruck hast.“

„Gut. Mein erster Eindruck? Sie ist aus einem Flugzeug gestürzt. Mein zweiter? Über Mitte herrscht Flugverbot“, sagte er mit einem verkrampften Lächeln, während er einen weiteren Schluck trank und den Kaffee wieder auf dem Tisch abstellte. „Die Deformierungen ihres Körpers“, fuhr er verstört fort, „erschrecken mich. Extreme Gewalteinwirkung. Ich muss den gerichtsmedizinischen Erstbefund abwarten.“

„Es liegt keine höhere Gewalt vor, da bin ich mir jetzt schon ziemlich sicher“, gab ihm Borchardt zu verstehen.

„Sie ist komplett nackt!?“

„Ja.“

„Glaubst du, dass der Fundort der Tatort ist?“

„Gut möglich.“

„Unglaublich. Das Blutspritzermuster ist bereits vermessen. Auch hier warte ich auf die Ergebnisse…“

„Ich habe, während ich sie mir ansah, die energetische Gegenwart einer menschlichen, höchstwahrscheinlich männlichen Person wahrgenommen, die extrem aggressiv war“, unterbrach ihn Borchardt angespannt.

„Das muss doch jemand von den Anwohnern oder Touristen mitbekommen haben, falls sie tatsächlich in aller Öffentlichkeit mitten in Mitte so zugerichtet wurde.“

„Ich will gleich nochmal dorthin zurück.“

„Zum Fundort?“

„Nein, zu den Schaulustigen“ antwortete Borchardt, während er Tomas den Ausweis zurückgab.

„Okay… weil das…?“

„Weil das eine Eingebung ist, ganz genau, Tomas“, beruhigte er ihn.

„So wie damals beim Schlitzer?“

„Ja, so ähnlich“

Tomas nickte. „Okay, tu was immer du zu tun hast. Aber keine Alleingänge mehr ohne mein Wissen. Denk daran, du bist kein Polizist, und ich und meine Kollegen kommen in Teufels Küche, wenn dir etwas zustößt und die Öffentlichkeit davon erfährt. Der Staatanwalt hat ein Auge auf meine Kommission.“

„Versprochen.“

Die Servicekraft brachte den Kaffee.

„Sobald erste Ergebnisse vorliegen, rufe ich dich an. Sei mir nicht böse, ich muss los.“

„Wie? Und dein Kaffee?“

„Keine Zeit mehr. Kannst du das bitte übernehmen? Hast du heute Abend Zeit? Lass uns doch im Hofbräuhaus treffen.“

„Das können wir machen, Tomas. Um wie viel Uhr denn?“

„20 Uhr? Ich lade dich auf ein Bier ein“, zwinkerte er ihm zu, während er ruhelos die Stuben verließ.

Da saß Borchardt nun mit den beiden Kaffees und der Leiche auf dem Tisch und fragte sich: „Wenn das wirklich die Tat eines einzelnen Menschen war, wo finde ich ihn?“

Nachdem er gezahlt und sich auf der Toilette mit zwei Händen voll Wasser frisch gemacht hatte, verließ er die Stuben und ging zurück zum Ort des Geschehens.

Nach wie vor diese Hektik und eine noch größere Menschenmenge. Ein Rettungshubschrauber parkte in der Luft direkt über dem Fundort. Borchardt stellte sich leicht Abseits vom Trubel, sodass er eine gute Übersicht hatte, schloss seine Augen und platzierte die Frage: „Wer ist der Täter und wo finde ich ihn?“

Die Voraussetzung für das bewusste Aktivieren seines Navis ist eine konkrete, ja fast schon brennende Frage und das gleichzeitige Praktizieren einer bestimmten Konzentrationsübung. Ähnlich verhält es sich beim Deaktivieren. Keine fünf Sekunden später war er auf Sendung, wie er den Zustand gerne beschrieb. Die Geräuschkulisse verschwand in den Hintergrund, vor seinen Augen lief die gesamte Realität in Slow Motion. Er scannte die Gegend auf und ab und vertraute seiner Intuition. Immer wieder achtete er auf ein Zeichen, auf einen Hinweis. Aber da war nichts, keine auffällige Person, nichts. Vielleicht sollte er eine Pause einlegen und ein wenig an der Spree entlanglaufen.

Er deaktivierte den Navi, lief die Tucholskystraße hinunter über die Oranienburger Straße hinaus und schlug vor der Ebertbrücke auf den Weg links Richtung Museumsinsel ein und fühlte sich von einer Sekunde zur nächsten erschöpft, unkonzentriert und benommen und ließ sich gähnend auf einer der Bänke entlang des baumgesäumten Spreeufers nieder.

Traumgleiter

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